Nico Hülkenberg hat es tatsächlich geschafft. Bei seinem zweiten Formel-1-Comeback als Kurzarbeiter in der F1-Saison 2020 hinterließ der Emmericher am vergangenen Wochenende auf dem Nürburgring sogar fast noch mehr Eindruck als bei seinem ersten Auftritt als Edeljoker bei den beiden Grands Prix im britischen Silverstone zu Beginn des Jahres.

Dort hatte Hülkenberg als Ersatz für den an Corona erkrankten Sergio Perez am zweiten Wochenende zwar, sowohl mit P3 im Qualifying als auch mit P7 im Rennen, die besseren Ergebnisse gegenüber den Resultaten des Eifel GP (Quali P20; Rennen P8) eingefahren, allerdings verfügte der nun 179-malige GP-Starter in Silverstone über eine weitaus gründlichere Vorbereitung.

Hülkenberg mit Kaltstart: Mehr ging nicht

Auf den Habenseite standen der erste Event in Silverstone, wenngleich wegen eines technischen Defekts vor dem Start ohne eine einzige Rennrunde, viele Stunden im Simulator und ein weiter weniger hektischer Ablauf. Ganz anders vor dem Einsatz auf dem Nürburgring. Erst um elf Uhr am Samstagmorgen erfuhr Hülkenberg von seinem Glück, musste noch von Köln aus anreisen. Training? Bis auf Trockenübungen im Cockpit eine Fehlanzeige. Hülkenberg legte im Qualifying einen Kaltstart hin. Deshalb dreht dem Emmericher niemand einen Strick daraus, dass es über P20 nicht hinausging.

Formel 1, Hintergründe zum Blitz-Comeback von Nico Hülkenberg! (09:44 Min.)

„Wenn er das Training am Samstagmorgen gehabt hätte, dann wäre er sicherlich direkt an Checo dran gewesen. Aber es wäre zu viel verlangt gewesen, von ihm den nötigen Fortschritt bei der Rundenzeit zu erwarten, wenn alle anderen am Samstagnachmittag schon hart pushen und er erst loslegt“, sagt Racing Points Technikchef Andrew Green.

Racing Point: 2 Runden mehr für Q2, nochmal 4 für Q3

„Er hatte immer auch ein Auge auf Sonntag. Er wusste, dass er einfach sicherstellen musste, am Samstagnachmittag die 107%-Zeit zu schaffen, damit er am Sonntagnachmittag seine Gelegenheit bekommt. Da machte es keinen Sinn, rauszufahren und es in der ersten gezeiteten Runde am Samstagnachmittag in die Tonne zu hauen, dann wäre er am Sonntag nicht dabei gewesen“, erklärt Green Hülkenbergs zunächst verhaltenden Ansatz.

Nur zehn Runden spulte Hülkenberg in Q1 ab, gerade einmal vier davon waren Hot Laps. Hülkenberg hätte mit den nur 18 Minuten der ersten Session also schlicht die Zeit gefehlt, so Green. Hätte er mit mehr Fahrzeit in Q2 kommen können? Der Brite ist überzeugt: „Ja, klar. Nochmal mehr Fahrzeit und er wäre ins Q3 gekommen? Ja!“

Green weiter: „Nur zwei Runden mehr, und er wäre ganz klar aus Q1 gekommen. Und nochmal vier Runden mehr und er wäre in Q3 gekommen. Du musst ihm aber schon große Anerkennung dafür zollen, dass er die Rundenzeit gefahren ist, die er gefahren ist mit den Runden, den ihm zur Verfügung standen.“

Formel 1, Nürburgring: Hülkenberg lässt Vettel alt aussehen! (09:54 Min.)

