Der Bilder vom Horror-Crash von Romain Grosjean beim Bahrain GP gingen um die Welt. Wie durch ein Wunder blieb der Haas-Pilot nahezu unverletzt. Das Wunder wurde aber von der FIA und ihrer Arbeit, die Sicherheit in der Formel 1 immer weiter zu verbessern, heraufbeschworen. Gab es dennoch Schwachstellen im System? Motorsport-Magazin.com analysiert den Unfall im Detail.

Wie geht es Romain Grosjean?

Dem 34-jährigen Familienvater geht es den Umständen entsprechend gut. Im Militärkrankenhaus von Bahrain bestätigte sich der erste Verdacht auf gebrochene Rippen zum Glück nicht. Dennoch musste Grosjean über Nacht stationär behandelt werden. Dabei ging es hauptsächlich um die Verbrennungen an den Händen. Am Dienstag soll er aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Der Franzose war schon am Abend des Unfalls wieder zu Scherzen aufgelegt: "Wenn ich wieder tippen kann, antworte ich auf eure Nachrichten." Wer nicht tippen kann, der kann aber logischerweise auch nicht in eine Formel-1-Auto steigen. Das nächste Rennen wird Grosjean verpassen, die Hoffnung auf eine Rückkehr in Abu Dhabi ins Cockpit besteht jedoch.

Wer fährt beim Sakhir GP für Haas?

Obwohl der Bolide beim Unfall komplett zerstört wurde, wird Haas beim Sakhir GP am kommenden Wochenende an gleicher Stelle zwei Autos einsetzen. Teamchef Günther Steiner wollte die Entscheidung, ob Grosjean selbst fährt oder nicht, den Ärzten und seinem Fahrer selbst überlassen. Als klar war, dass er ausfällt, fiel die Wahl schnell auf Pietro Fittipaldi als Ersatz. Der in Miami geborene Brasilianer ist seit 2018 Test- und Ersatzfahrer des Rennstalls.

Wer verursachte den Unfall?

Nach diesem heftigen Unfall war die Schuldfrage zunächst unwichtig. Wichtig war lediglich, dass es Grosjean gut ging. Im Hinterfeld ging es nach dem Start chaotisch zu. Die ersten drei Kurven verleiten dazu, im Zweikampf unterschiedliche Linien zu wählen. Dadurch kamen viele Autos mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf die Gerade.

Weil Grosjean mit viel Schwung auf Charles Leclerc, Carlos Sainz und Kevin Magnussen auflief, wollte er lieber ausweichen, statt abbremsen. Dabei zog er schnell nach rechts - ohne zu sehen, dass Daniil Kvyat dort fuhr. Dabei berührte er das linke Vorderrad des Russen mit seinem rechten Hinterrad. Ab diesem Zeitpunkt war Grosjean nur noch Passagier.

Welche Rolle spielte das Medical Car?

"Was hier passiert ist, war ein Beleg für die Sicherheit", sagt der FIA Rennleiter und Sicherheitsbeauftragte Michael Masi. Nicht nur die passive Sicherheit von Fahrzeug und Strecke retteten Grosjean das Leben, auch die Prozesse.

Grosjean wird von Rennarzt Ian Roberts am Medical Car erstversorgt, Foto: LAT Images
Grosjean wird von Rennarzt Ian Roberts am Medical Car erstversorgt, Foto: LAT Images

Bei jedem Start fährt Alan van der Merwe, der selbst über zehn Jahre Profi-Rennfahrer war, mit seinem Medical Car dem Feld hinterher, um möglichst schnell bei einem Unfall zur Stelle zu sein. "Dafür haben wir auch 550 PS, um drei Sekunden früher da zu sein", sagte der Südafrikaner.

Gemeinsam mit Safety-Car-Fahrer Bernd Mayländer fährt van der Merwe die Strecke am Donnerstag bereits mit voller Geschwindigkeit ab: "Wir nehmen alle Abkürzungen, die wir nehmen können, wir schauen uns auch alle die kleinen Dinge an. Wenn Ian fünf Sekunden langsamer gewesen wäre, würden wir jetzt vielleicht über andere Dinge sprechen."

Das Mercedes C63 AMG T-Modell hat nicht nur genügend Leistung, sondern auch reichlich Platz. Auf der Beifahrerseite nimmt Formel-1-Arzt Ian Roberts Platz, hinter ihm sitzt ein lokaler Arzt. Im Kofferraum befinden sich die wichtigsten Rettungsutensilien.

"So etwas passiert nicht oft, aber wenn, müssen wir da sein", so Roberts. Nur wenige Sekunden nach dem schrecklichen Unfall traf das Medical Car ein. Zu diesem Zeitpunkt versuchte bereits ein Feuer-Marshall, den Brand zu löschen. Während van der Merwe ebenfalls schnell einen Feuerlöscher holte, ging Roberts in die Flammen.

Roberts hilft Grosjean aus dem Inferno, Foto: LAT Images
Roberts hilft Grosjean aus dem Inferno, Foto: LAT Images

"Die Feuerlöscher haben die Flammen ein paar Meter zurückgedrängt, dadurch hatte ich einen Korridor", so Roberts. Der Arzt konnte so Grosjean, der sich noch selbst aus dem Auto befreien konnte, entgegenkommen und ihm über die Leitplanke helfen.

War die Leitplanke schon vor dem Unfall kaputt?

