Carlos Sainz hat sich in der Formel 1 etabliert. Einst im Schatten von Max Verstappen wurde der Spanier 2019 im McLaren nicht nur Best of the Rest, sondern sogar Sechster in der WM. 2021 ersetzt er Sebastian Vettel bei Ferrari. Motorsport-Magazin.com sprach mit Carlos Sainz, der den Junior-Titel längst abgelegt hat.

Das Interview ist in der 74. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 03. September 2020 erschienen.

Du bist 2019 zu McLaren gekommen. 2018 war das Team siebte Kraft, gebeutelt von drei Honda-Jahren und einem nicht erfolgten Aufschwung im ersten Renault-Jahr. Seither hat sich in Woking eine Menge getan. Wie hast du den Wandel erlebt?
Carlos Sainz: Die Ergebnisse sprechen für sich. Es gab große Fortschritte in allen Bereichen. Es gab Ende 2018 große Veränderungen bei der Herangehensweise. Das hat ein neues Umfeld und eine neue Situation für jeden geschaffen. Ab diesem Zeitpunkt hatte das Team einen positiven Trend. Als ich Ende 2018 dazugekommen bin, habe ich diesen Wandel sofort gespürt und habe eine positive Energie im Team gefühlt. Das hat mich sehr motiviert, mit meiner Erfahrung und meinen Ergebnissen so gut wie möglich zu helfen.

Wir hatten dann eine sehr gute Saison 2019 und es fühlt sich so an, als hätten wir das Momentum nach 2020 mitgebracht. Auf persönlicher Seite bin ich sehr stolz, dazu beigetragen zu haben. Aber es ist eine Teamleistung und wir müssen als Team weiter pushen, damit wir weiter Fortschritte machen. Wir sind uns aber auch der Tatsache bewusst, dass wir von der Spitze, also Mercedes, noch immer sehr, sehr weit weg.

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Du bist über die Zwischenstation Renault zu McLaren gekommen. Mit deinem Wechsel zu Renault hast du aber schon das Red-Bull-Camp verlassen. Wie hast du dich seither persönlich entwickelt?
Carlos Sainz: Ich glaube, du änderst dich mit Erfahrung von Natur aus, es ist ein ganz natürlicher Prozess. Was mir wirklich Ruhe und extra Fokus gebracht hat war die Möglichkeit bei McLaren, mit meinem ersten Zweijahresvertrag zum ersten Mal ein wenig Zeit zu haben. Zeit, um mich in ein Team einzuleben. Zeit, um ein Umfeld zu kreieren. Zeit für ein mittelfristiges Projekt, in dem mein Feedback und mein Input bei der Fahrzeugentwicklung nicht nur für das aktuelle Fahrzeug berücksichtigt wird, sondern auch für die zukünftigen Jahre. Das hat für mich funktioniert, das hat sich ausgezahlt. Ich bin glücklich darüber, wie der neue Carlos von 2019 performt hat und wie ich damit auch dem Team helfen konnte, sich zu entwickeln.

Wenn wir schon beim neuen Carlos sind: In all unseren bisherigen Interviews haben wir miteinander über ein gewisses Arschloch-Gen diskutiert. Du meintest, man braucht es zur richtigen Zeit und da manchmal umso mehr. Das wäre uns in den letzten Jahren aber nicht aufgefallen...
Carlos Sainz: Dieses Arschloch-Gen ist immer da, sobald ich den Helm aufziehe. Hoffentlich nennt ihr mich nicht Arschloch, wenn ich den Helm abnehme! Ich werde immer versuchen, das abseits der Strecke nicht zu sein. Aber sobald ich den Helm aufhabe... Ich fahre Rennen, seit ich ein Kind bin und jedes Mal, wenn ich den Helm aufziehe, versuche ich aggressiver zu sein als zuvor - bis ich ein gewisses Limit finde. Dann komme ich wieder etwas runter. So habe ich es 2019 gemacht: Viele aggressive Starts, aggressive Manöver, immer ein bisschen wie ein Arschloch gedacht. Das hat 2019 sehr gut funktioniert und tut das auch hoffentlich 2020.

Obwohl du mit deinen 26 Jahren selbst noch sehr jung bist, hattest du fast immer jüngere Teamkollegen in der Formel 1 - und auch bei Ferrari wird es dann so sein. Nur Nico Hülkenberg bei Renault war erfahrener. Vermisst du das etwas?
Carlos Sainz: Es war sehr nützlich, einen Teamkollegen wie Nico zu haben. Vielleicht hatte ich da eine der steilsten Lernkurven in meiner Karriere, weil ich endlich gegen einen erfahrenen Teamkollegen fuhr. Nach Max [Verstappen], Daniil [Kvyat] und ein paar Rennen mit Pierre [Gasly] war das ein sehr wichtiges Jahr, von so einem talentierten und erfahrenen Piloten wie Nico zu lernen. Das hat mir Vertrauen für 2019 bei McLaren gegeben. Ich würde Nico gerne wieder in der Formel 1 sehen, er ist ein großartiges Talent und das war definitiv sehr nützlich für mich.