Zwei Zehntel fehlten Hülkenberg auf P19, eine halbe Sekunde zum Q2, neun Zehntel auf den Teamkollegen. „Nico hat einen fantastischen Job erledigt, aus dem Stand, was effektiv Samstagnachmittag war. Er verdient eine gewaltige Anerkennung für das, was er geleistet hat“, lobt Green, zielt damit auch schon auf das Rennen. „In Anbetracht der Zeit, die ihm gegeben war und all den Änderungen, die am Auto vorgenommen wurden seit er es das letzte Mal gefahren war, hat er einen bemerkenswerten Job verrichtet.“

Racing Points Vorgeschichte mit Hülkenberg als Hilfe

Überrascht gewesen sei davon niemand im Team. „Wir wussten, dass er es schaffen würde. Deshalb ist immer er am anderen Ende der Leitung, wenn es um solche Situationen geht. Wir kennen ihn gut, wir wissen, was er mag, wir wissen, was er nicht mag. Wir haben das Auto sofort so eingestellt, wie wir wussten, dass es ihm gefällt [Hülkenberg fuhr jahrelang für das damals noch Force India genannte Team]. Aber er braucht Zeit im Auto, er braucht Zeit auf der Strecke - und das hat gefehlt.“

Zumindest bis zum Rennen. Mit er Zeit groovte Hülkenberg sich immer besser ein. Im Renntrimm fuhr der Emmericher letztlich nahezu auf einem Niveau mit Perez. Das er von P20 bis auf P8 nach vorne stürmte, sagt genug. Für Racing Point war der Wert allerdings noch sehr viel größer als der Gegenwert von vier WM-Punkten. Green verrät: Tatsächlich fuhr Hülkenberg de facto so etwas wie einen Back-to-back-Test sämtlicher Entwicklungen des Teams der vergangenen Wochen, die Hülkenberg, noch dazu selbst erst angestoßen hatte, so Green.

Hülkenberg stieß in Silverstone Entwicklungen an - jetzt Feedback

„Sein Feedback ist interessant, denn einige der Entwicklungen, die wir ans Auto gebracht haben, waren ein direktes Resultat seines Feedbacks in Silverstone“, enthüllt Green. „Das war echt interessant. Sein Feedback nach dem Rennen war sehr interessant und faszinierend. Denn er hatte Dinge angesprochen [in Silverstone], die er gerne am Auto geändert hätte, auch in Sachen Setup. Und das gingen wir nach Silverstone an.“

Konkret handelte es sich um die zuletzt überarbeiteten Aufhängungen an Vorder- wie Hinterachse. „Die waren ein direktes Resultat seiner Anmerkungen“, berichtet Green. Hülkenbergs Rückmeldung zum Erfolg oder Misserfolg der Änderungen hatte Racing Point nie erwartet. Immerhin war der Emmericher in Silverstone nur Reservist, ein weiterer Einsatz im RP20 nie vorgesehen. „Wir hätten nie gedacht, dass er jemals wieder in diesem Auto sitzen würde, aber jetzt kam es eben doch so“, scherzt Green über diese unwahrscheinliche, aber unschätzbar wertvolle Entwicklung.

Andrew Green: Unschätzbar wertvolles Hülk-Urteil

„So haben wir jetzt das Feedback zu den Entwicklungen, die wir am Auto vorgenommen haben, bekommen. Das war interessant und wichtig“, sagt Green. Weil Hülkenberg alles andere als angetan war? Immerhin hatte sich der Emmericher nach dem Qualifying noch beklagt, den letzten Platz auch damit erklärt, die Wiedereingewöhnung sei ihm schwergefallen, weil sich das Fahrgefühl im RP20 sich durch Updates seit Silverstone deutlich verändert habe.

Nein, Green winkt ab. „Du kannst dich in vier Runden nicht daran anpassen“, erklärt der Technikchef. „Und er hatte am Samstagnachmittag ja nur vier Runden. Da war es unmöglich, sich an die ganzen Änderungen seit Silverstone anzupassen. Aber bis zum Ende des Rennens hatte er mehr als genug Zeit dafür im Auto. Und der Wert seines Feedbacks dazu ist gar nicht zu messen!“

Zufrieden sei Hülkenberg nach abgeschlossener Findungsphase nämlich durchaus gewesen. „Ja“, bestätigt Green auf konkrete Nachfrage. „Er sah einen Schritt in die richtige Richtung.“ Noch mehr gehe allerdings immer. Die nächsten Änderungsratschläge des unglaublichen Hulk also? Offenbar. Fragt sich nur, ob er bei einem Hülkenback 3.0 erneut sein Urteil fällen darf …