Schon unmittelbar nach seiner überraschenden zweiten Pole Position in Folge hatte Charles Leclerc die Erwartungen für den Großen Preis von Aserbaidschan 2021 gedämpft. Die Sensation im Qualifying sei im folgenden Formel-1-Rennen in Baku wohl kaum zu bestätigen, zu groß seien die Vorteile Mercedes' und Red Bulls im Renntrimm, gab der Monegasse an. Noch tat sich Ferrari im Training in Baku vor allem auf den weichen Reifen schwer. Genau mit diesen Softs musste sich Leclerc im ersten Stint allerdings gegen Lewis Hamilton und Max Verstappen wehren.

Dass er in der Defensive sein würde, hatte Leclerc also erwartet. Nicht aber, dass erst Hamilton, dann auch Verstappen und Serio Perez ihn derart schnell überholen würden. Bereits nach zwei Runden war die Führung an den Weltmeister verloren, fünf Runden später hatten auch die Red Bull den SF21 auf der langen Start-Ziel-Geraden einfach stehen gelassen. Warum Leclerc so schnell durchgereicht wurde, hatte jedoch einen kuriosen Grund. Die Natur griff ein.

Onboard-Video zeigt: Leclerc weicht Ast aus

"In den ersten paar Runden lief es noch ganz okay, aber dann ist etwas passiert, dass man wohl nicht im Fernsehen gesehen hat. Mitten in Kurve 15 lag ein Stück eines Baums und deshalb habe ich dort einiges an Zeit verloren", berichtet Leclerc. Im Weltbild war die Szene tatsächlich nur indirekt zu sehen. Die Kameras zeigten allerdings nicht Leclercs Ausweichmanöver, sondern Verstappens, der zwei Ränge weiter hinten die Kurve links über den Kerb abkürzte.

Wer sich die Onboard-Aufnahmen ansieht, erkennt ganz genau den Ast - und sieht auch, wie weiter vorne Leclerc ebenfalls nach innen neben die Strecke ausweicht. Aus Angst vor einer Strafe für das Gewinnen eines bleibenden Vorteils habe er daraufhin gelupft, so Leclerc. So sehr, dass er auf der Geraden danach ein leichtes Opfer wurde. Noch vor erreichen der Ziellinie war Hamilton dank Windschattens vorbei am Ferrari. "Ich habe die Strecke abgekürzt und war etwas besorgt, dass ich da Zeit auf Lewis gewonnen hatte, der die Strecke nicht abgekürzt hatte. Also habe ich langsam gemacht und dann hat er mich überholt."

Leclerc fürchtete Strafe: Kurz vom Gas

Für Leclerc nur der Anfang vom Ende. "Von da an war es ziemlich schwierig, denn so war ich hinter Lewis in der verwirbelten Luft, mit der ich etwas zu kämpfen hatte", berichtet Leclerc. Zunächst blieb er noch nah genug am Briten dran, um zumindest DRS zu bekommen. So zog Verstappen zumindest nicht gleich im ersten Versuch vorbei. Am Ende der fünften Runde war es allerdings so weit. "Sobald ich es [DRS] verloren hatte, überholte mich auch Max", klagt Leclerc.

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Eine Runde später passierte auch Perez den Monegassen. "Ich steckte dann einfach in einem Teufelskreis. Es war sehr schwierig, denn um mich herum waren nur Autos, die alle etwas mehr Pce hatten als ich", sagt der Monegasse. "Und wir wussten sowieso, dass die Red Bulls und Mercedes auf den Longruns mehr Pace haben würden als wir, deshalb habe ich gar nicht erst versucht, groß gegen sie zu kämpfen und habe mich auf mein eigenes Rennen konzentriert." Auf die großen Probleme ohne freie Bahn lenkt Ferrari nun seinen Fokus. "In der verwirbelten Luft haben wir gelitten. Darauf müssen wir unsere Analysen konzentrieren", sagt Teamchef Mattia Binotto.

