Brisante Behauptung von Paddy Lowe, Technischer Direktor bei Mercedes zu Beginn der Hybrid-Ära in der Formel 1 ab 2014. In einer vor dem Portugal Grand Prix veröffentlichten Ausgabe des Podcasts ‚Beyond the Grid’ blickt der Brite zurück auf die Anfänge der Mercedes-Dominanz der vergangenen Jahre und stellt darin eine steile These auf:

Im ersten Jahr mit den neuen Power Units soll Mercedes so gut wie nie das wahre Limit seiner Möglichkeiten auf die Strecke gebracht haben - aus Angst, eine zu große Überlegenheit könne die FIA zu sofortigen Regeländerungen animieren, um die Silberpfeile einzubremsen.

Lowe: Mercedes wusste früh um überlegenen Motor

Schon bei den Testfahrten vor der Saison habe Mercedes damals realisiert, mit seinem neuen Antrieb 'PU106A Hybrid' in einer eigenen Liga unterwegs zu sein, allen anderen Motorenherstellern weit voraus.

Die erste Wunder-PU von Mercedes in ihrer vollen Pracht, Foto: Mercedes-Benz
Die erste Wunder-PU von Mercedes in ihrer vollen Pracht, Foto: Mercedes-Benz

Aus Sorge vor schnellen Regelanpassungen gegen eine drohende Langweile habe das Team deshalb im Qualifying nicht nur im Q1 und Q2 - wie bis zum Verbot unterschiedlicher Einstellungen Mitte 2019 heute auch überall anders der Fall - in konservativere Motormodi geschaltet, sondern das sogar im alles entscheidenden Q3 praktiziert.

Mercedes-Motor 2014 fast nie mit voller Power?

„Bernie [Ecclestone] lief herum und sagte, das alles sei ein Albtraum, die neuen Motoren seien furchtbar“, erinnert sich Lowe. „Die Denke war deshalb, dass wohl etwas getan worden wäre [Regeländerungen], wenn Mercedes lächerlich gut ausgesehen hätte.“

Deshalb habe Mercedes die Karte so gut wie nie aufgedeckt. „Das ging eigentlich eine ganz schöne Weile so. Den Großteil von 2014 war der Motor im Qualifying nie bei voller Power“, behauptet Lowe. Dem gebürtigen Kenianer zufolge habe sich auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff persönlich dafür ausgesprochen. „Im Qualifying haben wir den Motor in Q1 und Q2 nie aufgedreht. Da wurde er regelrecht im Leerlauf betrieben“, sagt Lowe.

Lowe: Wolff wollte immer weniger Leistung zeigen

So weit, so normal. Mit Beginn des Q3 sei es dann allerdings regelmäßig zu großer Anspannung am Kommandostand gekommen. Nun sei die Frage gewesen, wie weit man den Motor aufdrehen könne, um nicht zu überlegen davonzufahren, aber gleichzeitig auch nicht die Pole Position zu gefährden. „Die Debatte war dann, wie sehr man den Motor für Q3 aufdreht. Von Toto habe ich gehört: ‚Das ist zu viel, das ist zu viel!’ Und ich habe mir gedacht: ‚Aber wenn wir nicht die Pole bekommen, dann sehen wir echt aus wie ein Haufen Trottel!’“

Lewis Hamilton und Nico Rosberg dominierten 2014 nach Belieben, Foto: Sutton
Lewis Hamilton und Nico Rosberg dominierten 2014 nach Belieben, Foto: Sutton

Stimmt die Geschichte des Briten, ging es tatsächlich meistens gut. In 18 der 19 Qualifyings der Saison 2014 erzielte Mercedes die Pole Position. Einzig in Österreich ging gleich die gesamte erste Startreihe an Williams, die - selbst mit Mercedes-Motoren unterwegs - von Fehlern Lewis Hamiltons und Nico Rosbergs profitierten.

Toto Wolff widerspricht: Paddy muss woanders gewesen sein als ich

Lowe selbst wechselte zur Saison 2017 zu eben jenem Williams-Team - und verließ es Anfang 2019 wieder, offensichtlich nicht im Guten. Auch zu Williams äußerte sich Lowe in dem Podcast. So hätten die starken Mercedes-Motoren Williams‘ bereits lange Zeit schleichenden Untergang zu Beginn der Hybridära noch kaschiert. Entspricht Lowes Behauptung zu den heruntergedrehten Motoren bei Mercedes der Wahrheit, würde die Bedeutung der Antriebe für Williams in der gleichen Saison nur noch zunehmen, hatte der Motorenkunde wegen des gegenüber Mercedes weitaus schwächeren Chassis keinen Grund, ebenfalls konservativere Einstellungen zu nutzen.

Toto Wolff und Paddy Lowe am Mercedes-Kommandostand - am selben Ort, Foto: Sutton
Toto Wolff und Paddy Lowe am Mercedes-Kommandostand - am selben Ort, Foto: Sutton

Toto Wolff will von der ganzen Geschichte seines ehemaligen Technikchefs unterdessen nichts wissen. „Paddy muss an einem anderen Ort gewesen sein als ich. Es gibt keine Situation, dass du einen Motor nur runterdrehst, damit die Regeln in deine Richtung gehen“, widerspricht Wolff, nimmt den Vorstoß aber gelassen. „Wir waren 2014 sehr konkurrenzfähig und ich denke, dass jeder das sehen konnte. Es war der Start eines regulatorischen Umfelds, das sowieso nicht geändert worden wäre. Also ja, vielleicht hatte eben Paddy den Eindruck.“