Es war der 25. September 2005 in São Paulo, als der junge Spanier Fernando Alonso bei bewölktem Wetter nach exakt einer Stunde 29 Minuten 45 Sekunden und 414 Millisekunden die Ziellinie überquerte und in damit zum bis dato jüngsten Formel-1-Weltmeister der Geschichte gekürt wurde. Die Erleichterung stand Renault-Teamchef und Alonso-Entdecker Flavio Briatore am Kommandostand ins Gesicht geschrieben. Schließlich wurde mit dem finalen Rennresultat klar, dass sein Schützling in den verbliebenen zwei Rennen nicht mehr von Kontrahent Kimi Räikkönen, der seine Runden damals noch für McLaren-Mercedes drehte, eingeholt werden konnte.

Umso überraschender war es in weiterer Folge aber, dass es Norbert Haug - damaliger Mercedes-Motorsport-Chef - war, der Briatore als Erster seine Glückwünsche für den Erfolg äußerte. Im Hinterkopf dürfte er dabei wohl gehabt haben, dass ihnen die zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht entschiedene Konstrukteurs-WM als Trostpreis hätte bleiben können. Doch auch hier musste McLaren-Mercedes beim letzten Rennen der Saison in Shanghai klein beigeben, womit Renault das Double aus Konstrukteurs- und Fahrertitel perfekt machen konnte. Im Jahr davor wäre ein derartiger Erfolg für die Franzosen noch undenkbar gewesen, hatte die Ferrari-Dominanz doch gerade ihren Höhepunkt erreicht.

Schumacher lässt Ferrari-Mythos wiederbeleben

Nachdem Michael Schumacher 1996 zu Ferrari gestoßen war, wirkte es lange Zeit so, als wäre ihm der ersehnte Fahrertitel mit den Italienern einfach nicht vergönnt. Doch der Kerpener hatte nach all den unglücklichen Jahren Blut geleckt und sollte sich 2000 mit seinem ersten Fahrertitel für Ferrari belohnen.

Schumacher durfte in Belgien 2004 seinen siebten WM-Titel feiern, Foto: Sutton
Schumacher durfte in Belgien 2004 seinen siebten WM-Titel feiern, Foto: Sutton

Was folgte, ist bis heute Motorsport-Geschichte: Michael Schumacher dominierte die ersten fünf Jahre des neuen Jahrtausends nach Belieben und meißelte Rekorde in die Geschichtsbücher der Formel 1, die eigentlich für die Unendlichkeit schienen. Zwischen 2000 und 2004 gewann der Kerpener von 85 gefahrenen Rennen sage und schreibe 48 und entschied außerdem alle fünf Weltmeisterschaften am Stück für sich. Als eine seiner Karriere-Höhepunkte dürfte dabei vor allem die 2004 hingelegte Siegesserie von zwölf Rennsiegen aus 13 Rennen gelten, was bis heute immer noch nach seinesgleichen sucht. 2005 sollte schließlich der achte Streich folgen, doch am Ende kam alles ganz anders.

Regeländerungen für mehr Spannung

Um den Wettkampf für die kommenden Jahre zu fördern, entschied sich die FIA zu radikalen Einschnitten in das Reglement. Knackpunkt dieser Angelegenheit: Die neuen Regeländerungen für die Saison 2005 wurden 2004 erst sehr spät beschlossen, was die Winterpause für viele Teams immens erschwerte und teilweise zu ungewollten Kompromissen führte.

Die neuen Regeln sahen auf technischer Seite unter anderem eine höhere Nase und ein in seiner Gesamthöhe reduzierten Diffusor vor. Auch die Zuverlässigkeit der Autos sollte zukünftig mehr in den Fokus rücken: Die Dreiliter-Zehnzylinder-Motoren mussten fortan zwei aufeinanderfolgende Rennwochenenden am Stück halten. Zudem durfte von jedem Fahrer nur noch ein Reifensatz für das gesamte Qualifying und Rennen verwendet werden.

Mit neuen Kräfteverhältnissen in die Saison

Abgesehen von diesen Veränderungen machten es die Bedingungen der ersten Rennen generell schwer, Aussagen über die wahren Leistungsunterschiede der einzelnen Teams zu treffen. Nur eins war von Anfang an klar: Das in den vorangegangenen Jahren erstarkte Renault-Werksteam hatte mit dem R25 ein richtig schnelles Auto gebaut. So gingen die ersten vier Rennen allesamt an den französischen Rennstall. Den Anfang machte Giancarlo Fisichella mit dem Auftaktsieg in Melbourne, gefolgt von drei Siegen am Stück, die Teamkollege Alonso einheimsen konnte.

Auch McLaren-Mercedes etablierte sich neben Renault als ernstzunehmender Titelkandidat. Mit andauender Saison wurde deutlich, dass der MP4-20 sogar das schnellste Auto im Feld war. Dass schneller allerdings nicht immer als Definition für besser durchgeht, mag in der Formel 1 zwar paradox klingen, mussten 2005 aber sowohl Räikkönen als auch Montoya einige Male bitter zur Kenntnis nehmen.

