Ferrari reiste heuer gesenkten Hauptes zum Formel-1-Wochenende nach Russland. Mit im Gepäck der Saison 2020: Zwei glückliche Podien gerade einmal 66 Punkte und nur Rang 6 in der Konstrukteurs-Meisterschaft. Der Kontrast zu letztem Jahr könnte kaum größer sein.

2019 ging die Scuderia als Favorit in das Rennen von Sotschi. Eine Serie von drei Rennsiegen und Pole Positionen en suite, sowie der Ferrari-Powervorteil, den das Team – wie wir heute wissen – durch Tricksereien am Motor zustande brachte, machten Hoffnung auf ein Durchbrechen der Mercedes-Dominanz in Russland.

Im Qualifying ging dann fast alles nach Plan. Charles Leclerc setzt den auf eine Runde so starken Ferrari auf die Pole. Vettel sicherte sich allerdings hinter Lewis Hamilton nur Startplatz 3. Doch für das Rennen sollte eine Doppelführung her. Das brachte die Ferrari-Ingenieure auf eine Idee. Man wollte am Start den Windschatten von Leclerc nutzen, um Vettel gegen Hamilton zu helfen.

So weit alles nach Plan: Vettel überholt Leclerc in Kurve 1, Foto: LAT Images
So weit alles nach Plan: Vettel überholt Leclerc in Kurve 1, Foto: LAT Images

Und dieser Plan ging auch voll auf – zumindest bis Kurve 1. Vettel hatte einen guten Start und Leclerc spendete ihm wie abgemacht Windschatten, daraufhin ging Vettel ohne Gegenwehr an Leclerc vorbei. "Ich bin am Start extra links gefahren, um Sebastian den Windschatten zu geben. Wären Sebastian und Lewis nebeneinander gewesen, hätte ich Sebastian geholfen, so war es abgemacht. Ich wusste, dass er mich überholen wird und die Position später zurückgibt", erklärte der Monegasse nach dem Rennen die Ferrari-Vereinbarung.

Vettel bleibt stur – und in Führung

Doch von da an ging plötzlich nichts mehr wie vereinbart. Denn anstatt Leclerc wieder passieren zu lassen hielt der Heppenheimer seine Position. Vettel wies darauf hin, dass die Mercedes noch zu nah dran wären, um einen Positionswechsel zu riskieren. Leclerc pochte auf den Tausch. "Sebastian wird dich nächste Runde vorbeilassen" wurde ihm mitgeteilt.

Doch der dachte gar nicht daran, Vettel blieb trotz mehrerer Anweiseungen seinen Teamkollegen vorbeizulassen in Führung. Leclerc wütete am Funk: "Ihr habt mich dahinter platziert, ich habe alles respektiert. Wir werden später sprechen. Aber jetzt ist es natürlich schwer, die Lücke zu schließen."

Die Singapur-Vorgeschichte

Denn Ferraris Teamstrategien mit Vettel und Leclerc hatten eine noch junge Vorgeschichte. Nur eine Woche zuvor verlor Leclerc in Singapur einen möglichen Sieg, da das Team den auf Rang 2 liegenden Vettel früher an die Box holte, um gegen Mercedes abzudecken. Vettel schaffte den Undercut gegen Leclerc und sicherte sich den Rennsieg. Das Team hatte Leclerc geopfert, um einen Ferrari-Doppelsieg abzusichern. Bereits damals verlor Leclerc am Boxenfunk die Contenance und schimpfte über die Strategie.

In Russland würgte Ferrari-Sportdirektor Laurent Mekies den einen Wutanfall von Leclerc schnell ab: "Charles, wir werden den Tausch etwas später machen. Lewis ist etwas nah, wir pushen jetzt und machen es später. Fokussiere dich jetzt einfach auf dein Rennen", funkte er an seinen aufgebrachten Fahrer.

Am Funk kehrte danach erstmal Ruhe ein. Ferrari nutzte die Boxenstopps, um Leclerc an die Spitze des Klassements zu bringen. Der zweifache Grand-Prix-Sieger wurde früher als geplant schon in Runde 23 reingeholt. Vettel blieb noch ein paar Umläufe auf der Strecke und bekam erst in Runde 26 frische Pneus aufgesteckt.

Wenn zwei sich streiten...

Dadurch kam Leclerc wie geplant vor Vettel auf die Strecke. Doch während sich die Ferraris in die Haare gerieten und ihre Stopps absolviert hatten, blieb Hamilton auf der Strecke und es kam so wie es kommen musste: Sebastian Vettels SF90 gab den Geist auf und verursachte ein Virtuelles Safety Car. Mercedes nutzte die Situation zu einem Gratis-Boxenstopp von Hamilton und der Brite blieb vorne. Mit einem weiteren Stopp kurze Zeit später büßte Leclerc auch noch Platz 2 an Bottas ein. Die Silberpfeile feierten einen Doppelsieg und Ferrari reiste mit gerade mal 15 Zählern aus Russland ab.

Vettels Ferrari wird abtransportiert: Ferrari verliert den Sieg, Foto: LAT Images
Vettels Ferrari wird abtransportiert: Ferrari verliert den Sieg, Foto: LAT Images

Seit damals gelang es Ferrari nicht mehr ein Formel-1-Rennen zu gewinnen. Das teaminterne Verhältnis wurde allerdings nachhaltig beschädigt. Ein weiterer teaminterner Super-Gau beim Großen Preis von Brasilien, als Vettel und Leclerc kollidierten, trug noch das seine dazu bei. Nach der Saison verlängerte das Team mit Charles Leclerc bis 2024 und setzte Sebastian Vettel für 2021 vor die Tür. Beim Großen Preis von Russland heute wird Ferrari kaum ein Wörtchen um den Sieg mitreden. Denn beim Formel-1-Rennen, das um 13.10 Uhr über die Bühne geht, starten Vettel und Leclerc außerhalb der Top-10.