Mit dem Russland GP in Sotschi startet die Formel 1 am kommenden Wochenende in die zweite Hälfte der Saison 2020. Im ‚Sochi Autodrom’ verfügt Mercedes über eine makellose Bilanz, ist noch ungeschlagen. Egalisiert Lewis Hamilton also Michael Schumachers Siegrekord? Oder gibt Red Bull Max Verstappen Grund für sehr viel bessere Laune als zuletzt und ärgert die Weltmeister?

Was geht für Ferrari dank Updates am SF1000? Setzt Renault seine Renaissance auch am Schwarzen Meer fort? Plus: Folgt das nächste Chaos-Rennen? Fragen über Fragen. Wir blicken auf die heißesten Themen vor dem Formel-1-Rennen in Sotschi 2020.

Sotschi-Brennpunkt #1: Stellt Hamilton Schumis Siegrekord ein?

Von Belgien 1992 bis China 2006: 91 Siege feierte Michael Schumacher in der Formel 1. Ein Rekord gemacht für die Ewigkeit. 14 Jahre später wackelt die scheinbar ewige Bestmarke nun doch. Nach seinem Sieg in Mugello kann Lewis Hamilton die Schumi-Vorgabe am Wochenende in Russland egalisieren. Die Voraussetzungen scheinen ideal: Mercedes dominiert 2020 nach Belieben und verfügt in Sotschi zudem über eine makellose Bilanz, feierte sechs Siege in sechs Rennen.

Hamilton selbst steuerte vier dieser Erfolge in Sotschi bei, Nico Rosberg 2016 und Valtteri Bottas 2017 sorgten für die übrigen Mercedes-Siege. Vor allem der Finne kommt im Sochi Autodrom ausgezeichnet zurecht, landete bereits 2014 bei der Premiere mit Williams auf dem Podium und belegte in den beiden Vorjahren jeweils den zweiten Platz hinter Hamilton. 2018 hätte Bottas ohne eine Mercedes-Teamordner sogar gewonnen. Eine Bilanz, die allen Schumi-Fans Hoffnung machen darf, dass der Rekord noch ein paar Wochen länger hält.

Sotschi-Brennpunkt #2: Hat Verstappen Grund für bessere Laune?

Technische Probleme sorgten bei Max Verstappen zuletzt für zwei Ausfälle in Folge. In Monza noch unmittelbar, beim zweiten Rennen in Italien geriet der Niederländer nach einem Durchhänger der Power Unit dann wenige Meter nach dem Start des Rennens in Mugello ins enge Getümmel des Mittelfelds und fiel einem Crash zum Opfer. Seinen Frust verbalisierte Verstappen zunächst durch eine Schimpftirade am Boxenfunk, gefolgt von TV-Interviews. Fazit: Schnauze voll!

Teamchef Christian Horner zeigte bereits Verständnis für den Ärger seines Superstars, lobte Verstappen sogar. Das zeuge nur von seiner Leidenschaft. Gleichzeitig gelobte der Brite, gemeinsam mit Honda an einer Lösung zu arbeiten, um einer weiteren Wiederholung vorzubeugen. Zudem müsse Verstappen den Frust ‚aus seinem System’ bekommen. „Ein Wochenende frei zu haben war für jeden im Team gut“, sagt Verstappen nun vor Sotschi. „Ich freue mich jetzt aber, wieder Rennen zu fahren - besonders, nachdem ich in Mugello im Rennen nicht eine Runde gefahren bin. [...] Aber das müssen wir jetzt hinter uns lassen.“

Defekt-frei zu bleiben allein, dürfte einen Max Verstappen in Sotschi nicht zufriedenstellen. Auch, wenn der WM-Zug in seinen Augen längst abgefahren ist, zumindest im Kampf um Siege will Verstappen Mercedes und Hamilton immer herausfordern. „Wir werden nicht aufhören, um Siege und Podien zu kämpfen“, verspricht Verstappen. In Russland stehen die Vorzeichen dafür nicht nur wegen Mercedes’ weißer Weste [vgl. Brennpunkt #1] dürftig. Verstappen: „In Sotschi wird es nicht leicht, das war mit all den langen Geraden nie einer unserer Lieblinge.“ Tatsächlich: In bislang sechs Ausgaben des Russland GP stand nie ein Bullen auf dem Treppchen.

