Null Punkte in den ersten vier Rennen, 28 Punkte in den letzten zwei: Der Trend von Sebastian Vettel bei Aston Martin geht steil bergauf. Nach zwei 13. Plätzen, einem 15. Platz und einem Ausfall fuhr der viermalige Formel-1-Weltmeister vor zwei Wochen in Monaco auf Rang fünf und am vergangenen Wochenende beim Aserbaidschan GP in Baku sogar auf Platz zwei.

Vettel scheint endlich angekommen bei seinem neuen Rennstall, fühlt sich im AMR21 endlich richtig wohl. Aber wie gelang ihm das Kunststück von Startplatz elf? Sicherlich profitierte er vom chaotischen Rennverlauf und von Ausfällen, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Vettel zeigte endlich wieder, was für ein Virtuose er am Lenkrad sein kann, wenn alles passt. Und sein Bolide zeigte erstmals, welches Potential in ihm schlummert.

Vettel eröffnet Baku mit schlechtem Qualifying

Im Qualifying ärgerte sich Vettel aber erst maßlos über sich selbst. Ein Fehler im Q2 kostete ihn ein paar Zehntel und damit den Einzug ins Q3. Startplatz elf war für den Heppenheimer eine kleine Enttäuschung, nachdem er sich das Wochenende über wohl im Auto gefühlt hatte.

Die mit Startplatz elf einhergehende freie Reifenwahl am Start nutzten die Strategen bei Aston Martin nur bedingt. Wie die Top-10 fuhr auch Vettel auf den Soft-Pneus los. Einziger Unterschied: Er durfte nagelneue Exemplare des C5-Klebers auf seine 'Honey Ryder' schrauben lassen. Die Konkurrenz vor ihm musste auf den Qualifying-Reifen starten.

Vettel legt mit starker Baku-Startphase Grundstein

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wie sich später herausstellen sollte. Zunächst aber legte Vettel einen starken Start hin. Auf den ersten Metern spielte er seine Routine aus und positionierte sich in den ersten beiden Kurven perfekt. Valtteri Bottas war in Kurve eins fällig, Lando Norris in Kurve zwei. Aus der Startrunde kam Vettel auf Rang neun zurück.

Vettel bewies sich beim Start gegen Valtteri Bottas, Foto: LAT Images
Vettel bewies sich beim Start gegen Valtteri Bottas, Foto: LAT Images

Dann beruhigte sich das Rennen zunächst etwas. Vettel bezog Position hinter Yuki Tsunoda und musste nur abwarten. "Der frischere Reifen hat uns geholfen, länger zu fahren. Wir haben die Reifen gut geschont und das war das Geheimnis", erklärte er nach dem Rennen.

Fernando Alonso eröffnete bereits in Runde sieben die Boxenstopps. Zu diesem Zeitpunkt lag der Alpine-Pilot auf Rang sieben - also vor Vettel. Zwei Runden später kamen Charles Leclerc und Yuki Tsunoda zum Reifenwechsel. Vettel lag nun schon auf Position sechs.

In Runde elf stoppte mit Carlos Sainz der zweite Ferrari. Einen Umlauf später eröffnete Lewis Hamilton die Boxenstopps an der Spitze und auch Pierre Gasly kam zum Wechsel. Eine Runde später zog Max Verstappen nach, wiederum eine Runde später kam auch Sergio Perez. Vettel führte das Rennen nun an.

Die wahre Überraschung war die Pace, die Vettel noch gehen konnte. Bei den ersten Rennen erwies sich der Aston Martin noch als Reifenfresser. Nach schwachen Qualifyings ging es im Rennen eher noch nach hinten. Doch in Baku schonte der AMR21 das schwarze Gold plötzlich - auch weil Vettel im Verkehr abwartete und die Pneus nicht überstrapazierte.

Vettel schafft beim Boxenstopp Sprung nach vorne

In freier Fahrt mit leichterem Auto wurden seine Rundenzeiten stetig besser. In Runde 18 kam auch er zum Stopp und wechselte wie die versammelte Konkurrenz auf die harten Pirellis. Vettel sortierte sich auf Rang sieben wieder ein - Stroll auf Rang vier hatte noch nicht gestoppt. Mit seinem langen ersten Stint überholte er Fernando Alonso. Yuki Tsunoda und Carlos Sainz in der Box.

Aber ihm gelang nicht nur der Overcut gegen Tsunoda, Alonso und Sainz: Vor den Stopps lag der Heppenheimer noch rund zehn Sekunden hinter Charles Leclerc und Pierre Gasly. Nach den Stopps fehlten ihm noch 2,5 Sekunden auf Leclerc und fünf Sekunden auf Gasly.

