Eigentlich sollten die Formel-1-Autos in der Saison 2021 langsamer werden. Im Vorjahr stießen die Reifen von Pirelli an ihre Grenzen. Immerhin hatten die Italiener ihre Konstruktion im Vergleich zu 2019 wegen Einwänden der Teams nicht ändern dürfen. Die Autos wurden 2020 allerdings regulär schneller. Das führte zu höheren Kräften und damit zu größerer Belastung der schwarzen Walzen.

Deshalb fielen im vergangenen Jahr aus Sicherheitsgründen gleich zwei Entscheidungen für die nun gekommene Zukunft: 2021 gibt es eine neue und robustere Konstruktion der Reifen. Sechs bis sieben Zehntelsekunden soll das die Formel-1-Boliden laut Pirelli-Angaben allein kosten.

Formel-1-Regeln sollten 2021 zehn Prozent Abtrieb kosten

Hinzu kommen Restriktionen der Aerodynamik an gleich vier Stellen. Der Unterboden ist beschnitten, darf noch dazu keine Löcher und Schlitze mehr aufweisen. Noch bestehen auch an den Strömungsrichtern des Diffusors und den hinteren Bremsbelüftungen Einschnitte. Simulationen prognostizierten im vergangenen Jahr einen Verlust von Abtrieb von rund zehn Prozent.

„Die Kombination dieser vier Effekte in ihrer reinsten Form bringt die Autos auf eine Performance auf 2019er Level", erklärte James Allison, Technikchef bei Mercedes bereits Anfang des Jahres. "Wenn man das einfach nur abschneidet, kann es dich etwa eine Sekunde pro Runde langsamer machen."

Formel-1-Teams versuchen Verlust wettzumachen

Zusammen mit den neuen Reifen erschien der zu erwartende Verlust an Performance gewaltiger als eigentlich homologierte Fahrzeuge denken lassen. „Die Änderungen sind tatsächlich sehr, sehr groß und aus Sicht eines Aerodynamikers stellen sie eine gewisse Form von regulatorischem Vandalismus dar, der die Performance des Autos um etwa eineinhalb Jahre zurückgeworfen hat“, sagte Allison nun in einem neuen Video Mercedes’.

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Allerdings sei den Regelmachern durchaus gewusst gewesen, dass die Teams im Winter alles geben würden, so viel der Verluste zurückzugewinnen wie nur möglich. „Sie haben erwartet, dass wir unseren Job machen, wieder zurück krabbeln und im Winter die Performance wieder ans Auto bringen“, sagte Allison. Das sei auch gelungen, so der Brite - trotz der mit bloßem Auge erkennbaren Probleme bei Mercedes während der Testfahrten.

Max Verstappens Testbestzeit nur 1,3 Sekunden hinter Qualifying

Global gesehen trifft es die Aussage allerdings ziemlich gut. Großartige Rückschläge waren bei den Testfahrten in Bahrain tatsächlich kaum zu erkennen. Max Verstappens Gesamtbestzeit - eine 1:28.960 Minuten - bewegte sich auf Trainingsniveau des Vorjahres, hätte im Qualifying Ende 2020 zum elften Rang in der Startaufstellung gereicht und war keine 1,3 Sekunden langsamer als seine damalige Vorgabe. Und da herrschten bessere, weil vor allem weniger sandige Bedingungen als beim Test.

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Noch dazu fahren die Teams bei Testfahrten selten im absoluten Grenzbereich. Die Motoren werden nicht voll aufgedreht, die Tanks nicht zwingend bis zum äußersten geleert, auch die Fahrer gehen nicht unbedingt ans absolute Limit, um keine wertvolle Testzeit durch Abflüge zu riskieren - gerade 2021 mit nur noch drei Tagen insgesamt.

Pirelli rechnet aus: Unterschied zu 2020 sehr, sehr, sehr klein

Wer das alles mit einkalkuliert, kommt schnell auf den Gedanken, dass den Autos so viel bereits jetzt nicht mehr auf ihr Vorjahresniveau fehlt. Wirklich durchgerechnet hat das bereits Pirellis Sportchef Mario Isola. Der Italiener kam dabei zu einem klaren Ergebnis. „Der Unterschied zum vergangenen Jahr ist sehr, sehr, sehr klein“, bilanzierte Isola.