Carlos Sainz und Nico Hülkenberg waren Teamkollegen bei Renault, Foto: Sutton
Carlos Sainz und Nico Hülkenberg waren Teamkollegen bei Renault, Foto: Sutton

Du hast dich nun für Ferrari entschieden. Bei McLaren ist gerade alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die Stimmung passt, die Ergebnisse, der Trend. Hast du keine Angst, das verlieren zu können?
Carlos Sainz: Nein, ich habe da für meine Zukunft keine Angst oder irgendetwas in diese Richtung. Ich halte Ferrari für eine großartige Gelegenheit, für einen weiteren Schritt in meiner Karriere. Ich habe mit Ferrari wieder einen Zweijahresvertrag. Das gibt mir die Möglichkeit, wieder auf etwas aufzubauen und auf Erfahrung zu setzen. Das mag ich persönlich. Das ist eine großartige Herausforderung und wir wissen noch nicht, wo Ferrari 2021 stehen wird.

Aber mal abgesehen von Ferrari: Die Stimmung, die ihr bei McLaren habt, deine Beziehung zum Teamkollegen, das gibt es doch nirgends in der Formel 1...
Carlos Sainz: Das ist fantastisch, da werde ich nicht lügen. Die Situation und die Stimmung bei McLaren sind derzeit großartig und das genieße ich sehr. Aber wenn ich woanders hingehe, dann denke ich, dass ich das gleiche Umfeld auch dort kreieren kann. Wenn nicht, würde ich nicht wechseln. Ich glaube, dass die gleiche Stimmung und die gleiche Situation auch wo anders geschaffen werden können. Natürlich sind es andere Menschen, aber das Ziel ist das gleiche. Ich werde auch nächstes Jahr nach Italien nahe zur Fabrik ziehen, um das gleiche Umfeld zu erzeugen, das ich hier bei McLaren hatte.

Deine spezielle Beziehung zu Lando ist hinlänglich bekannt. Wie sieht es mit Charles aus? Redet ihr viel miteinander? Macht ihr schon gemeinsame Pläne?
Carlos Sainz: Meine persönliche Beziehung zu Charles ist ziemlich gut. Schon bevor das Ganze mit Ferrari begann, hatte ich eine gute Beziehung zu ihm. Ich freue mich, darauf aufzubauen. Wir sind in einem ähnlichen Alter, wir haben ähnliche Hobbys. Wir verstehen uns einfach sehr gut, wir sprechen oftmals bei der Fahrerparade. Darauf freue ich mich. Wie Ihr gut erkannt habt, ist die Beziehung zu Lando ziemlich speziell. Aber hoffentlich werde ich Lando nicht zu sehr vermissen, weil Charles auch ein toller Kerl ist.

Carlos Sainz und Charles Leclerc haben eingie Gemeinsamkeiten, Foto: LAT Images
Carlos Sainz und Charles Leclerc haben eingie Gemeinsamkeiten, Foto: LAT Images

Wie würdest du deine Beziehung zu Charles mit jener vergleichen, die du damals bei Toro Rosso mit Max hattest?
Carlos Sainz: Das weiß ich nicht, weil ich mit Charles noch nicht im gleichen Team gefahren bin. Deshalb ist es schwierig, so etwas zu sagen, weil man noch nicht in denselben Meetings war. Das muss noch passieren, genauso wie gemeinsame Dinge erleben, PR-Events abspulen und solche Dinge. Ich persönlich - und das ist hoffentlich kein Geheimnis - komme sehr gut mit Max aus. Wir kommen beide sehr gut miteinander klar, auf und abseits der Strecke. Wir hatten bei Toro Rosso gemeinsam ein sehr hartes Rookie-Jahr. Aber man darf nicht vergessen, dass man bei Toro Rosso gegen seinen Teamkollegen um ein Cockpit bei Red Bull kämpft. Du hilfst deinem Team, ja, aber du hast auch deine persönlichen Interessen, um eine Chance bei Red Bull zu bekommen. Das Szenario, in dem Toro-Rosso-Fahrer sind, ist etwas anders. Bei Renault, McLaren und Ferrari hast du ein anderes Szenario.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich der letzte spanische Fahrer bei Ferrari versucht hat: Fernando Alonso. Er ist auch dein Idol. Habt ihr schon darüber gesprochen? Gibt es Ratschläge?
Carlos Sainz: Nein, ich habe noch nicht mit ihm gesprochen. Ich habe ihm nur eine Nachricht geschickt und ihn wieder in der Formel 1 begrüßt. Ich war nicht in Kontakt mit ihm, um über Ferrari oder Renault zu sprechen. Ich bin mir sicher, er wäre auch an meinen Erfahrungen mit Renault interessiert. Aber wir haben uns seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr gesehen.

