Geld schießt keine Tore. Das Zitat geht zurück auf den legendären Fußballtrainer Otto Rehhagel. 'König Otto' ließ sich im Jahr 1990 zu dieser Aussage hinreißen. 30 Jahre später würde er das vermutlich nicht mehr unterschreiben. Die reichsten Fußballclubs werden immer reicher, kaufen die besten Spieler und gewinnen immer mehr. Kinder, die 2019 eingeschult wurden, haben noch keinen anderen Deutschen Meister als den FC Bayern München erlebt. Geld schießt eben doch Tore. Die Gleichung lässt sich eins zu eins auf die Formel 1 übertragen: Hier verhält sich das Geld zwar nicht direkt proportional zu den Toren, aber zur Performance und damit auch zum Erfolg. Wer 2020 eingeschult wird, hat noch nie einen anderen Weltmeister als Mercedes erlebt. Geld regiert die Welt, Geld regiert den Sport.

Budgetobergrenze. Kaum ein Wort hat die Gemüter der Formel-1-Obrigkeit in den letzten Jahren so sehr erhitzt wie dieses. Auf die genauen Modalitäten des Budget Cap und die Anpassungen während der Coronapause wollen wir hier nicht näher eingehen. Vielmehr soll es hier darum gehen, warum die Freie Marktwirtschaft in der Formel 1 nicht funktioniert. Es klingt etwas paradox, dass die Formel 1 ausgerechnet unter der amerikanischen Führerschaft von Liberty Media die Budgetobergrenze einführt.

Tatsächlich aber war es Libertys wichtigstes Projekt, die Formel 1 an dieser Front genauso zu ändern, wie auf der technischen Seite. In amerikanischen Sportarten ist ein sogenannter Salary Cap inzwischen Standard. Die Teams dürfen nur eine bestimmte Summe an Spielergehältern ausgeben. Somit landen nicht alle Top-Spieler bei einem Verein. Das System funktioniert. Die Amerikaner haben verstanden, dass die Freie Marktwirtschaft im Sport nicht funktioniert. Am Ende gibt es Dominatoren, die den Sport beherrschen.

Großteil der Mercedes-Ausgaben wird refinanziert

In der Formel 1 heißen diese Dominatoren Mercedes, Ferrari und Red Bull. Zwei Automobilkonzerne und ein Mäzen regieren die Königsklasse des Motorsports. Mehr als 300 Millionen Pfund (fast 400 Millionen Euro) gab Mercedes zuletzt pro Saison nur für die Chassis-Schmiede aus. Große Sponsoren und hohe Preisgeldzahlungen mindern den Teil, den Daimler selbst tragen muss erheblich, doch ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag bleibt.

Für den Konzern ein lohnendes Investment, gibt es doch einen Werbegegenwert, der den Einsatz um ein Vielfaches übersteigt. Die Rechnung geht für Konzerne auf, für Rennteams aber nicht. Die Konstruktion, der Bau und der Einsatz von Rennautos ist für klassische Teams nicht nur die DNS, sondern das Geschäftsmodell. Und so entsteht ein Teufelskreis: Teams wie Williams haben niemanden, der regelmäßig hohe Millionenbeträge zuschießt. Somit ist das Budget geringer, die Performance schlechter, die Preisgeldzahlungen niedriger. Und die Sponsoren stehen auch nicht gerade Schlage.

Das Problem sind die unterschiedlichen Geschäftsmodelle. Ein klassisches Team existiert nur, um Rennen zu fahren. Ein Konzern verfolgt andere Ziele, die Formel 1 ist Mittel zum Zweck. In den 2000er Jahren waren es neben den Automobilherstellern die Tabakfirmen, die die Budgets in die Höhe trieben. Tyrrell war einst ein stolzes Team, ein Paradebeispiel für die Garagisten. Die von Ken Tyrrell gegründete Schmiede holte schon im zweiten Jahr ihres Bestehens mit Jacky Stewart am Steuer den WM-Titel. Doch als Jacky Stewart seine Karriere und Hauptsponsor ELF das Engagement beendet hatten, sackte der Rennstall ab. Mit stagnierendem Budget im hohen einstelligen Millionenbereich zählte das Team in den 1990er Jahren zu den Hinterbänklern. Bis 1998 British American Tabacco kam und das Budget schlagartig anstieg.

