Drei Trainingsbestzeiten und eine überlegene Pole Position mit 0,388 Sekunden Vorsprung. Max Verstappen und Red Bull verfügten beim Saisonstart der Formel 1 in Bahrain tatsächlich über das schnellste Gesamtpaket. Einzig der Rennsieg blieb den Bullen verwehrt, am Ende lachten plötzlich doch wieder die Weltmeister. Mercedes und Lewis Hamilton siegten in der Wüste allerdings auch durch gleich mehrere Umstände. Red Bull litt im Rennen etwa unter technischen Problemen mit dem Differenzial, noch dazu siegte Hamilton via Strategie, nicht im direkten Duell.

„Die Renngötter waren auf unserer Seite“, sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Deshalb habe man gewonnen. Wolff: „Es ist nicht so, dass wir plötzlich eine klasse Performance gefunden hätten. Es war eine Kombination aus einer großartigen Strategie, einem soliden Rennauto und am Ende auch einfach etwas Glück.“ Nur 0,7 Sekunden trennten Verstappen am Ende von Sieger Hamilton.

Wolff warnt: Red Bull überwindet Schwächen

Mercedes ist sich mehr als nur bewusst, wer in Bahrain eigentlich der Schnellste war. Red Bull. Ausgerechnet auch noch in Bahrain. Dort haben die Bullen seit 2013 nicht mehr gewonnen und - 2021 schon mitgerechnet - nur drei Podien erzielt. „Bahrain war nie das stärkste Rennen für Red Bull“ erinnert sich Wolff. „Außerdem waren sie nie von Anfang an [gleich zu Saisonstart] besonders gut. Dieses Wochenende hat allerdings gezeigt, dass das nicht mehr der Fall ist.“

Deshalb und wegen diverser Regularien und Restriktionen hat in Brackley und Brixworth längst das große Zittern begonnen: Droht 2021 tatsächlich die erste Niederlage in der Hybrid-Ära? „Ich habe keinen Zweifel, dass sie extrem schwer zu schlagen sein werden. Sie sind jetzt diejenigen, die vorne liegen“, sagt Wolff.

Mercedes: Auto hat keine Stärken gegenüber Red Bull

Besonders schmerzhaft legt Mercedes’ leitender Ingenieur an der Strecke den Finger in die Wunde. „Wir haben im Vergleich mit ihnen keine Stärken“, sagt Andrew Shovlin. „Und wir hatten viele Jahre, in denen wir uns auf den Speed auf den Geraden oder Highspeedkurven oder die Verbindung von Kurven verlassen konnten. Aber hier haben wir ihnen an keiner Stelle und zu keiner Zeit Zeit abgenommen!“

Klar ersichtlich war das vor allem im Qualifying. Verstappen erzielte seine Pole nicht irgendwie, sondern mit absoluten Bestzeiten in allen drei Streckenabschnitten. Shovlin: „Es gab ein paar Kurven, in denen sie ganze Stücke aus uns gerissen haben - bei Highspeed, aber auch in den Kurven neun und zehn, da waren sie sehr stark. Das ist die Hauptsache. Im Qualifying waren wir in unseren besten Kurven gerade so eben auf ihrer Pace, aber sie waren in den anderen schneller. Also brauchen wir ein schnelleres Auto. Ganz einfach.“

Wolff: Rückstand groß, kaum aufzuholen

Überraschend kommt das alles für Mercedes nicht. Nach den Testfahrten hatte man sogar mit einem noch größeren Rückstand gerechnet. „Das war ein Schritt nach vorne. Wir dachten, der Rückstand wäre doppelt so groß", sagte Hamilton nach dem Qualifying. Hart zu ertragen sei der Rückstand dennoch, ergänzte da Wolff. Aber er sei auch stolz darauf, wie sich das Team nach einem suboptimalen Test zurückgekämpft habe.