Alonso ist damals bei Ferrari gescheitert. Sein Nachfolger Sebastian Vettel scheitert nun ebenfalls. Das sind insgesamt sechs WM-Titel, die es dort nicht geschafft haben. Was gibt dir das Vertrauen, dort ein besseres Schicksal zu haben?
Carlos Sainz: Das ist eine gute Frage. Statistisch gesehen sind wir aber nicht mehr weit weg davon, dass Ferrari wieder eine WM gewinnt. Es ist das erfolgreichste Team der Formel-1-Geschichte. Statistisch gesehen sind wir dann nicht weit von einem weiteren Titel entfernt. Aber ich glaube, ich brauche noch Zeit: Ich muss zum Team stoßen, die Dinge von innen analysieren und mir mein eigenes Bild machen. Im Moment ist das einzige, das ich gemacht habe, mit Mattia [Binotto] gesprochen und einen Vertrag unterschrieben. Das ist es. Ich bin nicht tief genug in der Materie drinnen, um zu wissen, was im Moment bei Ferrari passiert. Deshalb ist es zu früh etwas zu sagen.

Als ich aufgewachsen bin, gab es diesen großartigen Kampf zwischen Ferrari und McLaren 2007 und 2008. Das ist die goldene Ära der Formel 1, das waren die Jahre, die ich am meisten genossen habe. Die Möglichkeit zu haben, in diesem Team die nächsten zwei Jahre zu fahren, ist etwas sehr Spezielles. 2008 war ich 14 Jahre alt. Die Chance, für diese zwei Teams zu fahren, die damals so erfolgreich waren, als ich so ein großer Formel-1-Fan war, macht mich sehr stolz. Der Wechsel zu Ferrari ist nicht nur aufgrund der Performance, es geht auch um den Mythos. Ferrari-Fahrer zu sein ist das Ziel eines jeden Rennfahrers. Ich werde das im nächsten Jahr erreichen, da werde ich nicht besorgt sein. Es ist etwas super Spezielles, worauf ich nicht warten kann, das zu leben.

2021 ist ein großer Teil des Autos eingefroren. Das mag aus Ferrari-Sicht nicht unbedingt gut sein. Aber hilft es dir, dich ins Team zu integrieren, weil sie das Auto zumindest schon kennen?
Carlos Sainz: Ich glaube, sie sind die ersten, die das diesjährige Auto verbessern wollen und Möglichkeiten für nächstes Jahr schaffen. Aber ich bin nicht in diesem Team, weiß nicht, was da vor sich geht. Ich kenne die exakten Probleme nicht, die sie dieses Jahr haben.

Schlechtes Auto, Nummer-zwei-Fahrer, ... wie nervig ist es, jetzt schon die ganzen negativen Ferrari-Fragen beantworten zu müssen?
Carlos Sainz: Ich habe echt kein Problem damit, Fragen zu Ferrari zu beantworten - auch wenn ich das zur Zeit sehr oft mache... Aber ihr kennt meine Antworten inzwischen, die werden sich nicht ändern. Aber wenn ich hier [bei McLaren, Anm. d. Red.] fahre, denke ich nicht an Ferrari. Ich frage mich: Wie kann ich morgen ein gutes Qualifying abliefern? Mein Kopf ist komplett auf McLaren fokussiert und wie ich dieses Auto schneller machen kann. Ich will Podien, ich will die bestmöglichen Ergebnisse. Wenn Ihr mich über Ferrari fragt, muss ich richtig überlegen, weil ich einfach nicht daran denke.

Wenn wir ans andere Ende der Stimmungs-Skala kommen: Wie sieht dein Exit-Szenario bei McLaren aus? Darfst du noch an allen Meetings teilnehmen?
Carlos Sainz: Bislang ja - soweit ich weiß [lacht]. Wir sind noch früh im Jahr, da bin ich mir ziemlich sicher, dass sie mir alles sagen. Ich war auch ein paar Mal im Simulator und habe Tests für Ende des Jahres gemacht, auch Tests, die für 2021 helfen könnten. Ich habe dem Team so gut wie möglich geholfen und ich glaube, wir können davon beide profitieren, weil ich einen Vertrag mit McLaren bis Ende des Jahres habe. Ich bin froh, ihnen zu helfen. Das wissen sie auch. Beide Seiten haben sich bislang exzellent verhalten, so wie es auch während der Vertragsverhandlungen war. Es ist auch jetzt exzellent, das genieße ich und freue mich noch immer, zu sehen, wie sich das Team weiterentwickelt.

Alles zu Mick Schumachers Formel 1-Einstieg! MSM Ausgabe 76 (02:21 Min.)

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