BAR expandiert unter Honda-Führung

In fünf Jahren wurden aus 120 Angestellten 398. Das Budget stieg von rund 15 auf 85 Millionen Pfund. Die sportlichen Ergebnisse kamen etwa zwei Jahre versetzt: 1999 noch WM-Elfter, belegte BAR 2000 schon Rang fünf in der WM-Wertung. Mit konstant hohem Budget holte das Team 2004 sogar den Vizetitel. Was folgte war die Übernahme durch Honda und ein weiterer exorbitanter Anstieg des Budgets. Bevor Honda das Team in der Weltwirtschaftskrise an Ross Brawn abstieß, gaben die Japaner fast 170 Millionen im Jahr aus. 170 Millionen für WM-Platz acht.

BAR-Honda belegte 2004 hinter Ferrari den zweiten Platz in der Konstrukteurs-WM, Foto: Sutton
BAR-Honda belegte 2004 hinter Ferrari den zweiten Platz in der Konstrukteurs-WM, Foto: Sutton

Kaufte Geld in diesem Fall also doch keine Performance? Doch, aber alle gaben zu dieser Zeit Unsummen aus. Mit Ferrari, McLaren-Mercedes, BMW, Renault und Toyota belegten fünf Automobilhersteller die ersten fünf Plätze. Dahinter kamen die beiden Red-Bull-Teams und Williams. Honda lag zwar beim Budget nicht auf Rang acht, aber die Mittel waren nicht exorbitant höher als die der Konkurrenz. Gepaart mit einer ineffizienten Leistung ergab das für 170 Millionen Pfund WM-Rang acht. Zwölf Jahre zuvor landete das Ursprungsteam Tyrrell ebenfalls auf dem achten Konstrukteursrang - für damals neun Millionen Pfund. Die Konzerne hatten durch ihr Wettrüsten die Kosten nach oben getrieben, sodass selbst Verlieren bitter teuer war.

Racing Point arbeitete schon immer effizient

Peter Sauber hatte die Zeichen der Zeit damals rechtzeitig erkannt und seinen Rennstall an BMW verkauft. Eddie Jordan fand für sein Team keinen großen Konzern als Käufer. Über Midland und Spyker wurde daraus schließlich Force India. Das Team aus Silverstone galt schon immer als besonders effizient, machte aus wenig Geld gute Ergebnisse. Das ging solange gut, bis das Wettrüsten der Konzerne begann. Während die Werke längst dreistellige Millionenbeträge investierten, stagnierte Jordan bei rund 40 Millionen.

Aus dem starken Mittelfeldteam, das an guten Tagen auch die ganz Großen ärgern konnte, wurde binnen weniger Jahre ein Hinterbänkler. Konnte Jordan 1999 noch mit knapp 40 Millionen auf Rang drei fahren, reichte das gleiche Budget 2006 nur noch für Rang zehn. 1999 fehlten auf den Konstrukteurs-Weltmeister McLaren-Mercedes etwa 25 Millionen Pfund, 2006 war die Schere zwischen Arm und Reich auf 100 Millionen und mehr auseinandergeklafft. Nicht nur, dass die Schere immer größer wurde, die Big-Player wurden auch mehr - bis zur Finanzkrise.

In zwei Jahren verlor die Formel 1 mit Honda, Toyota, BMW und Renault gleich vier dieser Big-Player. Obwohl die Königsklasse des Motorsports fast an ihr zugrunde gegangen wäre, war die Finanzkrise doch ein Restart. Mit Testverboten, Windkanal- und CFD-Restriktionen nahm man erstmals auch Maßnahmen in das Sportliche Reglement auf, um die Ressourcen zu beschränken. Lange währte der Friede allerdings nicht: Red Bull nutzte die Gunst der Stunde und wurde neben Ferrari zum Big-Player. Durch die Trennung von McLaren und Mercedes wurde das Gleichgewicht der Großen etwas gestört: McLaren ging langsam unter, Mercedes stieg langsam auf. Und so begann eine neue Eskalationsstufe.

Mercedes' Erfolgslosigkeit zu Beginn des Werksengagements wurde der Formel 1 noch zum Verhängnis. Mit 120 Millionen Pfund wurde Mercedes dem Schwaben-Image zunächst gerecht. Red Bull gab in der ersten WM-Saison 2010 160 Millionen aus. Mercedes reagierte beim Budget zu langsam, doch als Toto Wolff und Niki Lauda das Zepter übernahmen, schlugen sie beim Daimler-Vorstand peu á peu die nötigen Extra-Millionen heraus. Und so war es nicht nur die Hybridtechnik, die ab 2014 die Kosten explodieren ließ. Sicherlich wurde die Formel 1 dadurch teurer, das lässt sich auch an den Budgets der Kundenteams ablesen, aber die Formel 1 wurde nicht in dem Maße teurer, wie die Budgets der Top-Teams anstiegen.