Dennoch sei es nun alles andere als leicht, den noch immer klaren und klar ersichtlichen Rückstand aufzuholen. Wolff: „Wir waren im Qualifying vier Zehntel weg und das ist schon ein ganz schöner Abstand, der schwer gutzumachen ist.“ Konkurrenzfähig sei Mercedes zwar gewesen. „Definitiv, wir haben uns von dem Test gut erholt. Aber um zu 100 Prozent ehrlich zu sein, fehlt uns im Qualifying noch immer Pace - und zwar ein ganzes Stück.“

Mercedes in Problemen: Entwicklung verboten & beschränkt

Nicht nur die vor allem schnellen Kurven waren dabei das Problem, auch die Power Unit. "Wir sind mit unserer Energierückgewinnung nicht zufrieden", verriet Wolff Motorsport-Magazin.com. Am Ende der Geraden ging dem Mercedes-Motor die Elektro-Energie aus, während der Honda-Motor im Red Bull die MGU-K weiter befeuerte.

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Deshalb steckt Mercedes nun gleich doppelt in Schwierigkeiten. Beide Probleme lassen sich alles andere als leicht lösen. Ersteres hängt offensichtlich mit dem Anstellwinkel zusammen. Die Boliden mit weniger ‚Rake’, also einem flacher liegenden Auto, scheinen von den aerodynamischen Restriktionen in dieser Saison härter getroffen worden zu sein. Nicht nur Mercedes, auch Aston Martin führt das vor Augen.

Mercedes-Ingenieur: Anstellwinkel nicht mehr zu ändern

"Es gibt definitiv ein Muster", meint Wolff. "Die Autos mit kleinerem Anstellwinkel scheinen mehr verloren zu haben als die mit größerem Anstellwinkel." Shovlin bestätigt: „Das kann gut sein.“ Allerdings könne Red Bull auch einfach besser entwickelt haben. „Es ist jetzt wie es ist“, ergänzt der Brite und deutet damit bereits an: Ändern lässt sich ein solches Konzept - schon unabhängig von noch dazu homologierten Boliden - jetzt ohnehin nicht mehr.

„Wir können ganz sicher nicht plötzlich sagen, dass wir das Heck des Autos um 30 Millimeter anheben und dann eben damit arbeiten. Das würde die Saison abhaken. Wir würden so viel damit verlieren, das wieder auszugleichen“, erklärt der Mercedes-Ingenieur.

Budgetgrenze: Mercedes muss an 2022 denken

Auch regulär wird es für Mercedes knifflig, aufzuholen. Eine Budgetgrenze zwingt Mercedes in ein finanzielles Korsett, gleichzeitig muss ohnehin für 2022 entwickelt werden. Noch dazu ist bereits in diesem Jahr die Zeit im Windkanal noch einmal mehr beschränkt – und das mit einem besonderen Schlüssel, der vor allem die im Vorjahr in der WM besonders gut platzierten Teams bestraft. Also insbesondere Mercedes.

„Diese Saison ist das anders“, klagt Shovlin. „Normalerweise würdest du jetzt einfach in den Windkanal gehen, um einfach zu versuchen, im Lauf des Jahres mehr Downforce draufzupacken.“ Auch die Power Unit würde man entwickeln. Das allerdings ist sogar gänzlich untersagt. Als Sparmaßnahme wegen der Corona-Pandemie sind Performance-Updates während der Saison 2021 vollständig untersagt.

Was Mercedes jetzt noch tun kann

Viele Möglichkeiten bleiben Mercedes daher nicht mehr. „Wir müssen uns raffiniertere Bereiche ansehen, die mit der Fahrbarkeit zu tun haben“, sagt Shovlin. Helfen werde auch, wenn man das Auto einmal besser verstanden hätte und mit aussortierten Problemen des W12 zu den Rennen fahre. Etwa, wie lang die Reifen hielten oder wie die Balance perfekt sei.

„Diese Meisterschaft wird mehr als normal von den kleinen Unterschieden abhängen“, glaubt Shovlin. „Wir haben noch ein Auto, das eine WM gewinnen kann, wenn wir ein paar clevere Entscheidungen treffen, gut damit arbeiten und über das Jahr hinweg auch gut agieren.“

Mercedes: Hängen Red Bull nicht mehr ab

Red Bull über das übliche Entwicklungsrennen auszustechen, das sei so wohl kaum möglich, meint Shovlin. „Ich sehe uns nicht in der Lage, dass wir an einen Punkt entwickeln, an dem wir klar nach vorne kommen könnten“, betont der Brite. Ganz im Gegenteil. Eher heiße es hoffen, dass das der Konkurrenz nicht gelinge. Noch mehr gelinge, könnte mancher Mahner ergänzen …