Der Große Preis von Monaco wurde auch nach einem Jahr Pause seinem Ruf als oftmals langweiligstes Formel-1-Rennen des Jahres gerecht - zumindest an der Spitze. Noch vor dem Start beraubte uns eine defekte Antriebswelle am Ferrari von Charles Leclerc des Polesitters und größten Gegners Max Verstappens. Zur Rennmitte erledigte sich auch der erste Verfolger des da schon souveränen führenden Niederländers. Valtteri Bottas schied kurios beim Boxenstopp, durch eine rund gedrehte Radmutter aus.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte sich Verstappen allenfalls noch selbst schlagen. Auch, wenn Carlos Sainz im einzig verbliebenen Ferrari im zweiten Stint kurzzeitig aufholte. Eine echte Bedrohung war der Spanier nie, erst recht nicht in den engen Straßen von Monte Carlo. Keine Rolle im Kampf um den Sieg spielte in Monaco Lewis Hamilton. Erstmals in dieser Saison machten der Weltmeister und Verstappen die ersten beiden Plätze nicht einzig unter sich aus. Mit einem siebten Platz im Qualifying hatte sich Hamilton bereits vor dem Start aller Chancen beraubt.

Sebastian Vettel vs. Lewis Hamilton: Das Duell ist zurück!

Dennoch spielte Hamilton beim fünften Saisonlauf der Formel 1 zumindest eine der wenigen spannenden Rollen der 78. Auflage der Prozession von Monte Carlo. Wie konnte es dem Mercedes-Piloten misslingen sein Qualifying-Ergebnis im Rennen trotz der Defekte von Leclerc und Bottas nicht zu verbessern? Weil Mercedes in der entscheidenden Phase des Rennens in einer strategischen Zwickmühle steckte, die Hamilton die beiden kampflos gewonnen Plätze gleich wieder gegen Sebastian Vettel und Sergio Perez verlieren ließ. Wie das genau geschehen konnte, klärt Motorsport-Magazin.com in dieser Rennanalyse.

„Seite an Seite mit Lewis, das ist schon lange her. Gut für uns, und nicht so gut für ihn“, scherzte Vettel bereits nach dem Qualifying am Samstag. Gerade hatte er die beste Performance seiner noch jungen Karriere bei Aston Martin abgeliefert während Hamilton einen seiner seltenen Totalausfälle erlebt hatte. Dass er im Rennen sogar noch einen Platz mehr zwischen sich und seinen einstigen Titelrivalen bringen würde, ahnte Vettel zu diesem Zeitpunkt nicht. Einzig Zuversicht, es dank Monaco erstmals in diesem Jahr in den Punkten halten zu können, versprühte Vettel. Dann kam alles anders. Platz fünf für Vettel, nur Rang sieben für Hamilton.

Monaco: Vettel nutzt Mercedes‘ taktisches Dilemma

Wie das gelingen konnte? Durch eine strategisch brisante Phase von Runde 29 bis 36, rund um die ersten Boxenstopps der Verfolgergruppe hinter Verstappen, Bottas und Sainz. Mehrere Faktoren spielten hier mit hinein, verteilt auf dreierlei: Reifenprobleme und ein taktisches Dilemma für Mercedes. Ein strategisch ideal platzierter Gasly im zweiten Red-Bull-Team AlphaTauri. Und zuletzt eine auch im Rennen endlich funktionierende Kombination Vettel/Aston Martin.

Aber der Reihe nach. Alles los ging mit dem ersten Stopp des gesamten Rennens. Den absolvierte in Runde 29 Hamilton, zu diesem Zeitpunkt auf P6, mit 1,3 Sekunden Rückstand direkt hinter Gasly. Mercedes nutzte die erste Gelegenheit für einen Undercut gegen den Franzosen. „Wir hatten nach hinten ein Fenster, mit dem wir einen Undercut versuchen konnten“, sagt Mercedes-Technikchef James Allison. Das war knapp, doch mit 2,25 Sekunden Standzeit saß der Boxenstopp. Hamilton kam unmittelbar vor Antonio Giovinazzi zurück auf die Strecke und hatte vor sich freie Bahn - mehr als zehn Sekunden waren es bis auf Perez vor ihm.

