In Deutschland dreht sich derzeit viel um Mick Schumacher. Wie schwierig war es für dich, 'der Sohn von' zu sein?
Carlos Sainz [Junior ;)]: Der Sohn eines Weltmeisters zu sein, hat seine Vor- und Nachteile. Es gibt nur nicht Positives oder Negatives. Einer der größten Nachteile ist der zusätzliche Druck und die Aufmerksamkeit, die du bekommst, wenn du ein Kind bist, wenn du aufwächst und versuchst, dir einen Namen zu machen. Du willst Karriere machen und jeder macht dir mehr Druck. Diese extra Aufmerksamkeit macht dich etwas nervöser und angespannter, weil du dich beweisen willst. Es gibt aber auch positive Dinge: Einen Doppelweltmeister an deiner Seite zu haben! Das ist etwas, das du nicht vergleichen kannst, wenn du einen normalen Vater hast. Ich sage nicht, dass normale Väter schlecht sind, aber einen Doppelweltmeister zu haben, ist unglaublich. Das lehrt dir eine Menge gute Dinge.

Man könnte aber auch sagen, dass du dich früh an den Druck gewöhnen konntest. In der Formel 1 hat schließlich jeder Druck…
Carlos Sainz: Ich war mein ganzes Leben lang der Sohn von Carlos Sainz. Vor allem, als ich elf, zwölf Jahre alt war, hat das sehr großen Druck auf mich ausgeübt. Es gab viel Aufmerksamkeit und viele Stoppuhren, um zu sehen, welche Rundenzeiten ich fahre. Leute haben versucht, mich öfter von der Strecke abzudrängen. Ich war für viele Kinder ein einfaches Ziel. Aber dann kam ich ins Red Bull Junior Programm. Und dort hat man bereits eine Menge Druck. In der Formel 1 wird das nochmals mehr. Aber du bist inzwischen an alles gewöhnt, weil du schon durch alles gegangen bist. Wenn du in die Formel 1 kommst, zu Toro Rosso, da gab es schon mehr Druck, aber der kam von mir selbst. Ich habe mir gesagt: 'Okay, jetzt bist du in der Formel 1, jetzt musst du performen, weil du deinen Kindheitstraum wahr gemacht hast und ihn jetzt nicht aus den Händen gleiten lassen willst. Du musst gut sein, weil ich das immer wollte.'

Sprechen wir über Ergebnisse. Diese Saison lief lange nicht gut für dich, obwohl die Leistungen stimmten. Wie sehr hat dich da der Blick auf die Weltmeisterschaft geärgert?
Carlos Sainz: Es hat mich genervt. Ihr wisst, wie kompetitiv ich bin. Ich sehe meine Leistung dieses Jahr als ordentlich an, abgesehen von dem Fehler beim Russland GP. Ohne den Fehler fahre ich bislang meine beste Saison in der Formel 1. Ich performe auf einem sehr hohen Niveau, ich bin in Bestform. Ich weiß, dass dieses Jahr eine Menge Dinge nicht in meine Richtung gingen, es war ein sehr sonderbares Jahr für mich. Ich hatte nie eine Chance, ein Momentum zu bekommen. Dazu ist es eine kurze Saison mit 17 Rennen. Aber es ist noch nicht vorbei. Ich versuche, sie stark zu beenden. Aber es nervt mich, ziemlich sogar. Ich sollte 30 bis 40 Punkte mehr haben. Das ist nicht ideal.

Seit dem Nürburgring läuft es für dich deutlich besser. Du kannst sogar noch Vierter hinter den Mercedes und Verstappen werden. Letztes Jahr hast du dir den Titel Best of the Rest gesichert. Dieses Jahr auch?
Carlos Sainz: Ich glaube nicht. Ich bin 25 Punkte weg. Das ist ein Rennsieg. Aber wir kämpfen um sechste Plätze. Da bringt ein Rennsieg acht Punkte. Da bin ich drei Rennen oder drei Rennsiege hinter meinen direkten Konkurrenten. Das ist, wie wenn Bottas 50 bis 70 Punkte hinter Lewis liegt. Wäre er damit im Titelkampf, wenn er 50 bis 70 Punkte hinten wäre? Vielleicht, aber ich habe eine sehr geringe Chance.