„Wenn wir berücksichtigen, dass die Strecke vielleicht nicht in perfektem Zustand war, es weniger Abtrieb gibt und auch noch an die Sprintmenge denken, also Benzin-bereinigte Zeiten bedenken, dann glaube ich, dass wir kein Rundenzeit-Delta oder einen Unterschied, was weniger Performance als im vergangenen Jahr angeht, sehen werden.“

Isola: Formel 1 verliert nur vier bis fünf statt zehn Prozent Abtrieb

Stand jetzt hätten die Formel-1-Teams bereits die Hälfte des verlorenen Abtriebs zurückgewonnen, glaubt Isola. „Verglichen mit dem ursprünglichen Plan, der eine Reduzierung des Abtriebs um zehn Prozent vorsah, haben die Teams um die Modifizierungen herumgearbeitet und so liegt die Situation gerade vielleicht bei einer Reduzierung des Abtriebs im Rahmen von vier oder fünf Prozent“, berichtete der Italiener.

Das passt zu Aussagen der Fahrer bei den Testfahrten. „Am Heck haben wir etwas verloren, das spürst du am meisten bei der Traktion. Da muss man etwas sanfter aufs Gas steigen, um durchdrehende Räder zu vermeiden“, sagte Daniel Ricciardo zwar, allerdings nicht ohne Einschränkung. Ricciardo: „Wie die F1 eben ist, holen sie den Abtrieb schon zurück. Vielleicht nicht beim ersten Rennen, aber bald.“

Formel-1-Fahrer erwarten vollständige Rückkehr auf alten Level

Pierre Gasly stimmte dem McLaren-Neuzugang zu und schloss sich auch Isola an. „Ich glaube, dass der Unterschied nicht groß ist. Die Entwicklung geht so schnell, dass wir schon fast wieder da sind, wo wir aufgehört haben. Nach ein paar Rennen sollten wir wieder ganz zurück sein. Beim Fahren hat es sich ähnlich angefühlt“, sagte der AlphaTauri-Pilot.

Auch Isola zeigt sich nicht überrascht, wie schnell die findigen Ingenieure im Winter entwickelten. „Wir wissen, wie gut sie daran sind. Deshalb bin ich froh, dass wir uns letztes Jahr entscheiden haben, parallel in zwei Richtungen zu arbeiten. Einmal den Abtrieb der Autos zu reduzieren und eine Konstruktion [für die Reifen] zu finden, die in der Lage ist, den zusätzlichen Belastungen, die womöglich in der zweiten Saisonhälfte bevorstehen werden, standzuhalten“, sagte der Italiener.

Pirelli erleichtert: Reifen jetzt robust genug

Letztlich laufe es nun darauf hinaus: Die Autos würden genauso schnell sein wie im Vorjahr, aber mit robusteren Reifen. „Ich bin zuversichtlich, dass die neue Konstruktion widerstandsfähiger ist“, sagte Isola. Graining und Blasenbildung seien kein Thema gewesen. Der Reifenfürst zeigte sich derart überzeugt von seinem neuen Produkt, dass Pirelli sich nach dem ersten Tag der Testfahrten bereits dazu entschied, den Teams einen niedrigeren Reifendruck zu gewähren. Um 1,5 PSI reduzierte man den Mindestluftdruck an der Hinterachse.

Auch das leistete einen Beitrag zur besseren Performance. „Damit hat sich die Balance der Autos verbessert, die Tendenz zum Untersteuern verschwand“, berichtete Isola. „Auch die Gefahr von Überhitzungserscheinungen wurde reduziert.“ Hier unterstützen allerdings auch die Bedingungen. Am Samstag ging die Außentemperatur um zehn Grad Celsius gegenüber Freitag zurück.

Pirelli senkt Mindestluftdruck: Im Zweifel Rolle rückwärts

Mit dem Luftdruck verfügt Pirelli im weiteren Saisonverlauf über ein Mittel, reagieren zu gönnen. Zum Saisonstart will man es zunächst bei der Reduzierung belassen. Sollten die Reifen irgendwann jedoch erneut nicht mehr mit dem Speed der Autos mithalten, können sich die Teams bereits auf die berühmte Rolle rückwärts gefasst machen. Isola: „Wenn die Teams im Lauf des Jahres noch mehr Abtrieb zurückgewinnen und die Belastung der Reifen wieder steigt, behalten wir uns vor, nachzujustieren und den Mindestluftdruck wieder anzuheben."

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