Grund dafür waren vor allem Zuverlässigkeitsprobleme der beiden Silberpfeile. Im Gegensatz zu Renault bekam es das Team aus Woking nämlich einfach nicht hin, den Spagat zwischen Leistung und Zuverlässigkeit zu schaffen, was beiden Fahrern besonders zu Beginn, aber auch im weiteren Verlauf der Saison jede Menge Punkte kosten sollte. Unvergessen bleiben die Bilder aus in Hockenheim oder Imola, wo Räikkönen jeweils in Führung liegend von der Technik im Stich gelassen wurde.

Bilder wie diese waren 2005 keine Seltenheit, Foto: Sutton
Bilder wie diese waren 2005 keine Seltenheit, Foto: Sutton

Auch bei der Scuderia sorgten 2005 verschiedene Komponente für Kopfzerbrechen. Vor allem die neuen Reifenregeln machten den Italienern ordentlich zu schaffen. Das Team aus Maranello bezog seine Reifen nämlich von Bridgestone, die sonst nur Minardi und Jordan belieferten. Angesichts der geringen Anzahl an Kundenteams hatte der Reifenhersteller einen immensen Nachteil gegenüber Konkurrent Michelin, die den Rest des Feldes ausstatteten. Letzterer konnten seine Pneus dadurch wesentlich schneller und vor allem effizienter entwickeln, was sich aufgrund der neuen Regeln als Trumpf herausstellen sollte. Hinzukam, dass die neuen Bridgestone-Reifen nicht gerade für ihre Langlebigkeit bekannt waren, was Ferrari von Beginn an in eine prekäre Situation brachte.

Auch in Sachen Chassis hing man den anderen Top-Teams deutlich hinterher. Dies führte in den ersten Rennen der Saison letztlich zum Einsatz einer modifizierten Version des Vorjahres-Autos, mit der beide Fahrer aber mehr hinterherfuhren als vorne anzugreifen. Der F2005 sollte sein Debüt nämlich erst feiern, wenn die Testergebnissen des neuen Renners zufriedenstellend waren. Dazu kam es schließlich beim dritten WM-Lauf in Bahrain, bei dem Schumacher die Qualifikation prompt mit einem beindruckenden zweiten Platz beendete. War der F2005 also der lang ersehnte Game Changer, der dem Altmeister dabei helfen sollte, seinen Weltmeistertitel vor den jungen Wilden Alonso und Räikkönen zu verteidigen? Der Große Preis von Bahrain war auf jeden Fall ein Lebenszeichen des Ferrari-Lagers, auch wenn Schumacher nach einer starken Anfangsphase aufgrund eines technischen Defekts vorzeitig aufgeben musste.

Imola 2005, Wendepunkt der Formel-1-Geschichte

Sinnbildlich für den Generationswechsel der Formel 1 dürfte wohl der Große Preis von San Marino gewesen sein. Nach einem starken dritten Platz im Q1 ließ Schumacher im Q2 am Sonntagmorgen durch einen Ausritt viel Zeit liegen, weshalb er das Rennen nur von einem enttäuschenden 13. Platz in Angriff nehmen musste. An einen Sieg war also gar nicht mehr zu denken. Im Laufe des Rennens stellte sich allerdings heraus, dass der Streckenbelag den Bridgestone-Reifen des Ferraris ausnahmsweise entgegenkam. Der amtierende Weltmeister nutze die Gunst der Stunde und fuhr eine schnelle Zeit nach der anderen.

Auch an jenem Wochenende litt Räikkönen unter den gewohnten Zuverlässigkeitsproblemen seines Renners. Nach einem guten Rennstart von der Pole Position und einer souveränen Führung schied der Finne in Runde neun technikbedingt aus und musste Alonso kampflos vorbeiziehen lassen. Das Rennen schien damit bereits entschieden, doch Schumacher sollte die Angelegenheit noch einmal spannend machen und holte einen relativ großen Abstand zu Alonso auf.

Zehn Runden vor Schluss hing der Kerpener dann mit einem deutlichen Geschwindigkeitsüberschuss im Heck des Spaniers, der außerdem Probleme mit dem Motor und seinen Reifen hatte und dementsprechend nicht die volle Pace seines Wagens abrufen konnte. Entgegen aller Erwartungen ließ der Prinz aus Asturien den Ferrari hinter sich aber einfach nicht durch. Schumacher wusste, dass seine einzige Chance darin bestand, von einem Fehler seines Gegners zu profitieren - dieser Fehler traf bis zur letzten Sekunde des Rennens jedoch nicht ein. Letztlich gewann Alonso das Rennen auf eine Art und Weise, die einmal mehr deutlich machte, dass es die Formel 1 mit einem neuen Champion zu tun hatte. Es war ein Rennen, von dem der legendäre Sky-Kommentator Jacques Schulz nach der Zieleinfahrt sagen sollte, dass man noch in 20 Jahren davon sprechen werde - wie recht er doch hatte.