Hätte Aston Martin Vettel sogar noch länger fahren lassen sollen, um auch gegen den Franzosen und den Monegassen den Overcut zu versuchen? "Es ist eine schwierige Entscheidung", meint Vettel selbst. "Ich habe mich auf den Reifen wohl gefühlt und ich wäre auch gerne draußen geblieben. Das habe ich der Box auch gesagt, aber es gab ein gutes Boxenstopp-Fenster und wir waren glücklich, auf Platz sechs [Boxenstopp-bereinigt] zurückzukommen."

Der direkte Vergleich mit Leclerc und Gasly zeigt, dass Vettel auf den abgefahrenen Soft-Reifen deutlich schneller fuhr als die beiden Konkurrenten auf frischen Hards. Das Problem war Tsunoda: Der Japaner fuhr etwas schneller als Leclerc und Gasly und nicht viel langsamer als Vettel. Wären Vettels Reifen plötzlich eingegangen, hätte man den Platz gegen Tsunoda verlieren können. Der Boxenstopp-bereinigte Vorsprung auf Tsunoda betrug nur rund zwei Sekunden.

Bessere Reifen helfen Vettel nach dem Safety Car

Auf den frischen Hards sortierte sich Vettel also hinter Gasly und Leclerc ein. "Ich habe sofort gefühlt, dass ich ein bisschen schneller als Charles konnte, aber ich wollte meine Reifen hinter ihm schonen", so Vettel.

Der Reifen-Vorteil sollte sich später noch auszahlen. Nach dem Unfall von Teamkollege Lance Stroll kam das Safety Car auf die Strecke. Beim Restart ging Vettel in Kurve eins spektakulär an Charles Leclerc vorbei. Das packende Duell zog sich noch ein paar Kurven.

"In Kurve drei war es brenzlig. Charles war mutiger, als ich erwartet hatte. Ich habe eigentlich später als er gebremst, aber er hat die Bremsen nochmal geöffnet. Ich war mir sicher, dass er in die Mauer fährt, ich habe mich schon darauf vorbereitet, nach innen zu gehen, aber er hat es noch geschafft", schildert Vettel. Trotzdem ging der Routinier als Sieger des Zweikampfs hervor und sicherte sich Platz fünf.

Die frischen Reifen halfen ihm, die Temperaturen beim Restart richtig zu managen: "Meine Reifen waren zehn Runden jünger als die aller anderen. Da war es wahrscheinlich einfacher, sie aufzuwärmen."

Am Ende der Runde schnappte sich Vettel auch noch Pierre Gasly. Der AlphaTauri-Pilot war aber ein willkommenes Opfer. Gasly hatte mit leichteren Motorproblemen zu kämpfen. Auch ohne DRS konnte der Aston Martin problemlos aus dem Windschatten ausscheren. Schon vor der Ziellinie hatte Vettel das Überholmanöver komplettiert und lag auf Rang vier.

Vettel sichert Podium im Finale mit Top-Start

Eigentlich hätte er das Rennen auf Platz vier beenden sollen, doch dann begann der übliche Baku-Wahnsinn. Max Verstappen schied in Führung liegend mit Reifenschaden aus und sorgte für eine Rennunterbrechung. Beim stehenden Restart ging der vierfache Weltmeister von Platz drei aus ins Rennen.

Vettel war beim letzten Restart außen knapp an der Führung dran, Foto: LAT Images
Vettel war beim letzten Restart außen knapp an der Führung dran, Foto: LAT Images

Vettel erwischte den besten Start der Top-Piloten und hätte die Führung übernommen, wenn der Sprint zur ersten Kurve etwas länger gewesen wäre. Dank Hamiltons kolossalem Verbremser erbete er aber immerhin Platz zwei. Einen Angriff auf Sieger Sergio Perez konnte er in den letzten zwei Runden nicht mehr setzen.

Weil während der Rennunterbrechung Reifen gewechselt werden durften, hatte er keinen Reifenvorteil mehr. Perez im Red Bull war dann zu schnell für Vettel. Trotzdem beeindruckt Aston Martin in Baku mit hervorragendem Rennspeed. Auch ohne dem ganz großen Chaos konnte sich Vettel aus eigener Kraft von Startplatz elf auf vier nach vorne kämpfen. Sogar Pole-Setter Charles Leclerc wurde dabei überholt.