Schnell hagelte es Kritik an der Leitplanke. Wie kann es sein, dass sie komplett durchbohrt wurde? Marode war sie jedenfalls nicht. Denn: Auf einer Strecke, die eine Grade-1-Einstufung - die höchste FIA-Einstufung und für F1-Strecken verpflichtend - halten möchte, gibt es spätestens alle drei Jahre eine Abnahme. Vor jedem Rennwochenende geht Rennleiter Masi außerdem um die Strecke und inspiziert derlei Details.

Schlechtes Material wurde ebenfalls nicht verwendet. "Die Planken sind genormt", erklärte Streckenarchitekt Hermann Tilke Motorsport-Magazin.com. "Es gibt eine europäische Norm, der die Leitplanken nicht nur entsprechen müssen. Diese muss sogar übertroffen werden."

Die zerstörte Leitplanke, Foto: LAT Images
Die zerstörte Leitplanke, Foto: LAT Images

Während normale Leitplanken nur alle zwei Meter an einem Pfosten befestigt werden müssen, verlangt die FIA den halben Abstand zwischen den Pfosten. Dadurch wird das Biegemoment drastisch verkleinert und die Leitschienen gewinnen an Stabilität. "Ich habe so etwas selbst noch nicht erlebt", so Tilke. "Wir dürfen nun keine Schnellschüsse machen, aber wir müssen sehen, was wir daraus lernen können."

Glück im Unglück: Von der nachgiebigen Leitplanke wurde Energie aufgenommen. Grosjean schlug mit 221 Stundenkilometern ein. Hätte sich die Leitplanke nicht verformt, hätte die maximale Verzögerung den Wert von ohnehin schon gigantischen 54 G wohl noch übertroffen. Besonders wichtig war das, weil Grosjean bei Bewusstsein blieb. Hätte er das Bewusstsein verloren, hätte er sich nicht mehr aus dem Feuerball retten können.

Hätte man die Unfallstelle besser sichern können?

Grosjeans Pech war es, dass er direkt an einer sogenannten Tasche abflog. Dabei handelt es sich um eine Öffnung der Leitplanke, die durch einen Vorsprung abgesichert wird. Deshalb verläuft die Leitplanke dort nicht parallel zur Strecke. Aber sollte eine solche Stelle nicht mit nachgiebigeren TecPro-Barrieren oder Reifenstapeln gesichert werden? "Wenn der Vorsprung stärker ist, wird das auch gemacht", erklärt Tilke. "Hier aber machte die Leitplanke nur eine ganz sanfte Biegung." Die Gefahr dabei ist, dass sich Autos dann verhaken. Deshalb gilt es immer abzuwägen.

Wie wurde die Strecke so schnell repariert?

Die kaputte Leitplanke wurde direkt nach der Bergung des Monocoques vollständig entfernt. Statt neue Pfosten in den Boden zu rammen und die Planken zu erneuern, entschieden sich die Verantwortlichen für Beton-Elemente. Die hatte man vorrätig, weil damit häufiger unterschiedliche Streckenvarianten voneinander abgegrenzt werden. Weil diese Betonblöcke nicht im Boden verankert sind, können sie bei einem Einschlag leicht nachgeben.

Die Leitplanke wird nach dem Unfall abmontiert, Foto: LAT Images
Die Leitplanke wird nach dem Unfall abmontiert, Foto: LAT Images

Warum brach das Auto auseinander?

Ein Formel-1-Auto besteht aus fünf größeren Baugruppen: Der vorderen Crashstruktur (Nase mit Flügel), dem Monocoque, dem Motor, dem Getriebe und der hinteren Crashstruktur. Der Motor ist mit sechs M12-Bolzen an das Heck des Monocoques geflanscht. Er ist ein tragendes Element, deshalb fällt die Befestigung auch relativ massiv aus. Die Befestigung ist aber nicht auf extreme Unfälle ausgelegt. Dabei muss nur ein Bauteil intakt bleiben: Das Monocoque, auch Überlebenszelle genannt. Alle anderen Teile können im Zweifel Energie abbauen.

Das größtenteils noch intakte Heck von Grosjeans Haas VF-20, Foto: LAT Images
Das größtenteils noch intakte Heck von Grosjeans Haas VF-20, Foto: LAT Images

Wie kam es zur Explosion?

Feuer kommt in der heutigen Formel 1 sehr selten vor. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Tanks extrem stabil und bestens geschützt sind. Sie sind direkt im Heck des Monocoques untergebracht. Außerhalb dessen dürfen maximal 0,25 Liter Treibstoff gespeichert werden. Für den Fall, dass Leitungen zwischen Motor und Monocoque brechen, gibt es spezielle Sicherheitsventile, die den Tank versiegeln sollen. Hier gab es offenbar Probleme, weil die Leitungen komplett herausgerissen wurden.

Der Brand nahm für Formel-1-Verhältnisse unglaubliche Züge an, Foto: LAT Images
Der Brand nahm für Formel-1-Verhältnisse unglaubliche Züge an, Foto: LAT Images

Welche Rolle spielte der Halo?

"Ohne Halo wäre Romain jetzt nicht mehr da" - so lautete der Tenor des Fahrerlagers. Auch Grosjean selbst dankte dem Titanbügel. Die unteren beiden Leitschienen wurden vom Monocoque komplett durchbrochen, die obere Schiene wurde vom Halo nach oben gebogen. Ohne Halo wäre die Leitplanke wohl auf Grosjeans Helm getroffen. Selbst wenn er das überlebt hätte, wäre er wohl nicht mehr ohne fremde Hilfe aus dem Cockpit gekommen.

Zweigeteilt! Warum fing Grosjeans Formel 1-Auto Feuer?: (12:27 Min.)