An Alonso gab es für Schumacher keinen Weg vorbei, Foto: Sutton
An Alonso gab es für Schumacher keinen Weg vorbei, Foto: Sutton

"Indygate" überschattet WM-Kampf

Trotz starker Leistungen in Bahrain und Imola kam der F2005, der wie sein unmittelbarer Vorgänger Probleme mit dem Reifenabbau hatte, eher einem One-Hit-Wonder als einer dauerhaften Errettung gleich und so mussten sich die Ferrari-Fans wieder an das Bild des Saisonanfangs gewöhnen, bei dem man fernab von jeder Siegchance fuhr. Einzige Ausnahme war der Große Preis der USA in Indianapolis, der allerdings unter krummen Voraussetzungen stattfand.

Der Skandal begann bereits am Freitag, als einer der Michelin-Reifen an Ralf Schumachers Toyota den Kräften der Steilkurve vor Start-Ziel nicht standhalten konnte und der Wagen daraufhin mit voller Wucht in die Streckenbegrenzungen prallte. Aufgrund der davongetragenen Verletzungen fiel der jüngere der beiden Schumacher-Brüder für das restliche Wochenende aus. Infolgedessen gab der französische Reifenhersteller Michelin nach dem Qualifying bekannt, dass er nicht für die Sicherheit der Reifen garantieren könne, weshalb sich das Fahrerlager zu einem Kompromiss gezwungen sah. Vorhaben wie etwa eine zusätzliche Schikane vor der Steilkurve scheiterten letztlich aber an Ferrari-Teamchef Jean Todt und FIA-Boss Max Mosley.

Nur sechs Fahrer bestritten den Großen Preis der USA, Foto: Sutton
Nur sechs Fahrer bestritten den Großen Preis der USA, Foto: Sutton

Da schließlich keine Einigung erzielt werden konnte, entstand ein Situation, die sich zuvor niemand hätte ausdenken können: Alle Fahrer, die auf dem Michelin-Reifen unterwegs waren, bogen noch in der Einführungsrunde in die Boxengasse ab, was dazu führte, dass nur die drei Bridgestone-Teams - Ferrari, Jordan und Minardi - am tatsächlichen Rennen teilnahmen. Das sorgte bei den Fans für viel Protest, die die Tribünen daraufhin massenhaft verließen oder vermehrt Gegenstände auf die Strecke warfen, weshalb kurzeitig sogar gelb-rote Flaggen geschwenkt werden musste. Schumacher konnte das Skandal-Rennen am Ende vor Teamkollege Barrichello für sich entscheiden, was allerdings sein einziger Sieg 2005 bleiben sollte. Das einzige Podium seiner Karriere erzielte zudem der sonst chancenlose Jordan-Pilot Monteiro. Die Podiumsfeierlichkeiten fanden unter Buhrufen statt.

Alonso lässt nichts mehr anbrennen

Fernando Alonso konnte in der ersten Saisonhälfte ein dickes Punktepolster gegenüber der Konkurrenz rausfahren. Auch wenn er durchweg von Fehlern seiner Konkurrenz profitieren konnte, war sein Erfolg nicht ausschließlich fremdverschuldet. Schließlich bekam McLaren seine Probleme zum Ende der Saison in den Griff und konnte stolze sieben der letzten neun Rennen für sich entscheiden. Alonsos Klasse blitzte jedoch nahezu in jedem einzelnen dieser Rennen auf und der Spanier überzeugte nicht nur mit seiner aggressiven Fahrweise, bei der er mit ruckartigen Lenkbewegungen das Auto im Kurveneingang bewusst zum Untersteuern brachte, um dann im Kurvenausgang durch ein kontrolliertes Gaspedal eine bessere Beschleunigung aufbauen zu können, sondern auch durch seine Konstanz. So durfte der Asturier auf die gesamte Saison gesehen ganze 15 Mal an der finalen Podiumszeremonie teilnehmen und stand dabei sogar sieben Mal selbst ganz oben auf dem Siegertreppchen.

Dass Alonso einmal ein ganz Großer werden würde, das wurde den meisten aber nicht erst im Laufe des Jahres 2005 bewusst, denn bereits vor jener Saison durfte er sich jüngster Rennsieger, jüngster Fahrer auf einem Podium oder auch jüngster Polesetter der Geschichte nennen. Die Leistungen der Jahre davor durften also bereits Großes erahnen lassen. Mit seinem Titelgewinn war er zudem der erste Weltmeister im neuen Jahrtausend, der nicht Ferrari-Fahrer war und nicht Michael Schumacher hieß.

Dementsprechend dürften vor allem spanische Fans die Saison 2005 weiterhin mit besonderen Gefühlen verbinden. War es doch ihr Landsmann, der die WM-Krone als erster Spanier überhaupt in die Heimat brachte. Einem Land, ohne Tradition in der Formel 1 - ein Nationalheld war geboren und sein Name lautet: Fernando Alonso.

Im nächsten Teil: 2006 - Schumis letzter Großangriff auf den Titel, Alonsos zweites und letztes (?) Meisterstück.