GAP auf GAS R28:
HAM +1,303s
VET +4,502s
PER +5,868s

Mercedes vergeigt Undercut gegen Gasly

Nach nur 3,337 Kilometern war allerdings klar, dass Mercedes die falsche Entscheidung getroffen hatte. AlphaTauri reagierte sofort und zitierte Gasly eine Runde später ebenfalls zum Reifenwechsel. Obwohl der Franzose acht Zehntelsekunden länger auf seine neuen Reifen warten musste, schob er sich am Boxenausgang zurück vor Hamilton. Der war fassungslos. „Wie kann ich noch immer hinter ihm sein?“, beschwerte sich der Weltmeister.

Die Antwort ist tatsächlich recht trivial. Monaco hatte zugeschlagen. Seit Jahren kennzeichnet sich der sanfte Asphalt des Circuit de Monaco durch einen nur geringfügigen Reifenabbau. Deshalb lassen sich auch auf älteren Reifen noch ordentliche Zeiten fahren, der Gewichtsverlust durch den Spritverbrauch bringt mehr. Gleichzeitig erschwert der Asphalt das Aufwärmen neuer Pneus. Das war auch 2021 bereits im Qualifying an teilweise gleich mehreren Aufwärmrunden abzulesen. Besonders schwer tat sich hier ausgerechnet Mercedes.

Formel 1, Monaco: Warum bekam Mercedes das Rad nicht ab? (17:12 Min.)

Hamilton trotz starker Outlap chancenlos gegen alte Gasly-Softs

Hamiltons Outlap - auch noch auf den besonders schwierig ins Arbeitsfenster zu bringenden harten Reifen - konnte sich allerdings sehen lassen. Seine 1:18.739 Minuten war die drittschnellste des gesamten Rennens. Besser waren nur Hamilton selbst (1:17.137) nach einem späten Reifenwechsel auf Soft zur Jagd auf die schnellste Rennrunde und Lance Stroll (1:18.442) der erst in Runde 59 seinen einzigen Stopp absolvierte, um von Hard auf Soft zu wechseln.

Zu wenig gegen alte, aber im perfekten Arbeitsfenster befindliche Softs am AT-02 Gaslys war das dennoch. Die Inlap des Franzosen wäre eine weitere Runde im mittleren bis hohen 1:16er Bereich geworden, wäre Gasly nicht an die Box abgebogen. So holte Gasly im Fernduell mit Hamilton fast zwei Sekunden auf. In Kombination mit seinem Vorsprung zuvor reichte des trotz des sehr viel langsameren Boxenstopps für Hamilton.

Sebastian Vettel pirscht sich ran - und beißt zu

Für den Weltmeister kam es allerdings noch härter. Eine weitere Runde später schlug Sebastian Vettels große Stunde, als der Deutsche ebenfalls an die Box fuhr. Vettel hatte im ersten Stint lange Zeit weit hinter Hamilton gelegen, bis zu einem Maximum von 6,9 Sekunden in Runde zwölf. Von dort an holte Vettel allerdings merklich auf. Eine Runde vor Hamiltons Stopp (R28) lag Vettel nur noch 3,2 Sekunden hinter dem Briten. „Wir haben das gut gemacht, die Autos vor uns auf dem Soft-Reifen im ersten Stint fahren zu lassen und die Lücke zu schließen, als es darauf ankam“, berichtet Vettel. 3,2 Sekunden erscheinen dennoch viel, doch Vettels Overcut ging aus zwei Gründen perfekt auf.

Zunächst wegen seiner eigenen Performance. Mit freier Bahn nach Hamiltons Stopp zog Vettel das Tempo merklich an. Auf den alten Softs fuhr Vettel in Runde 29 drei Zehntel schneller als zuvor, in Runde 30 sechs Zehntel schneller. „Das Auto war schnell, als es darauf ankam. Das hat den Unterschied gemacht, wir konnten wirklich zulegen“, sagt Vettel zu Motorsport-Magazin.com.

