Die Reifenschäden von Max Verstappen und Lance Stroll beim Aserbaidschan GP in Baku werfen Fragen auf. Bei beiden gab der hintere linke Reifen den Geist auf, beide Schäden traten an älteren Hard-Pneus auf, beide verunfallten an ähnlicher Stelle bei Geschwindigkeiten jenseits von 300 Stundenkilometern. Lag das Problem auf Seiten des italienischen Formel-1-Reifenausrüsters?

Für eine detaillierte Analyse war es am Sonntagabend noch zu früh, doch Pirellis Formel-1-Boss Mario Isola schließ nach ersten Indizien ein prinzipielles Problem mit seinem Produkt aus. "Das waren keine Reifenschäden aufgrund zu großer Abnutzung", meint Isola.

Pirelli rechnete vor dem Rennen damit, dass die harten Reifen locker 40 Runden halten würden. Verstappens Pneus hatten 33 Runden absolviert, die von Stroll nur 29. "Hinten links ist außerdem nicht der Reifen, der in Baku am stärksten beansprucht wird. Das ist der rechte Hinterreifen", fügt Isola an.

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Belastungen zu groß: Pirelli ändert Startdrücke

Nach den Freitagstrainings korrigierte Pirelli extra noch die Mindeststartdrücke an der Hinterachse. Die Kräfte, die in den Trainingssitzungen auftraten, waren größer als die von den Teams in Simulationen prognostizierten. 20,0 statt 19,0 PSI galten ab Samstagmorgen. Die Änderung schonte die Konstruktion.

2021 brachte Pirelli erstmals die weichsten Mischungen mit ans Kaspische Meer. Ein Problem? Nein, denn die Schäden traten an den härtesten Mischungen auf. Die kamen so auch schon in den Jahren zuvor zum Einsatz.

Aktuell spricht vieles dafür, dass die beiden Reifenschäden Folgen von Trümmerteilen waren. Woher die Trümmer bei Stroll gekommen sein sollen, ist unklar. Verstappen könnte sich seinen linken Hinterreifen auf Karbonteilen von Strolls Aston Martin beschädigt haben.

Hamilton-Reifen von Trümmerteil beschädigt

Am linken Hinterreifen von Lewis Hamilton konnten die Pirelli-Mitarbeiter einen sechs bis sieben Zentimeter großen Schnitt an der Innenschulter finden. Der Mercedes-Pilot hatte Glück, dass der Schnitt nicht tief genug war, um die Konstruktion zu beschädigen.

Ein weiteres Indiz für eine Beschädigung durch externe Elemente ist, dass sich die Reifenschäden nicht angekündigt hatten. "Es gab keine Vibrationen und keinen Luftverlust", so Isola. "Wenn Reifen durch Trümmerteile beschädigt werden, gehen sie normalerweise ohne Verzögerung kaputt."

Auch bei Lance Stroll war ein Reifenschaden für den Unfall verantwortlich, Foto: LAT Images
Auch bei Lance Stroll war ein Reifenschaden für den Unfall verantwortlich, Foto: LAT Images

Aufgrund der zahlreichen Karbonteile nach Max Verstappens Unfall war der Reifen-Boss froh über die Rennunterbrechung. Dadurch konnte die Strecke gründlich gereinigt werden. Gleichzeitig nutzten die Piloten die Unterbrechung auch für einen Reifenwechsel und entledigten sich der alten Pneus.

Red Bulls Teammanager Jonathan Wheatley bat Rennleiter Michael Masi genau deshalb um eine Rennunterbrechung, weil er befürchtete, dass die alten Reifen eine Gefahr darstellten. "Ich habe von dieser Forderung nicht gewusst. Es wäre diesbezüglich aber nicht notwendig gewesen, an den anderen Reifen haben wir bislang keine Probleme feststellen können", meint Isola.

Pirelli forciert schnelle Analyse in Italien

Pirelli will die Reifen nun schnellstmöglich ins Labor nach Mailand bringen lassen, wo eine ausführliche Analyse ansteht. Dabei sollen nicht nur die defekten Reifen untersucht werden, sondern auch noch intakte Reifen anderer Piloten.

Normalerweise werden die Pneus verschifft, Zeit ist dabei kein wichtiger Faktor. In diesem Fall wird das schwarze Gold noch am Montag mit dem Flieger Richtung Italien geschickt. Pirelli will unbedingt noch vor dem Frankreich GP in zwei Wochen eine Analyse an die FIA geschickt haben.

Bei vielen Reifenschäden ist es nahezu unmöglich, die genaue Ursache ausfindig zu machen. Bei Verstappen und Stroll blieb allerdings relativ viel Reifen auf der Felge. "Der Reifen ist noch in einem Stück, wir haben alle Teile. Es ist auch da schwer, weil der Reifen noch vom Unterboden und anderen Teilen beschädigt werden konnte, aber es ist nicht unmöglich, die genaue Ursache herauszufinden", so Isola.

Trümmerteile größeres Problem auf Stadtkursen

Valtteri Bottas verlor den Baku-Sieg 2018 aufgrund eines Reifenschadens, Foto: Sutton
Valtteri Bottas verlor den Baku-Sieg 2018 aufgrund eines Reifenschadens, Foto: Sutton

Viele fühlten sich an den Reifenschaden von Valtteri Bottas im Jahr 2018 erinnert. Beim Mercedes-Piloten löste sich ebenfalls kurz vor Rennende in Führung liegend auf der Start- und Zielgeraden der rechte Hinterreifen auf. Damals konnte man auf den TV-Aufnahmen erkennen, wie der Finne Trümmerteile überfuhr. "Wir werden uns die Aufnahmen auch hier genau ansehen", verspricht Isola.

Trümmerteile sind auf Stadtkursen ein größeres Problem als auf konventionellen Rennstrecken. Bei Unfällen kommt es meist direkt an der Rennstrecke zum Einschlag, weshalb die Teile auf der Fahrbahn verteilt werden. Auf Rennstrecken bleiben die Teile oftmals in der Auslaufzone.