Der Samstag der Formel 1 in der Türkei war bei McLaren zur Horror-Show ausgeartet. Zuerst lieferten Team und Fahrer ein denkbar schlechtes Qualifying ab, und gruben sich ihr Loch mit subsequenten Gridstrafen nur noch tiefer. Lando Norris musste das Rennen von Startplatz 14, Carlos Sainz von Startplatz 15 in Angriff nehmen.

Das Team fürchtete schon den kompletten Untergang in der Teamwertung. Sie bekamen die Reifen das ganze Wochenende nicht zum Arbeiten, Racing Point und Renault schienen weit weg. Dann kam das Rennen: Nicht einmal ein schlechter Start von Norris konnte die Aufholjagd bremsen, die endete erst mit Platz fünf für Sainz und Platz acht für Norris. Was wäre erst gegangen, wenn man von weiter vorne losgefahren wäre?

McLaren: Schadensbegrenzung nach Qualifying-Klatsche

"Ehrlich gesagt konnten wir nicht damit rechnen, heute plötzlich ein so gutes Auto zu haben", gesteht McLaren-Teamchef Andreas Seidl nach dem Rennen. "Am Ende ist es natürlich eine großartige Wende nach einem der vielleicht schlimmsten Samstage des Teams in langer Zeit."

Dieser Samstag will nicht aus dem Kopf: "Wenn du dir das Rennen anschaust, dann war die Pace in diesen besonderen Umständen natürlich gut zu sehen, aber wir sollten nicht überschwänglich werden. Vielleicht haben wir eine große Chance vergeben." In der letzten Runde hatte Carlos Sainz schließlich sogar zum Kampf um den zweiten Platz zwischen Sergio Perez, Sebastian Vettel und Charles Leclerc aufgeschlossen.

"Fühlt sich ein bisschen wie eine verpasste Chance an mit unserer Pace", meint Seidl wieder. "So nah, wie wir an Ferrari dran waren. Vielleicht, wenn wir als Team zusammen mit Carlos mehr gepusht hätten, dann hätten wir mehr Punkte holen können. Aber das ist eine schwierige Entscheidung, mit dem Reifenleben waren wir hart an der Grenze, und das hätten locker null Punkte werden können."

Seidl feiert Team und Fahrer für Wende im Rennen

Seidl freut sich aber auf jeden Fall darüber, wie das Team das Qualifying weggesteckt hat. "So ein Rennen zeigt die Qualitäten unserer Fahrer. Sie sind ruhig geblieben, und haben zusammen mit dem Team sensationell abgeliefert. Auch auf der Teamseite, mit Boxenstopps und Strategie hat alles perfekt funktioniert. Das freut mich, wir müssen nur sicherstellen, dass wir samstags weiter vorne sind. Wenn du dir heute anschaust - wären wir weiter vorne losgefahren, hätte es noch mehr sein können."

Lando Norris hielt im Türkei-Rennen Valtteri Bottas deutlich auf Abstand, Foto: LAT Images
Lando Norris hielt im Türkei-Rennen Valtteri Bottas deutlich auf Abstand, Foto: LAT Images

So kurz nach dem Rennen tut sich McLaren noch schwer, die Ursachen zu definieren. Am Samstag bekam man die Reifen nicht ins Arbeitsfenster. Den Abend verbrachten Fahrer und Ingenieure in langen Meetings, um zu besprechen, wie man die Reifen in der Anwärmphase am besten behandeln wolle. Von der Sichtungsrunde weg lief es am Sonntag dann, wie Carlos Sainz erklärt: "Zum ersten Mal an diesem Wochenende bekamen wir die Reifen auf Temperatur."

Die genauen Umstände muss das Team erst aufdröseln, so Seidl: "Es hat offensichtlich heute funktioniert, gestern nicht. Wir wissen, dass es immer einen Kompromiss zwischen Qualifying und Rennen gibt. Wir müssen jetzt analysieren, was passiert ist, und auch bedenken, dass das eine besondere Strecke war. Wir müssen trotzdem schauen, wie wir am Samstag mehr rausholen können. Das scheint ein bisschen ein Trend zu sein."

Norris erlebt Horror beim Start - dann Comeback

Während Sainz in der ersten Runde dann sechs Plätze gutmachte und den Grundstein für Platz fünf legte, machte Lando Norris mit dem in seinen Worten "schlimmsten Start der Karriere" seine Ausgangsposition zuerst schlimmer: "Da war null Grip, und meine Räder drehten stark durch. Deswegen habe ich was versucht, was ich besser nicht hätte tun sollen, und das Auto ging in Anti-Stall."

Bis Norris endlich in Gang kam, war der Rest des Feldes schon längst in der ersten Kurve. Aus der ersten Runde kam er mit 23 Sekunden Rückstand auf den Führenden Lance Stroll zurück. Doch wie auch er bald herausfand, war der McLaren richtig schnell, wenn er freie Fahrt hatte.

"Ich habe zwei, drei Leute mit einem Overcut kassiert, und dann die Reifen einfach gut im Griff gehabt", sagt Norris. "Das war ein langer Stint auf Intermediates, aber ich hatte sie ein bisschen besser unter Kontrolle als Daniel und Stroll, daher war die Pace besser. Das Auto war einfach gut zu fahren."

Norris: Versöhnliches Ende mit schnellster Rennrunde

Nachdem Norris lange auf dem zehnten Platz festgesteckt war, erntete er in der Schlussphase die Früchte des Reifenmanagements und drückte sich an Ricciardo und Stroll - auf letzteren hatte er an einem Punkt 70 Sekunden Rückstand gehabt - vorbei auf Platz acht. In der letzten Runde holte er sich auch noch den Bonuspunkt für die schnellste Runde. "Ein bisschen Schadensbegrenzung verglichen mit unseren Hauptgegnern in der Meisterschaft, damit können wir zufrieden sein."

Mit den Plätzen fünf und acht sowie mit Norris' schnellster Runde hat es McLaren tatsächlich geschafft, die Türkei auf Platz vier der Konstrukteurs-WM zu verlassen. Nur fünf Punkte fehlen ihnen auf Racing Point, während sie Renault und Ferrari nun hinter sich haben.