Letztes Jahr wurdest du Sechster und damit Best of the Rest. Kanst du mit dem Titel etwas anfangen?
Carlos Sainz: Es ist eine weitere Bestätigung für ein gutes Jahr, das du abgeliefert hast. Es ist etwas, wie eine Bestätigung. Es ist ein Beweis. Es ist in den Geschichtsbüchern, denn es ist ein Ergebnis. Leider kannst du ein gutes Jahr haben, aber wenn ich am Ende auf P11 lande, wird sich daran in zwei Jahren niemand erinnern. Ich weiß, dass ich 2020 gut performt habe, gute Rennen gefahren bin und es fahrerisch eines meiner besten Jahre ist - aber die Bücher werden nicht zeigen, dass ich ein gutes Jahr hatte. Für dich selbst weißt du noch immer, dass es ein gutes Jahr war, aber in den Büchern und für alle anderen ist es in zwei Jahren egal.

Hat dir dieser sechste WM-Platz geholfen, das Ferrari-Cockpit von Sebastian Vettel zu bekommen?
Carlos Sainz: Ja, alles hilft. Aber von dem, was ich von Ferrari weiß, gab es viele andere Faktoren, mich unter Vertrag zu nehmen. 2019 sprechen viele Leute über das Brasilien-Podium oder P6 in der Meisterschaft, aber all die Analysen die diese großen Teams bei der Performance aller Fahrer machen, da realisiert du, wie sehr sie ins Detail gehen. Sie sehen sich nicht nur die großen Zahlen an. Das hat mich etwas erleichtert. Denn die Karriere eines Formel-1-Fahrers ist sehr knifflig. Wenn es wie bei einem Tennisspieler wäre oder einem 100-Meter-Sprinter, wo du nur von dir selbst und deiner Performance abhängig bist, wäre es viel einfacher, einen Formel-1-Fahrer zu beurteilen. Leider haben wir viele andere Faktoren, die unsere Performance beeinflusst als in jedem anderen Sport. Die großen Teams in diesem Sport - oder so ziemlich jedes Formel-1-Team - versuchen diese Variablen aus der Gleichung zu nehmen. Sie versuchen, die Fahrer-Performance zu isolieren. Das hat mich etwas erleichtert zu sehen, dass sich Teams die Details ansehen. Sie schauen sich das große Bild an, nicht nur das Ergebnis. P6 oder das Podium in Brasilien. Sie schauen sich mehr Dinge an.

In Monza lief es erstmals in diesem Jahr richtig gut für dich, du wurdest Zweiter. Aber Zweiter hinter Pierre Gasly. Nervt dich das Ergebnis, weil du auch ohne Chaos dort gelandet wärst und am Ende den Sieg eher verloren hast?
Carlos Sainz: Wir haben Bottas auf der Strecke geschlagen und auch die Red Bulls! In einem normalen Rennen wäre ich hinter Hamilton Zweiter geworden. Ich muss daraus viel Stolz ziehen und realisieren, dass ein zweiter Platz hinter Hamilton ein unglaublicher Erfolg gewesen wäre. Wenn du Hamilton durch Pierre ersetzt und sagst, dass ich Zweiter wurde, dann schmeckt Platz zwei plötzlich nicht mehr so gut, weil ich weiß: Wenn das Rennen eine Runde oder ein paar Runden länger gegangen wäre, hätte ich es gewinnen können. Gleichzeitig hat Pierre einen sehr guten Job gemacht, diesen Sieg zu halten. Ich hatte ein sehr gutes Comeback von Platz sechs im zweiten Rennen nach der roten Flagge. Ich bin auf P2 zurückgekommen. Wenn man das Rennen in zwei teilt: Im ersten Rennen wurde ich Zweiter hinter Hamilton, im zweiten Rennen wurde ich Zweiter hinter Pierre - von Platz sechs mit gebrauchten Reifen gestartet. Ich denke, ich darf mich nicht beklagen. Es war ein starkes Rennen für mich. Ich wollte natürlich gewinnen, aber wenn man es nüchtern betrachtet, war es sehr schwierig zu gewinnen.

Hast du nach dem Podium mit Ferrari gesprochen?
Carlos Sainz: Mattia ist ans Podium gekommen, um es zu sehen. Er hat mir am nächsten Tag geschrieben und auch ein paar andere Teammitglieder. Sie haben mir gratuliert und alle waren glücklich.

