Für die einen sind es belgische Ortsnamen, für die anderen die schönsten Kurven der Welt: Stavelot, Blanchimont, Les Combes, Pouhon oder Malmedy und natürlich das Flüsschen Eau Rouge - sie alle leihen den Streckenteilen der vielleicht aufregendsten Formel 1-Rennstrecke der Welt ihre Namen.

Mit einer Länge von 6,976 Kilometern ist Spa-Francorchamps der längste Kurs im Rennkalender und gilt zudem als ausgesprochene Fahrerpiste, auf welcher sich im wahrsten Sinne des Wortes die Spreu vom Weizen trennt. Die Passage durch die Senke von "Eau Rouge" und dann steil bergauf Richtung "Kemmel" gehört zu den absoluten Klassikern der Formel 1 – auch wenn sie mit den heutigen Abtriebswerten in der Regel problemlos "voll" geht.

Start frei zum Belgien GP in Spa-Francorchamps., Foto: Sutton
Start frei zum Belgien GP in Spa-Francorchamps., Foto: Sutton

Dasselbe gilt für die Linkskurve "Blanchimont", die bei passender Fahrzeug-Abstimmung ohne Lupfen des Gaspedals in das Vollgas-Stück bis zur Bus-Stop-Schikane einbezogen wird. Besonderheit beider Stellen: In "Eau Rouge" werden die Piloten mit bis zu 4g in den Sitz gepresst, in "Blanchimont" zerren ähnlich hohe Fliehkräfte an den Nackenmuskeln der Heroen in ihren hochmodernen Kisten.

Eine Fahrt auf der Ardennen-Achterbahn

Für das F1-Comeback des belgischen Kurses, der 2003 aus Tabakwerbegründen aus dem WM-Kalender geflogen war, wurde für die Saison 2004 die berühmte Bus-Stop-Schikane durch eine großzügigere Lösung ersetzt. Zuvor war die Schikane eine eher unharmonische Kurve, welche oft Schauplatz dramatischer Verbremser gewesen ist. Die jetzige Links-Rechts-Kombination ist hingegen deutlich flüssiger und verlängerte die Strecke um rund zehn Meter.

Am Start geht es in La Source eng zu., Foto: Sutton
Am Start geht es in La Source eng zu., Foto: Sutton

Als Charakteristikum der Berg- und Talbahn nahe der deutsch-belgischen Grenze kommt immer wieder das wechselhafte Wetter ins Spiel. Ähnlich wie am Nürburgring sind Wochenenden ohne einen einzigen Regentropfen die Ausnahme, was dem Spannungsfaktor noch mehr Nahrung verschafft.

So auch beim Regenrennen des Jahres 1998, bei welchem in der La Source Haarnadel nach dem Start der größte Massencrash der Formel-1-Geschichte stattfand. Die benannte La Source Haarnadel am Ende der kurzen Start- und Zielgeraden ist eine weitere Schlüsselstelle. Schließlich müssen sich hier die 20 Piloten im wahrsten Sinne des Wortes Runde für Runde einfädeln.

Was das Setup betrifft, so fährt man in Spa-Francorchamps nicht mit besonders viel Flügel. Das hat den einfachen Hintergrund, dass auf die der Eau Rouge eine lange Gerade folgt, genau wie nach Stavelot in Richtung Blanchimont und Bus Stop. Leistungsschwächere Teams fahren deshalb schon einmal mit flacheren Flügeln, aber grundsätzlich wird eine Medium-Downforce-Abstimmung gewählt. Mechanisch werden die Fahrzeuge wegen der großen und flachen Kurven hart abgestimmt.

Herausforderung Eau Rouge

Die berühmteste Kurve der Welt: Eau Rouge., Foto: Sutton
Die berühmteste Kurve der Welt: Eau Rouge., Foto: Sutton

Wer über den GP-Kurs in Spa-Francorchamps spricht, der erwähnt zwangsläufig die wohl berühmteste Kurve der Welt: Die Eau Rouge. Und obwohl der Kurs aus sehr viel mehr Kurven besteht, die nicht minder herausfordernd sind, ist die Kurve des roten Wassers der Inbegriff der Ardennenachterbahn.

