George Russell hat bei seinem Einsatz als Ersatz für Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton in Bahrain für ein regelrechtes Erdbeben gesorgt. Der Mercedes-Junior fügte Stammfahrer Valtteri Bottas eine bittere Niederlage zu. Die deutschen Experten im Paddock stellen dem Finnen ein vernichtendes Zeugnis aus. Für sie ist klar: Supertalent Russell muss für das Weltmeister-Team fahren. Kommt es bei Mercedes 2021 zum großen Knall?

"Ich glaube, Bottas kann froh sein, dass er einen Vertrag hat. So muss man das Ganze mal sehen", sagt Ex-Pilot und TV-Experte Ralf Schumacher bei einem Medienevent von Sky. Der sechsfache Grand-Prix-Sieger zeigte sich von George Russells Performance begeistert: "Was er da geleistet hat, muss man erstmal machen und dem Bottas mehr oder weniger zeigen: Alter, da musst du noch was tun."

Mit seiner Meinung steht Schumacher nicht alleine da. Auch seine Sky-Kollegen Nick Heidfeld und der ab 2020 zur Crew gehörende Timo Glock sehen für Bottas schwarz. "Bottas Marktwert ist im freien Fall. Nach so einem Wochenende würde ich mich nicht wundern, wenn er sein Cockpit verliert", so Heidfeld, der am Rennwochenende des Sakhir GP als Experte im Einsatz war.

Bottas von Russell gebrochen?

Glock fürchtet, dass dieser neuerliche Tiefschlag Bottas endgültig ruiniert haben könnte. "Das ganze Wochenende war ein Thema, dass ihn glaube ich sogar gebrochen hat", so der 112-malige GP-Teilnehmer. Er beobachtete schon zu Beginn des Wochenendes auf dem 'Outer Loop' von Bahrain, dass Bottas die Bedrohung durch Russell wahrnahm.

"Er hat alles versucht, um schon im 1. Freien Training diese Zeit zu knacken. Wie oft er in Turn acht über die Track Limits gefahren ist und immer nochmal einen neuen Versuch gestartet hat, zeigt, wie groß der Druck war, den er hatte", glaubt Glock. Im weiteren Verlauf des Wochenendes zeigte Bottas immer wieder Nerven.

Im Qualifying misslang ihm sein letzter und entscheidender Run, wodurch Russell ihm um ein Haar noch die Pole Position abnahm. Das erledigte der 22-jährige Brite dann am Sonntag, als er sich beim Start gegen Bottas durchsetzte. Im späteren Rennverlauf wurde er abermals von Russell überholt, der auf frischeren Reifen unterwegs war und ihm keine Chance ließ. "Ich weiß nicht, was los ist. Wenn ich ihn mir anschaue, ist er nicht mehr der Bottas, den ich Anfang des Jahres gesehen habe," so Schumacher.

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Zweiter Tiefpunkt in Bottas' Karriere

Schon einmal war Bottas in seiner Karriere mental angeschlagen. 2018 verließen ihn die Motivation, nachdem er durch diverse Rückschläge früh in der Saison aus dem WM-Kampf raus war und obendrein den Wasserträger für Hamilton spielen musste. Sein Teamkollege fuhr mit elf Siegen zur fünften Weltmeisterschaft, während Bottas nicht ein einziges Rennen für sich entscheiden konnte und durfte.

In der darauffolgenden Winterpause baute er sich wieder auf und gewann daraufhin den Auftakt 2019 in Melbourne. Doch die damals gefundene neue Stärke scheint ihn nach rund zwei Jahren wieder verlassen zu haben. "Er stellt sich dem jedes Jahr wieder und hat auch verschiedene Wege gefunden, sich über den Winter zu motivieren", analysiert Glock. Aber es tut natürlich irgendwann innerlich sehr weh, wenn du merkst: ich kann machen, was ich will und ich kriege es trotzdem nicht hin, Lewis Hamilton zu knacken."