Steht dein Plan noch, nach Italien zu ziehen?
Carlos Sainz: Ja, das steht Ende des Jahres auf dem Plan. Da werde ich nach Italien ziehen, um mehr Zeit dort zu verbringen. Ich sehe das als wichtigen Teil meiner guten Zeit bei McLaren [Sainz lebt derzeit in England] an. Definitiv.

Wir haben zuletzt viele Videos und Bilder von dir, Lando Norris und George Russell auf dem Golfplatz gesehen. Ist Golf die neue Trendsportart der Formel-1-Fahrer?
Carlos Sainz: Lando und George versuchen es - das kann man nicht Golfspielen nennen. Spaß! Ich würde sagen, ich wäre der gleiche Formel-1-Fahrer auch ohne Golf. Ich glaube nicht, dass es hilft oder mich schlechter macht. Aber abseits der Formel 1 hat jeder seine eigenen Leidenschaften und Hobbies. Golf ist eines meiner Hobbies. Wenn ich über mein Privatleben spreche: Wir sind heutzutage besessen von Handys, wir sind sehr abhängig von ihnen und von Zeitplänen. Golf ist einer der wenigen Momente, an dem ich vier Stunden lang nicht aufs Telefon schaue. Ich weiß, dass ich meinen Terminplan an diesem Tag mit meinem Vater oder einem meiner Freunde für vier Stunden Golf geblockt habe. Ich weiß, dass ich in diesen vier Stunden nicht aufs Handy schaue, weil ich so kompetitiv bin, dass ich mich konzentriere und mein Handicap verbessern will. Ich will jeden Tag besser werden. Golf ist ein Hobby, dass mich dazu bringt, vom hektischen Leben abzuschalten. Es ist eine der wenigen Sportarten, die mir dabei hilft.

Was ist dein Handicap?
Carlos Sainz: Im Moment 9.

Mit Fernando Alonso kehrt 2021 dein großes Vorbild in die Formel 1 zurück. Was denkst du darüber? Hast du schon mit ihm über seine Zeit bei Ferrari gesprochen?
Carlos Sainz: Renault macht derzeit einen guten Job, es geht nach einem harten Jahr 2019 in die richtige Richtung. Es sieht so aus, als hätten sie den richtigen Weg bei der Entwicklungsrichtung ihres Autos gefunden. Sie machen uns das Leben bei McLaren schwer. Fernando stößt nach einigen schwierigen Jahren zu einem guten Zeitpunkt zu Renault. Das sind gute Neuigkeiten für den Sport, für die Formel 1. Über Ferrari habe ich mit ihm noch nicht gesprochen.

Wenn wir schon beim Thema Ferrari sind: Wie sehr nerven dich inzwischen die Fragen dazu?
Carlos Sainz: Das einzige, was mich etwas nervt ist, dass Ihr die Antworten auf manche Fragen schon kennt. Ich weiß nicht, warum Ihr dann die Frage stellt. Ihr wisst, dass ich das Gleiche antworten werde, wie vor einem Monat. Aber wenn Ihr eine neue Frage stellt, die mir bislang noch niemand gestellt hat, dann nervt es mich nicht. Denn es ist euer Job und das bedeutet, dass Ihr einen guten Job macht, wenn Ihr nicht immer das Gleiche fragt. Ich finde es nur nervig, wenn es immer die gleichen Fragen sind - ich kann dann nicht mehr viel dazu sagen. Wenn ihr nicht dieselbe Frage stellt, dann nervt es mich nicht!

Was ist die häufigste und nervigste Frage? Ob du den Wechsel schon bereust?
Carlos Sainz: Ja, das ist eine der beliebteren. Ich glaube, ihr kennt die Antwort.

Aber bleiben wir beim Bereuen: Bereust du irgendetwas aus deiner Zeit bei McLaren, wenn du das Team am Ende des Jahres verlassen wirst?
Carlos Sainz: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich kann nichts bereuen, was aktuell bei McLaren passiert. Sicherlich werde ich Kurve zwei in Russland bereuen. Das bereue ich! Aber abgesehen davon ist alles sehr gut, ich habe hier viel Spaß in diesem Team und fühle mich dort als Formel-1-Fahrer wohl. Ich fühle, dass das Team das Beste aus mir herausholt und ich das meiste aus dem Team hole. Es gibt nichts, was ich bereue. Ich würde das Team sehr gerne auf einem Hoch verlassen, bevor ich zu Ferrari gehe. Es war teilweise eine harte Saison für uns.