Nüchtern betrachtet handelt es sich bei dieser legendären und viel zitierten "Eau Rouge" allerdings nur um ein in einer Senke gelegenes "S", welches im sechsten respektive siebten Gang mit gut 300 km/h durchfahren wird, und das nach dem steilsten Bergaufstück der Formel 1 in eine nicht einsehbare Linksbiegung mündet.

Benannt wurde die Kurve nach einem in der Nähe gelegenen Bach, dessen Wasser sich aufgrund des roten Bodens leicht rötlich färbt. Durch die Augen eines F1-Piloten wie Michael Schumacher oder Jacques Villeneuve betrachtet, stellt sie jedoch eine der letzten richtigen Natur- sowie Mutkurven dar. Auf diese rasen die Fahrer von der "La Source"-Haarnadel kommend mit Höchstgeschwindigkeit zu. Beim Einlenken wird der Wagen tief in die Stoßdämpfer gepresst, bevor er noch im ersten Kurvenabschnitt federleicht wird, da die Kurve um 15 Prozent ansteigt.

Bereit zum Abschuss der Kanonenkugeln., Foto: Sutton
Bereit zum Abschuss der Kanonenkugeln., Foto: Sutton

Zu diesem Zeitpunkt können die Fahrer die Kuppe des Hügels noch nicht einsehen. Für sie sieht es so aus, als würden sie direkt in den Himmel hineinrasen. Doch anstatt in den meistens Wolken verhangenen belgischen Himmel über der Ardennenachterbahn abzuheben, biegt der Kurs an dieser Stelle urplötzlich nach rechts ab, bevor der Streckenverlauf wieder links herum auf die "Kemmel"-Gerade führt.

"Man sieht im Fernsehen gar nicht, wie steil die Anfahrt ist", beschreibt Mark Webber die Eau Rouge. "Hier merkt man erst, was für eine Achterbahnfahrt einem bevorsteht. Danach ist es als ob man versucht einen Berg zu besteigen. Man wartet einfach nur noch darauf wie eine Kanonenkugel aus der Kurve geschossen zu werden!"

Kein Wunder also, dass Jacques Villeneuve die Eau Rouge trotz einiger heftiger Abflüge als die "wahrscheinlich aufregendste Kurve" der Formel 1 bezeichnet. Sein Kollege Bas Leinders geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn ist es die "schönste Kurve der Welt".

Mehr ließ die Eau Rouge von Villeneuves B·A·R 1999 nicht übrig., Foto: Sutton
Mehr ließ die Eau Rouge von Villeneuves B·A·R 1999 nicht übrig., Foto: Sutton

"Wenn man mit einem Formel 1-Auto hinauf fährt, dann ist das ein unglaubliches Gefühl – es ist sensationell!", beschreibt der Belgier den Höllenritt. "Zunächst fährt man mit 330 Km/h die Gerade runter und dann geht es mit Vollgas in die Eau Rouge! Dabei wird so viel Druck auf das Auto ausgeübt, dass die Fahrzeuge mit der Holzplatte aufsetzen. Deshalb sieht man dort auch immer den braunen Streifen – das ist das Holz. Wenn man oben ist, hat man noch immer 300 Km/h auf dem Tacho. In jedem Formel- oder Tourenwagenfahrzeug ist die Eau Rouge unglaublich, aber wenn man mit einem F1-Auto durch sie fährt, dann fehlen einem die Worte. Es ist der Wahnsinn!"

Und zwar ein wahnsinniger Ritt auf der Rasierklinge, wie Villeneuve nach seinen Unfällen in der Eau Rouge bestätigen kann. Nicht umsonst druckte er damals den Satz "I survived Eau Rouge" auf seine Autogrammkarten. "Es ist eine wirklich atemberaubende Kurve", sagt er heute. "Hier mit Vollgas zu fahren verbessert zwar nicht die Gesamtrundenzeit, aber es macht einen stolz. Stolz ist freilich dumm, aber wichtig!"

