Esteban Ocon hat in der Formel-1-Saison einen schweren Stand. Der Mercedes-Junior wird bei seinem Comeback mit Renault klar von Teamkollege Daniel Ricciardo in den Schatten gestellt. Müssen sich die Franzosen Sorgen um ihren Landsmann machen? Teamchef Cyril Abiteboul hat die Lage erkannt und will helfen. Ocon selbst führt mehrere Faktoren für die fehlende Konkurrenzfähigkeit an.

"Ich denke, Daniel macht dieses Jahr einen fantastischen Job. Und natürlich ist es sein zweites Jahr mit dem Team. Er hat sich etabliert und kennt das Team viel besser", sagt der 24-Jährige, der Ende 2018 sein Cockpit bei Racing Point an Lance Stroll verloren hatte und daraufhin ein Jahr aussetzen musste. Im Sommer 2019 verpflichtete ihn dann Renault, um den Platz Nico Hülkenbergs einzunehmen.

Die Gelben setzten große Hoffnungen in den Formel-3-Europameister, der in der Königsklasse den Beweis schuldig geblieben war, seinem Ruf als Max-Verstappen-Killer gerecht zu werden. Doch auch die Rückkehr in den Farben eines Werksteams konnte daran bisher nichts ändern. Mit 78:36 Punkten liegt Ricciardo in der Weltmeisterschaft vorne. Im teaminternen Qualifying-Duell steht es 10:1 für den Australier.

Kürzlich machten sogar Gerüchte die Runde, er könne bei Renault durch Pierre Gasly ersetzt werden. Diese scheinen angesichts eines gültigen Vertrages für die kommende Saison zwar aus der Luft gegriffen, doch die Notlage Ocons hat das Team längst erkannt und begonnen, gegenzusteuern.

Ocon rechtfertigt Performance mit Erfahrungsrückstand

"Selbst wenn wir die Punkte herausrechnen, die er [Ocon] aufgrund von Zuverlässigkeitsproblemen verloren hat, wäre er immer noch eine ganze Ecke hinter Daniel", so Abiteboul, der sich nicht bemüht die Statistiken schönzureden. Ein Grund zur Panik sind diese für ihn aber trotzdem nicht.

"Wir reden hier von Daniel Ricciardo. Er hatte schon gute Teamkollegen, Perez war besonders stark. Aber ich glaube, dass Daniel noch besser ist", bricht der Teamchef eine Lanze für beide Fahrer. Doch warum ist das Gefälle zwischen Ocon und dem siebenfachen Grand-Prix-Sieger derart stark?

"Für mich ist es ein gutes Jahr, um zu lernen und all die Leute kennenzulernen, mit denen ich arbeite. Diese Dinge brauchen ihre Zeit. Ich war letztes Jahr raus und deshalb dauert es einfach noch etwas länger", so die Rechtfertigung von Ocon. Darüber hinaus sei das Jahr 2020 besonders schwierig, um sich innerhalb eines neuen Teams zurechtzufinden.

"Außerdem haben wir eine straffe Saison, in der du zwischen den Rennen keine Zeit hast, viel an dir zu arbeiten. Die Zeit vergeht so schnell. Es fühlt sich an, als ob wir vor einer Ewigkeit in Österreich waren, dabei ist das erst drei Monate her", erklärt er weiter.

Renault-Teamchef mahnt: Ocon braucht realistische Ziele

Die Niederlagen sind für die mentale Verfassung des von Mercedes an Renault ausgeliehenen Franzosen definitiv nicht von Vorteil. In Monza ging er nach dem Rennen seinen Ingenieur im Boxenfunk an, sodass sich Abiteboul veranlasst sah, dazwischenzugehen und einen Maulkorb auszusprechen. Die Teamführung tut gut daran, Ocon aus seinem Tal zu helfen, denn 2021 steht ihm mit Fernando Alonso die nächste große Prüfung bevor.

"Er muss angesichts dieser Situation, die wirklich kein Desaster ist, pragmatisch sein und sich selbst realistische Ziele setzen", mahnt Abiteboul. "Außerdem muss er sich seine derzeitige Performance anschauen, ohne sich dafür zu schämen. Er muss sein Selbstvertrauen wieder aufbauen und auch seine Fähigkeit, geduldig zu sein. Manchmal ist es die Ungeduld, die junge Fahrer in die Fehler treibt."

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Ocon nach Monza mit Reset

Seit dem Vorfall in Monza hat Renault daran gearbeitet, Ocons Negativspirale einzubremsen - mit Erfolg, wie Abiteboul glaubt. "Er muss einfach so weitermachen wie in den letzten paar Rennen. Leider hat sich das aus Gründen, über die er keine Kontrolle hatte, noch nicht ausgezahlt. Aber seit Monza hatten wir eine Art Reset von Esteban und der Weise, wie wir zusammenarbeiten."

Am letzten Rennwochenende verpasste Ocon aufgrund eines Defekts eine Punkteplatzierung. Zwar lag er auch zum Zeitpunkt seines Ausfalls deutlich hinter Ricciardo, dennoch machte ihm der Eifel GP Mut. "Ich freue mich, dass ich mit jedem Rennen stärker werde. Es war zwischen Daniel und mir beim letzten Qualifying auf dem Nürburgring sehr eng. Ich komme immer näher heran", so Ocon. In den ausstehenden sechs Rennen möchte er Riccardo zum Abschluss noch einmal Druck machen.

Renault glaubt an Turnaround für 2021

Mit der Ankunft Alonsos kann er sich im Renault-Werk bereits anfreunden. "Fernando ist schon in die Entwicklung des Autos involviert. Wir hatten zusammen Meetings, nachdem er das Auto in Barcelona getestet hat. Jemanden wie Fernando dabei zu haben, der so viel Erfahrung hat, wird für das Team sehr interessant. Und natürlich kann ich von einer Legende wie ihm auch immer etwas lernen."

Alonsos letzter Teamkollege zerbrach am dominanten Auftritt des Spaniers. Nach einer 0:21-Niederlage war die F1-Karriere von Stoffel Vandoorne Ende 2018 bis auf weiteres beendet. Abiteboul glaubt daran, Ocon vor einem derartigen Absturz bewahren zu können: "Ich habe überhaupt keine Sorge, dass wir das nicht in den Griff bekommen könnten. Und mit der Unterstützung des Teams um ihn herum werden wir es in den Griff bekommen."