Im Jahr 2020 gewann Bottas ebenfalls die Saisoneröffnung in Österreich, doch bereits beim vierten Rennen des Jahres gab es den ersten Rückschlag. Als er in Silverstone durch einen Reifenschaden leer ausging, gewann Hamilton trotz des gleichen Defekts. Von diesem Moment an lief der Herausforderer erneut einem Rückstand hinterher, an dem er sich Woche für Woche die Zähne ausbiss.

"Er schaut ein bisschen frustriert aus und ist nicht mehr so aggressiv", sagt Schumacher, der schon vor dem Sakhir GP eine Veränderung wahrnahm: "Die letzten beiden Rennen gegen Lewis waren eine absolute Klatsche. Er wurde vom Teamkollegen überrundet, schlimmer kann es ja gar nicht sein - und das auch noch ohne einen Grund. Auch das erste Rennen in Bahrain war nicht gut genug."

Mercedes-Teamchef sucht nach Antworten

Mercedes-Teamchef Toto Wolff sucht ebenfalls nach Antworten. "Ich muss das mit ihm und dem Team besprechen. Er hat heute nicht geglänzt", sagte der Österreicher am Sonntag nach dem Rennen. "Vielleicht ist die Luft einfach raus, jetzt wo die Weltmeisterschaft gelaufen ist. Ich weiß es nicht."

Bottas zeigte sich nach dem Rennen niedergeschmettert. Eine Niederlage gegen Russell hatte für ihn ein anderes Gewicht als eine gegen Hamilton. "Das ist nicht schön. So gesehen war es ein sehr schlechtes Rennen für mich. Für die Leute wird es einfach, das zu sagen. Ein Neuer kommt rein und schlägt den anderen, der schon Jahre bei dem Team ist. Das ist nicht ideal."

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Experten schließen Bottas-Rausschmiss nicht aus

Schumacher stimmt mit Heidfeld überein. Er wäre nicht überrascht, wenn Bottas bei Mercedes über die Klinge springen muss. "Für ihn ist das ein schwerer Schlag und die F1 ist dynamisch. Ein Vertrag bedeutet nicht, dass man den Sitz sicher hat. Vielleicht gibt es ja noch eine große Überraschung", sagt er.

Bei Mercedes hingegen bleibt man trotz des Hypes um Russell der Linie treu. "Wir haben für das nächste Jahr für unsere Fahrer klare Verhältnisse. George hat einen Vertrag mit Williams, wir haben einen Vertrag mit Valtteri. Mercedes hält seine Verträge ein", stellt Wolff klar. Andererseits ist der Teamchef ein gebranntes Kind. 2016 schien ebenfalls als klar zu sein, doch dann trat Nico Rosberg überraschend zurück.

"Du kannst nie wissen. Du kannst nur mit den Informationen arbeiten, die du zum jetzigen Zeitpunkt hast. Eine unvorhergesehene Überraschung kommt immer dann vorbei, wenn du am wenigsten damit rechnest", so der 48-Jährige. Im Moment geht aus den Informationen nur ein unterschriebener Vertrag für Bottas hervor. Hamilton hingegen hat bei Mercedes noch keinen neuen Kontrakt.

Schumacher fordert Mercedes zum Handeln auf

Für den siebenfachen Weltmeister könnte sich die Performance von Russell als Nachteil in den Verhandlungen herausstellen, denn mit dem Nachwuchstalent hat Mercedes offenbar jemanden an der Hand, der siegfähig ist und gemessen an Bottas ein ähnliches Niveau wie Hamilton hat. Schumacher sieht Mercedes unter Druck, zu handeln.

"Mercedes muss sich auch Gedanken machen, weil es eine Zukunft gibt. Lewis wird wahrscheinlich bleiben, aber vielleicht nur ein Jahr. Sie müssen auch junge Leute heranzüchten und George Russell verdient definitiv eine Chance. Und man darf nicht vergessen, dass jetzt eventuell auch ein anderes Team an ihm interessiert ist", so der 45-Jährige.