Binnen zwei Saisons fuhr Mercedes das Budget von 145 auf gut 230 Millionen hoch - und wurde Weltmeister. Wer meint, damit war der Gipfel bereits erklommen, der irrt: aus 230 wurden 240 Millionen und eine größere Regeländerung zur Saison 2017 rechtfertigten beim Daimler-Vorstand noch einmal eine deutliche Erhöhung.

Big Player teilen Siege unter sich auf

Im Konzert von Mercedes, Ferrari und Red Bull konnte plötzlich niemand mehr mitspielen. Gab es 2012 noch acht unterschiedliche Sieger von sechs verschiedenen Teams, so sind es inzwischen Jahr für Jahr nur noch die drei Großen, die die Siege unter sich aufteilen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist so extrem, dass selbst Renault mit einem halbherzigen Werksengagement und McLaren, das mit rund 200 Millionen Pfund am Rande des finanziellen Überlebens operiert, völlig chancenlos sind.

Für alle außer Mercedes, Ferrari und Red Bull geht es nur um den Titel 'Best of the Rest' eine Sekunde hinter der Spitze. Nach wenigen Runden sind die ersten sechs Autos so weit weg vom restlichen Feld, dass sie sich bereits einen Boxenstopp erlauben können. Seit Jahren gibt es deshalb zwei Rennen in einem: Das der Topteams und das dahinter. Obwohl McLaren-Teamchef Andreas Seidl im Interview mit Motorsport-Magazin.com zugab, dass sein Rennstall die letzten Jahre in Anbetracht des Budgets unterperformt hat, ist der Rennstall aus Woking inzwischen wieder in seiner Gewichtsklasse angekommen. Nur ist diese Gewichtsklasse so weit vom Superschwergewicht entfernt, dass nicht einmal Podien aus eigener Kraft realistisch sind. Natürlich macht Mercedes seit Jahren einen besseren Job als McLaren, doch der größte Unterschied rührt nicht daher, sondern vom Budget.

Formel 1 2020: Interview mit McLaren-Teamchef Andreas Seidl: (58:12 Min.)

Ein Großteil des Budgets der kleineren Teams geht für das Bauen der Rennautos und deren Einsatz drauf. Für die Entwicklung bleibt nur sehr wenig Geld übrig. Die Kosten für den Bau und den Einsatz sind bei Ferrari, Mercedes und Red Bull aber nur etwas höher als bei der Konkurrenz. Das gesamte restliche Geld dient für die großen Drei als Entwicklungsbudget. Durch das komplett neue Technische Reglement 2021 wären die Kosten 2020 noch einmal deutlich eskaliert. Durch die Coronakrise wurde die Regel-Revolution um ein Jahr verschoben, während die Einführung der Budgetobergrenze für 2021 bleibt.

Obwohl nicht alle Teams das Maximum von 145 Millionen US-Dollar ausgeben, so ist ihr Nachteil doch erheblich geringer als ohne. In den Hochzeiten der 2000er Jahre konnte die Formel 1 das Wettrüsten noch hinnehmen. Die Verlierer waren die Hersteller, die trotz hohen Einsatzes verloren. Da es genügend von den Großen gab, stimmte auch der Wettbewerb. Die Finanzkrise und die Ausstiege der Konzerne zeigten aber die Verwundbarkeit. Zunächst war der große Crash noch eine Chance, die sich aber alsbald vom Segen zum Fluch entwickelte. Drei Teams, die seit mehr als einer halben Dekade alle Siege unter sich ausmachen, schaden dem Sport.

Deshalb ist die Budgetobergrenze so essenziell wichtig für die Formel 1 und alternativlos: Die Freie Marktwirtschaft funktioniert in der F1 nicht. Die Teams konkurrieren mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen. Ein Rennstall, der sich durch die Teilnahme an der Formel 1 finanzieren muss, ist zum Scheitern verurteilt. Vor allem deshalb steht Williams heute dort, wo es steht. Die Budgetobergrenze ebnet das Spielfeld für Konzerne und Privatteams. Weil neue Hersteller unter den derzeitigen Umständen weit und breit nicht in Sicht sind, ist der Cost Cap der einzige Weg, die Formel 1 in Zukunft wieder zu einer interessanten Plattform für alle Teilnehmer zu machen.

Alles zu Mick Schumachers Formel 1-Einstieg! MSM Ausgabe 76: (02:21 Min.)

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