Dieser Tage möchte ich wirklich nicht in Günther Steiners Haut stecken - und das nicht nur, weil dann jeder Zweite von mir eine 'F***ing' Fluch- und Schimpftirade erwarten würde. Vor zwei Wochen schienen die Zeichen für das Haas F1 Team nach dem Rummel um die Verpflichtung von Mick Schumacher und dem zum Glück glimpflichen Ausgang des Horrorunfalls von Romain Grosjean noch positiv zu stehen. Dann kam Nikita Mazepin. Ein Instagram-Video von knapp einer halben Minute veränderte alles.

Es war richtig von Günther Steiner und dem Team, zunächst nicht unüberlegt und ohne genaues Hintergrundwissen auf die Affäre zu reagieren. Solche Schnellschüsse haben in der Vergangenheit zu oft in unterschiedlichsten Branchen und Situationen zu Eigentoren geführt - meiner Meinung nach unter anderem im Fall Daniel Abt, der übrigens in keiner Weise mit Mazepins Verhalten auch nur annähernd zu vergleichen ist. Um das gleich vorwegzunehmen.

Herausfinden, was genau passiert ist, mit allen Beteiligten sprechen und dann über das weitere Vorgehen intern beraten - soweit hat Haas in meinen Augen alles richtig gemacht. Zwei Punkte muss ich dennoch kritisieren: Sie haben sich sehr lange für eine Lösung oder zumindest eine öffentliche Aussage Zeit gelassen und sie präsentierten mit ihrem heutigen Statement eine unzureichende Auflösung.

Es ist verständlich, wenn sie nicht alle Details veröffentlichen wollen, doch mit der Aussage 'wir klären das intern und man wird vielleicht nie etwas darüber erfahren' öffnen sie alte Formel-1-Wunden, die seit Ende Februar noch nicht verheilt sind. Denn genau ein solches Stillschweigen über interne Abmachungen hat die FIA und Ferrari kurz vor dem ursprünglichen Formel-1-Saisonstart 2020 an den Motoren-Pranger gestellt - an dem sie diesbezüglich bis heute stehen.

Mir reicht es nicht, zu sagen, man habe sich intern mit dem Thema befasst. Zumindest die Begriffe Disziplinarstrafe, Sanktionen oder Strafe allgemein sollten in diesem Fall schon fallen, ansonsten erweckt es schnell - zu Recht oder zu Unrecht - den Eindruck, man wolle nur den Sohn eines Geldgebers schützen, der zum Überleben des Rennstalls benötigt wird.

Wenn das Team das Ausmaß der Bestrafung nicht nennen möchte, ist das in Ordnung, wobei es in einem solchen medial aufgeblasenen Fall sicher nicht schaden kann. Um etwas unter den Teppich zu kehren und zu hoffen, es wird schnell vergessen, war es nach dem viralen Video, das Mazepin selbst zu verantworten hat, längst zu spät.

Aber was wäre die richtige Strafe für den F1-Rookie? Noch ein Grund, warum ich nicht in Günther Steiners Haut stecken möchte. Ist Mazepins Verhalten und die Dummheit, das Video selbst zu posten oder zuzulassen, dass es veröffentlicht wird, zu 100% zu verurteilen? Um es mit Steiners Worten zu sagen: Abso-f***ing*-lutely.

Wenn Mazepin und alle, die Betonung liegt auf 'alle', seine Freundinnen und Freunde sich gerne so verhalten, sollen sie es in ihren vier Wänden so machen. Es in alle Welt zu posaunen ist jedoch nicht nur inakzeptabel, sondern auch dumm. Als frisch gebackener Formel 1-Pilot ein paar Tage nach der Vertragsunterschrift sogar saudumm. Sollte Mazepin dafür sein Cockpit und damit seinen Job verlieren?

Eine schwierige Frage, die ich in erster Instanz in unserem MSM Live-Stream mit ja beantwortet habe. Andererseits sollte man immer bedenken, dass jeder Fehler macht, manche sind unverzeihlich, dieser muss auf jeden Fall Folgen haben, aber müssen es gleich die schlimmsten sein? Wenn er sich der Sache stellt, seinen Fehler offen und ehrlich zugibt, eine entsprechende Strafe akzeptiert und sich wirklich bessert - warum sollte man einem 21-Jährigen eine zweite Chance verwehren, die an sich jeder verdient hat? Oder sollte das nicht sofort gelten und erst nach einiger Zeit der Reue, in der er den Beweis erbracht hat, dass er sich gebessert hat? Keine einfache Situation.

Manche Beobachter vergleichen den Vorfall mit den Eskapaden rund um Formel 1-Legenden wie James Hunt oder später Geschichten aus Kimi Räikkönens wilderen, ersten F1-Jahren. Diesen Gedankenspielen zu Mazepins 'Verteidigung' kann ich mich definitiv nicht anschließen. Denn dabei gilt es, einige entscheidende Unterschiede zu beachten: Zunächst handelt es sich um gänzlich unterschiedliche Vorfälle und Situationen, die nicht miteinander vergleichbar sind.

Viel wichtiger ist aber, dass sich die Zeiten über drei bis vier Jahrzehnte nun einmal verändert haben - in mancher Hinsicht zum Schlechteren, in vielerlei aber auch zum Besseren. Das Aufkommen von Social Media dürfte genau in der Mitte zwischen besser und schlechter stehen. Die Verurteilung eines solchen Fehlverhaltens gehört aber definitiv zu den guten Entwicklungen der heutigen Zeit.

Dabei dürfen wir nicht vergessen: Selbst wenn sich in den wilden Jahren der Formel 1 ein Fahrer so verhalten hätte, das Äquivalent zu Mazepins Social-Media-Auftritt wäre in der damaligen Zeit gewesen, es selbst in einer Zeitschrift oder TV-Sendung auf der Welt zu verbreiten. Und daran hätten auch damals einige Menschen zu Recht Anstoß genommen.

Schlussendlich führt der Fall Mazepin uns allen einmal mehr vor Augen, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, was wir tun und jeder für sich dazu angehalten ist, erst nachzudenken, bevor er etwas über die einschlägigen Social-Media-Kanäle unwiderruflich in aller Welt verbreitet - egal, ob Rennfahrer, Promi oder jeder von uns normalen Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, was man teilt oder wem man worauf auch immer antwortet. Es gilt immer: Erst denken, dann posten - und dabei die guten Manieren nicht vergessen.