Charles Leclerc chancenlos gegen Hamilton & Red Bull

Die Probleme auf dem Soft nötigten Ferrari zu einem frühen Stopp. Bereits in Runde neun kam Leclerc zum Wechsel auf Hard. So verlor er im Fernduell durch einen Overcut Pierre Gaslys den vierten Platz an den AlphaTauri. Den fünften Platz kostete sich Leclerc selbst. Beim fliegenden Restart nach dem Unfall Lance Strolls verbremste sich der Monegasse in Kurve eins, innen schlüpfte sein ehemaliger Ferrari-Teamkollege Sebastian Vettel durch.

"Dann musste ich auch noch mit zwei Bremsplatten weiterfahren, das war der schwierigste Teil des Rennens. Ich dachte wirklich, dass ich es nicht ins Ziel schaffen würde", berichtet Leclerc. Die Rennunterbrechung durch den nächsten Unfall nach einem Reifenplatzer, diesmal bei Max Verstappen, kam da wie gerufen. So konnte Ferrari die Reifen wechseln. Jetzt glaubte Leclerc sogar an ein Podium. In einem sensationellen Dreikampf mit Gasly und Lando Norris zog der Monegasse allerdings zumindest gegen Ersteren den Kürzeren.

Leclerc verbremst sich, Vettel geht durch

"Leider haben wir es nicht geschafft", sagt Leclerc. "Aber diesen letzten Teil habe ich trotzdem echt genossen. Seb hat einen unglaublichen Job gemacht, Glückwunsch an ihn und auch an Pierre. Das war am Ende ein harter Kampf mit ihm! [...] Der erste Teil des Rennens war dafür nicht so toll. Aber das war irgendwie wie erwartet. Es war keine große Enttäuschung. Es war erwartet."

Das bestätigt Teamchef Binotto. "Wir wussten, dass wir auf dem Soft am meisten kämpfen würden. Mit den harten Reifen in frischer Luft war es repräsentativer und da waren wir konkurrenzfähig. Dennoch müssen wir unsere Pace im Rennen verbessern, kein Zweifel", sagt der Italiener.

Ferrari muss Rennpace aufarbeiten: Aston Martin besser

Alles andere als gerechnet hatte Leclerc in Baku mit einem derart starken Vettel. Oder eher Aston Martin generell. Bis zu seinem Reifenschaden sah auch Lance Stroll nicht schlecht aus. "Die zwei großen Überraschungen waren heute die beiden Aston Martin", sagt Leclerc "Die sind geflogen! Wir müssen das verstehen, denn die haben heute definitiv etwas richtig gemacht."

Das Gegenteil galt für Ferrari. "Das war heute nicht unser bestes Rennen. Nach dem Qualifying haben wir Besseres erwartet. Es war ein schwieriges Rennen, wir waren in vielen Bereichen nicht perfekt", gesteht Teamchef Binotto. "Ich bin aber sicher, dass wir Bereiche finden, die wir verbessern können, wenn wir alles nochmal ansehen. Das ist wichtig für uns."

Ferrari erorbert WM-Rang drei von McLaren

Dank Platz vier für Leclerc und P8 für Carlos Sainz schob sich Ferrari in der WM-Wertung immerhin an McLaren vorbei und liegt mit 94 Punkten nun zwei Zähler vor dem Team aus Woking. "Wir sind endlich Dritter in der Konstrukteurswertung. Es ist zwar nur der Saisonbeginn und es sind nur zwei Punkte Vorsprung, aber es zeigt, dass wir Fortschritte machen", sagt Binotto. "Aber der Abstand nach hinten ist klein und auf jeden Fall kleiner, als er hätte sein können ..."

Verantwortlich dafür war zu großen Teilen ein Fehler Sainz'. Der Spanier verlor allein durch einen kapitalen Verbremser auf kalten, harten Reifen nach seinem Boxenstopp und einen Ausritt in den Notausgang von Kurve acht rund 20 Sekunden sowie sofort vier Positionen gegen Yuki Tsunoda, Norris, Fernando Alonso und Antonio Giovinazzi. Insgesamt ging es sogar von P6 auf P14 zurück. Wie Leclerc handelte sich dabei auch Sainz zwei Bremsplatten an der Vorderachse ein, die im weiteren Verlauf zusätzliche Zeit kosteten.