Die Streckengeschichte

1998 hinterließ die F1 viel Schrott in den Ardennen., Foto: Sutton
1998 hinterließ die F1 viel Schrott in den Ardennen., Foto: Sutton

Die Idee am berühmten Kurort Spa eine Rennstrecken zu errichten wurde im Jahr 1920 geboren. Man wollte das Dreieck der Verbindungsstraßen zwischen Malmedy, Stavelot und Francorchamps nutzen. Die Vorbereitungen wurden zwar im August 1921 abgeschlossen, allerdings konnte das erste Autorennen nicht stattfinden, weil sich nur ein einziger Teilnehmer angemeldet hatte. Schließlich wurde die Rennstrecke von Motorrädern eingeweiht, ehe 1922 tatsächlich erstmals Autos starteten.

1924 wurde zum ersten Mal das berühmte 24-Stunden-Rennen ausgetragen. Das erste bedeutende Monoposto-Rennen folgte 1925 mit dem Großen Preis von Europa. Sieben Fahrzeuge nahmen daran teil. Es gewann Antonio Ascari auf Alfa Romeo. Wegen des Zweiten Weltkrieges ruhte der Rennbetrieb sieben Jahre lang bis 1947. Im Jahr 1970 fand das letzte Rennen auf dem bis dato 14 Kilometer langen Kurs statt. Die Autos waren mittlerweile zu schnell für diese Strecke geworden, die Fahrer weigerten sich, das Risiko einzugehen. 1979 wurde der aktuelle Kurs eröffnet. In Spa fanden bislang 38 der 50 Großen Preis von Belgien statt. Zehn Mal startete die Formel 1 in Zolder, zwei Mal auch in Nivelles.

Das sagen die Experten über Spa-Francorchamps

Ein gut gemeinter Rat: Don't Walk in Eau Rouge., Foto: Sutton
Ein gut gemeinter Rat: Don't Walk in Eau Rouge., Foto: Sutton

Der Fahrer - Ralf Schumacher: "Spa hat als eine der letzten so genannten Naturrennstrecken einen besonderen Charakter. Sie ist so eine Art Achterbahn zum Selberfahren. Nirgendwo ist eine Runde länger als dort, es gibt viele schnelle Passagen, aber auch enge Kurven und die Kompression in der berühmten Eau-Rouge-Kurve. Allerdings finde ich die Legendenbildung um diese Senke ein bisschen übertrieben. Sie wurde ja vor einiger Zeit etwas umgebaut und entschärft. Mittlerweile kann da eigentlich jedes moderne und vernünftig abgestimmte Formel-1-Auto mit Vollgas durchfahren. Bei allem Charme, den Spa zweifellos hat, muss man auch sehen, dass die Auslaufzonen an einigen Stellen nicht mehr so ganz zeitgemäß sind. Moderne Rennstrecken sehen anders aus – im Einzelfall sind sie langweiliger, in der Regel sicherer."

Der Techniker - Sam Michael: "Spa ist großartig. Die Autos in Eau Rouge und Blanchimont zu sehen, hat etwas Magisches. Beim Set-up geht es nicht um maximalen Anpressdruck. Aber es ist wichtig, auf dem Rückweg vom entlegenen Streckenende gute Stabilität in den mittelschnellen, fließenden Kurven zu haben. Das Wetter kann Chaos provozieren, weil es manchmal in einzelnen Abschnitten regnet, aber in anderen trocken bleibt."

Der Motorenmann - Mario Theissen: "Dieser weitläufige Kurs mit dem etwas herben Charakter hat nicht nur spektakulär schnelle Kurven, sondern auch erhebliche Steigungen. Wenn die Fahrer in Eau Rouge das Gas stehen lassen, ergibt sich hier sogar die längste Volllastpassage der Saison."