Schlechter Stopp ruiniert Vettel fast alles

„Ich wusste, dass das die entscheidende Phase des Rennens ist“, ergänzt Vettel, in Monaco schon 2017 mit einem Overcut erfolgreich. Damals noch im Kampf um den Sieg gegen Ferrari-Kollege Kimi Räikkönen. Vettel: „Die Reifen waren nicht mehr ganz frisch, aber ich konnte trotzdem schneller fahren, als ich es das gesamte Rennen über getan hatte.“

Das war derart schnell, dass auch hier ein schlechter Boxenstopp der Konkurrenz Hamilton nicht mehr retten konnte. Vettel stand mit 3,21 Sekunden sogar noch länger als Gasly, Aston Martin hatte den zweitlangsamsten Stopp des Rennens absolviert. Zum Vergleich: Teamkollege Stroll fertigte man später in 2,27 Sekunden ab, der drittschnellste Stopp des Rennens.

Formel 1 Monaco: Boxenstopps im Vergleich

FahrerStandzeitDurchfahrtszeitRunde
Hamilton2,25 Sek.23,783 Sek.29
Gasly3,09 Sek.24,428 Sek.30
Vettel3,21 Sek.24,369 Sek.31
Perez2,89 Sek.24,548 Sek.35

Der zweite Grund, warum Vettels Overcut eine derartige Wirkung entfaltete, teilt sich auf Hamilton und Gasly auf. Zunächst geht es einmal mehr um Hamiltons Outlap. Die war, wie gesagt, ordentlich, doch gegenüber Vettel auf alten, aber warmen Softs im selben Umlauf schon allein 1,7 Sekunden langsamer. Hamiltons nächste Runde war sogar noch schlimmer. In Umlauf 31 gelang Hamilton nur noch eine 1:19.326, während Vettel sein Tempo im niedrigen 1:16er Bereich bis zu seiner Boxeneinfahrt weiter durchzog. Warum Hamilton langsamer? Ganz einfach: Jetzt hatte Gasly die Probleme beim Aufwärmen der harten Reifen - und der lag direkt vor Hamilton, hielt den Mercedes also auf.

Gasly hält Hamilton auf: Vettel & Perez schlagen zu

„Gasly Pace war nach dem Stopp so langsam, dass es Vettel und Perez auch noch erlaubt hat durchzuschlüpfen“, sagt Allison. Noch dazu fürchtete Gasly eine Attacke Hamiltons. „Auf der Outlap hatte ich Lewis direkt hinter mir und ich musste verteidigen“, erklärt der Franzose seine extrem langsame Outlap von 1:21.727 Minuten zusätzlich zu den üblichen Problemen beim Reifenaufwärmen. Der große Gewinner hieß Vettel: Haarscharf schlüpfte der Deutsche am Boxenausgang vor Gasly und Hamilton zurück auf die Strecke.

Wie kraftvoll der Overcut in Monaco 2021 einmal mehr funktionierte zeigt allerdings nichts besser als das Beispiel Sergio Perez. Der Mexikaner lag vor den Stopps hinter allen genannten Namen, kam erst in Runde 35 zum Stopp und nach dem Reifenwechsel vor allen anderen zurück auf die Strecke, und das sogar noch halbwegs komfortabel. Der Mexikaner hatte die freie Bahn perfekt genutzt, kaum war Vettel zum Stopp gekommen. Mit zwei 1:14ern und einer 1:15.0 entfesselte Perez das Potential des Red Bull (s. Grafik) auf weichen Reifen gnadenlos. Vettel, Gasly und vor allem Hamilton waren chancenlos.

Perez und Vettel profitierten bei alldem auch von einem Dilemma für Mercedes. Hamilton steckte in der Gasly-Falle. Dass ein Undercut in Monaco schwierig werden würde, gerade mit den Problemen beim Reifenaufwärmen, über die Mercedes schon das ganze Wochenende geklagt hatte, wussten die Strategen der Weltmeister natürlich auch selbst. „Das ist immer ein Problem. Aber der Stopp war gut und die Outlap war auch in Ordnung. Er [Gasly] war einfach 1,5 Sekunden vorne und hat diesen Vorsprung behalten. Wir dachten, dass 1,5 Sekunden mit der Outlap reichen würden, aber das hat es nicht“, sagt Teamchef Toto Wolff.

