Elf Tage ist George Russells bitterer wie unnötiger Crash im Formel-1-Rennen in Imola her, als sich der junge Brite erneut zahlreichen Fragen zu seinem Unfall stellen muss. In der offiziellen FIA-Pressekonferenz vor dem an diesem Wochenende folgenden Großen Preis der Türkei in Istanbul bestimmt der Crash des Mercedes-Juniors den Abschnitt mit den beiden Williams-Piloten deutlich. Der Ärger über sich selbst ist Russell noch immer anzumerken, doch in der Zwischenzeit hat der Brite den bis dato größten Fehler seiner noch jungen F1-Karriere gründlich analysiert und reflektiert - inklusive eines philosophischen Briefs an sein Team.

„Es ist noch immer ätzend“, sagt Russell am Donnerstag in Istanbul. „Aber ich denke, im Leben musst du die Dinge abhaken und nach vorne schauen, die Vergangenheit vergessen, aber auch aus deinen Fehlern lernen. Es wird mir helfen, ein kompletterer und stärkerer Fahrer zu werden.“

Russell: Unfall anderes Gefühl als Monaco-Crash

Dass der Abflug den 22-Jährigen noch immer etwas wurmt, liegt an der Natur des Fehlers. Ohne Not flog Russell ab, noch dazu hinter dem Safety Car. „Deshalb war es doch ein ganz anderes Gefühl als bei allen anderen Fehlern in meiner Karriere in den Nachwuchsserien, als ich es zum Beispiel mal in Monaco in die Mauer geworfen habe oder im Kampf um die Führung in der Formel 3 gecrasht bin“, berichtet Russell. „Aber ich fühle mich gut und freue mich einfach darauf, wieder ins Auto zu springen!“

Geholfen hätte ihm bei der Frustbewältigung vor allem der Zuspruch zahlreicher Kollegen. Selbst Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton baute Russell via Instagram auf. „Ich habe jede Menge Unterstützung erfahren, was mir sehr viel bedeutet hat. Es war überraschend, dass das auch von Rennsiegern kam, Fahrerkollegen, ehemaligen Weltmeistern und selbst Leuten außerhalb der Formel 1“, sagt Russell.

Zuspruch und Lob von Hamilton & Alonso für Russell wichtig

Wichtig sei das auch für sein Image - gerade, weil Zuspruch und Lob für seine sonstigen Leistungen in der Formel 1 von so hoher Stelle gekommen seien. „In der F1 ist es unfassbar schwierig, vor allem in der Position, in der wir uns befinden, zu zeigen, was ich als Fahrer kann. Wir kämpfen am Ende des Grids, ich bin in meinen 18 Monaten bis zwei Jahren in der Formel 1 punktlos und der Blick von außen auf das, was ein Fahrer macht, ist sehr schwierig“, erklärt der Williams-Fahrer.

Russell weiter: „Deshalb sind das Lob und die Unterstützung von Lewis und Fernando [Alonso; bezeichnete Russell als heißeste Aktie aller aktuellen Youngster] sehr bedeutend. Sie zählen zu den am meisten respektierten Leute im gesamten Sport. Das bedeutet mir viel. Trotzdem muss ich weiter Wochenende für Wochenende liefern.“ Sein Selbstvertrauen wieder gestärkt hätten die warmen Worte dennoch zu 100 Prozent.

George Russell philosophiert über Racing: Brief an Williams

Selbst bewältigte Russell seinen Patzer durch philosophische Gedanken, die der Brite auch in einem internen Mailing an das gesamte Williams-Team in Briefform ausführte. Darin entschuldigt sich Russell ein- und ausleitend für seinen Fehler und nutzt den Mittelteil zu Ausführungen dazu, welche Herangehensweise er im Rennsport für richtig hält.

In Istanbul auf den Brief angesprochen fasst Russell diese Gedanken für die Weltöffentlichkeit zusammen. „Es war nicht unbedingt ein Entschuldigungsbrief, es war mehr ein Brief ans Team. Ich schicke ihnen öfter meine Gedanken und Ansichten durch“, stellt Russell zunächst klar. „Zuerst habe ich mich da für den Fehler entschuldigt, der von meiner Seite aus inakzeptabel war. Der Fehler hat mir aber Zeit gegeben, dann mehr über die Herangehensweise ans Racing nachzudenken.“

Russell über Racing: Gratwanderung zwischen Risiko und Vorsicht

Und wie sieht diese aus? Motorsport-Magazin.com hat den Wortlaut.
George Russell: „Racing belohnt manchmal die, die Risiken eingehen. Manchmal belohnt es auch mehr den vorsichtigeren Ansatz und letztes Wochenende wäre ich vielleicht - höchstwahrscheinlich - mit einem Ergebnis davongekommen, wenn ich den vorsichtigeren Ansatz gewählt hätte. Aber wo ziehst du da die Linie? Bist du auf deiner Quali-Lap vorsichtiger? Bist du mit deinem Setup vorsichtiger? Bist du beim Stopp vorsichtiger? Wir sind alle Racer. Wir sind hier, um die Grenzen zu verschieben. Dabei passieren Fehler. Sollten wir Fehler fürchten? Ich denke nicht. Das habe ich ihnen mitgeteilt.

Bereue ich, was passiert ist? Absolut. Aber verändert es meine Herangehensweise an dieses Wochenende und für die Zukunft? Nein. Wir sind alle hier, um die Grenzen zu verschieben. Wir sind alle Racer und dafür sind wir hier.“