Nach seinem zweiten Platz beim Bahrain GP vor einer Woche schimpfte Max Verstappen noch über die konservative Strategie seines Rennstalls. Heute startet der Red-Bull-Pilot beim Sakhir GP schon mit der aggressivsten Reifenwahl. Anders als Mercedes. Die Silberpfeile haben schon im Qualifying einen beispiellosen Reifenpoker praktiziert.

Die Ausgangslage für das vorletzte Rennen zur Formel-1-Saison 2020 ist vielversprechend. Hat sich Red Bull verzockt oder Mercedes? Welche Auswirkungen hat die extrem kurze Streckenvariante? Der Motorsport-Magazin.com-Favoritencheck zum Sakhir GP.

Auch ohne Lewis Hamilton ging die Pole Position an Mercedes. Valtteri Bottas und George Russell besetzen die erste Startreihe. Die Winzigkeit von 0,026 Sekunden lag zwischen den beiden. Aber Red Bull muss sich nicht verstecken: Max Verstappen fehlte nur eine halbe Zehntelsekunde.

Eigentlich erwartete Red Bull ein schwieriges Wochenende. Die Power-Variante des Bahrain International Circuit kommt dem RB16 nicht unbedingt entgegen. Der knappe Rückstand ist auf drei Faktoren zurückzuführen: Die extrem kurze Rundenzeit, eine nicht ganz perfekten Runde von Valtteri Bottas und das Fehlen von Lewis Hamilton.

Verstappen im schnellsten Rennauto

Dass der eigentliche Rückstand größer wäre, ist für Red Bull und Verstappen noch kein Debakel. Im Qualifying macht man sich längst keine großen Hoffnungen mehr. Wenn, dann schlägt die Stunde der Bullen im Rennen. Beim Sakhir GP sind die Hoffnungen besonders groß: Mercedes hatte im Longrun am Freitag Probleme, Verstappen dominierte regelrecht.

Formel 1, Sakhir GP - Longruns 2. Freies Training auf Soft

FahrerReifenalterStintlängeZeit
Verstappen20100:58,278
Albon20120:58,462
Ocon20120:58,531
Bottas2080:58,560
Stroll1460:58,597
Kvyat24120:58,647
Perez21110:58,658
Gasly28170:58,808
Sainz1450:58,889
Ricciardo30220:58,909
Russell1760:58,980
Magnussen24130:59,148
Latifi24120:59,290
Räikkönen22130:59,429
Giovinazzi25150:59,447
Aitken27150:59,530
Fittipaldi23120:59,635

Dass Russell als Mercedes-Neuling Probleme hatte, überrascht nicht. Aber auch Bottas fehlten im Schnitt drei Zehntelsekunden. Allerdings bezieht sich das auf die Soft-Reifen. Den wird Mercedes aller Voraussicht nach im Rennen nie fahren.

Formel 1, Sakhir GP - Longruns 2. Freies Training auf Medium

FahrerReifenalterStintlängeZeit
Verstappen23130:57,814
Albon22110:58,079
Gasly1960:58,159
Ocon30190:58,198
Ricciardo1780:58,387
Kvyat34160:58,405
Perez31190:58,470
Stroll30210:58,680
Giovinazzi32180:58,830
Sainz2280:58,985
Aitken31180:59,032
Magnussen25120:59,507
Vettel30140:59,552
Fittipaldi33130:59,974

Formel 1, Sakhir GP - Longruns 2. Freies Training auf Hard

FahrerReifenalterStintlängeZeit
Bottas35160:58,295
Russell31160:58,316
Räikkönen32190:58,944
Latifi29170:59,268

Die Silberpfeile gingen mit einem Trick in die Qualifikation. Mercedes hob sich gleich drei Sätze der Mediums für das Zeittraining auf. Nicht, weil der Medium schnell war, sondern weil die Sätze auch ins Rennen mitgenommen werden. Und dort will Mercedes den Soft um jeden Preis verhindern.

Die neue Streckenvariante in Bahrain fordert die Hinterreifen zwar nicht ganz so stark wie das normale Layout, doch der aggressive Asphalt sorgt weiterhin für hohen Verschleiß. Als sich Valtteri Bottas am vergangenen Wochenende einen Plattfuß einfuhr, gingen Mercedes die Medium-Reifen aus. Man hatte für das Rennen nur einen Satz Hard und zwei Sätze Medium. Jetzt gehen Bottas und Russell mit je drei Sätzen Medium und einem Satz Hard in den Sonntag.

Mercedes mit Strategie-Vorteil

Damit stehen den Mercedes-Ingenieuren alle Strategievarianten offen. Pirelli prognostiziert ein Zweistopp-Rennen. Die schnellste Variante führt über zwei Stints auf Medium und einem Stint auf Hard.

Theoretisch beste Rennstrategie für den Sakhir GP

  • Schnellste: 2x 26 Runden Medium, 35 Runden Hard
  • 2. Schnellste: 23 Runden Soft, 37 Runden Hard, 27 Runden Medium
  • Langsamste: 24 Runden Soft, 39 Runden Hard, 24 Runden Soft

Die theoretisch beste Strategie kann Verstappen gar nicht mehr wählen. Er muss auf dem Soft starten. Das allerdings war keine Absicht. "Ich musste den Soft nehmen, weil meine Medium-Runde nicht gut genug war, es war zu eng", so Verstappen.

"Wir gehen auf den Medium-Reifen ins Rennen, damit sollten wir uns mit Blick auf die Strategie in einer guten Ausgangslage befinden. Max wird auf den weicheren Reifen einen Vorteil am Start haben, aber wir glauben, dass wir für das Rennen selbst den besseren Reifen haben", analysiert Valtteri Bottas.

Verstappen kann sich mit seiner Strategie durchaus anfreunden. "Ich habe nichts zu verlieren", meint der Niederländer. Mit den weichen Reifen hat der Red-Bull-Pilot auf der sauberen Seite die beste Chance, Mercedes gleich am Start anzugreifen. Russell scheint verwundbar, für ihn wird es der erste richtige Rennstart im Mercedes. Auch die Startposition selbst ist für Russell Neuland: "Heute steht niemand direkt vor mir, eine Erfahrung, die ich schon lange nicht mehr gemacht habe."

Neben der theoretisch langsameren Rennzeit gibt es ein weiteres Hindernis: Wer auf Soft startet, stoppt tendenziell früher. Dabei droht die Gefahr von Verkehr auf der extrem kurzen Runde von Bahrain. Andererseits könnten die Führenden dabei schon auf Überrundungsverkehr auflaufen. Im Qualifying blieb das prognostizierte Chaos aus, im Rennen bereitet die kurze Runde den Strategen aber genauso Kopfzerbrechen.

Fazit: Red Bulls erzwungene Offset-Strategie könnte Würze in das Rennen bringen. Sie könnte aber auch das Todesurteil für Verstappen sein. Er sollte im Rennen eigentlich das schnellste Auto haben. Da hätte es mit gleichen Strategievoraussetzungen durchaus spannend werden können. Nun ist Red Bull zumindest theoretisch schon vor dem Rennstart im Rückstand. Russell wird ein Unsicherheitsfaktor: Wie bekommt er den Start hin? Kann er seine Longrunpace im Vergleich zu Freitag steigern?