Mercedes zu Undercut genötigt

Dennoch entschied man sich für diesen Weg. „Denn wir hatten so oder so keine guten Optionen. Ein Overcut hing daran, wann Gasly stoppen würde“, sagt Allison. „Das hat uns drei Plätze gekostet“, klagt Hamilton dennoch über die Entscheidung. „Wir haben heute jede Menge Punkte wegen einer richtig, richtig schlechten Performance des Teams verloren!“ Dabei hatte er diese selbst mit verantwortet. „Er hat selbst für den Undercut plädiert“, verrät Wolff. „Da gab es einen guten Austausch zwischen ihm und seinem Strategen.“

Mercedes erachtete den Undercut als beste, ja sogar einzig Chance gegen Gasly. „Wir hatten das Gefühl, dass der Undercut mehr Potential hatte“, sagt der Wiener. Doch war das wirklich so? Wäre der Overcut - eigentlich ein beliebtes Mittel Hamiltons - nicht doch die bessere Wahl gewesen? War Hamiltons Unmut angebracht? Hier gehen die Meinungen bei Mercedes teilweise auseinander.

Wolff vs. Hamilton & Allison: Genug Gummi oder nicht?

„Ich kann verstehen, warum er unzufrieden ist, denn unter dem Strich haben wir mit unserer Strategie ja einige Plätze verloren“, sagte Technikchef Allison. „Es ist immer eine enge Entscheidung [ob Undercut oder Overcut] und heute haben wir die falsche getroffen“, gesteht der Brite. Einen Overcut habe man durchaus durchziehen können, widerspricht Allison Wolff. „Lewis hatte noch Gummi für ein paar tolle Runden auf dem Reifen“, sagt Allison. Wolff hatte zuvor angegeben, die Reifen seien ohnehin hinüber gewesen.

Wolff: „Da war keine Reifenperformance mehr da. Die Reifen hatten keinen Gummi mehr, das kommt vom Heizen [um die Reifen überhaupt im Arbeitsfenster zu halten]. Auch bei Valtteri waren die Reifen fertig. Auf Lewis’ Reifen war auch nichts mehr übrig, als wir sie nach dem Stopp analysiert haben. Es gab also nicht mehr genug Performance für einen Overcut gegen Gasly.“ Das sieht auch Hamilton anders: „Ich hatte keinen Reifenabbau, ich steckte nur hinter allen fest - oder hinter Pierre …“

Zwickmühle: Overcut hing an Gasly-Stopp

Gummi ja oder nein, gebraucht hätte Hamilton das mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin nichts. Hier kommt das Dilemma ins Spiel. Die Gasly-Blockade wäre im schlimmsten Fall noch lange Zeit weitergegangen. „Wenn wir länger draußen geblieben wäre, wäre Gasly vielleicht nicht an die Box gekommen, vielleicht wäre er es auch, wer weiß?“, sagt Hamilton. „Die Möglichkeit, dass Gasly nicht so bald gestoppt hätte, bestand“, bestätigt Allison. „Unsere Angst war, dass Gasly da vielleicht einfach für immer als Straßenblockade geblieben wäre.“ Das hätte Hamilton im schlimmsten Fall noch mehr kosten können. „Wir dachten, dass das noch lang dauern würde“, sagt Allison.

So fiel die Entscheidung auf den fatalen Undercut wider besseres Wissen. Allison: „Wir müssten den Undercut hinbekommen, damit die Welt nicht über uns hereinbricht. Aber wir haben ihn leider nicht hinbekommen, sodass die Welt mit den resultierenden Platzverlusten gegen Vettel und Perez für uns zusammengebrochen ist.“ Mit einem besseren Paket in Monaco hätte das funktioniert. Deshalb sieht Mercedes unter dem Strich nicht Strategie, sondern Pace verantwortlich. „Wir müssen herausfinden, warum wie so langsam waren“, fordert Allison. „Denn die Langsamkeit war der größte Schmerz.“