Teamkollege Alexander Albon macht sich nach seinem ersten Formel-1-Podium in Mugello ebenfalls keine Illusionen. Mercedes sei in Sotschi einfach zu stark. „Es ist ein ziemlich einzigartiger Kurs, auf dem du sehr schnell bist, wenn du dich in diesem spezifischen Kurventyp - diesen 90-Grad-Kurven im vierten Gang - wohlfühlst, denn auf dieser Strecke ist jede Kurve gleich“, erklärt Albon im Podcast ‚F1 Nation’. Genau dort - in jenen mittelschnellen Kurven - sei Mercedes eine Instanz.

Sotschi-Brennpunkt #3: Was ist in Sotschi für Ferrari drin?

Ferrari reist mit einem minimalen Aufwärtstrend und noch dazu einem kleinen Update für den SF1000 nach Sotschi. Nach zwei Nullnummern in Spa (zu langsam) und Monza (zu langsam und Defekt und Unfall) schafften es Sebastian Vettel und Charles Leclerc bei den großen Feierlichkeiten zum 1000. Formel-1-Rennen der Scuderia in Mugello zumindest beide knapp in die Punkteränge. Zurückzuführen war das vor allem auf das Streckenlayout - Mugello forderte weit weniger eine starke Power Unit als zuvor Spa und Monza.

Formel 1, Danners Fazit: Gerechte Strafe für Ferrari? (37:41 Min.)

Im Sochi Autodrom sieht das wieder anders aus. Sowohl die Start-Ziel-Gerade als auch die Gegengerade sind enorm lang, werden Ferrari und seine Motorenkunden leiden lassen. Den möglichen Zeitgewinn der ohnehin nur kleineren Upgrades dürfte das gleich wieder auffressen. „Es wird das Gesamtbild nicht ändern“, sagte Teamchef Mattia Binotto in Mugello ohnehin schon über die angekündigten Neuerungen. „Wir wollen soweit wie möglich die Schwächen der vergangenen Rennen korrigieren“, ergänzt Sportdirektor Laurent Mekies, nicht minder kleinlaut, nun vor Russland. Der Fokus liege eher darauf, zumindest 2021 zumindest etwas besser in Tritt zu kommen.

Vettel und Leclerc werden sich also erneut glücklich schätzen können, in irgendeiner Form Zählbares mitzunehmen.

Sotschi-Brennpunkt #4: Setzt Renault die gute Form fort?

Während Ferrari in den WM inzwischen sogar um Gesamtrang sechs bangen muss - AlphaTauri lauert nur noch 13 Punkte hinter der Scuderia - hat Renault die Roten zuletzt überflügelt. 47 Punkte nahmen die Gelben beim vergangenen Tripleheader mit - die beste Ausbeute aller Teams, Mercedes ausgenommen. Nicht nur, wie erwartet, auf den Highspeedkursen von Spa und Monza präsentierte sich Renault stark, auch im kurvigen Mugello.

Russland verbindet beides, dementsprechend optimistisch geben sich die Franzosen, an die starke Form anknüpfen und McLaren und Racing Point in der WM angreifen zu können. „Wir denken, dass das Auto dort konkurrenzfähig sein wird und wir werden uns bestmöglich vorbereiten und sicherstellen, dass wir da sind, wenn es zählt“, sagt Esteban Ocon.

„Wir haben beim letzten Tripleheader zwei vierte Plätze geschafft, das Ziel bleibt, weiter solche Big Point zu holen, um im WM-Kampf zu bleiben. Wir wollen unseren starken Lauf fortsetzen und dieses Wochenende gut punkten“, sagt Daniel Ricciardo. Der Kampf im Mittelfeld bleibe allerdings weiter eng. „Eine oder zwei Zehntel machen schon den Unterschied, ob du in Reihe zwei oder außerhalb der Top-10 startest“, mahnt der Australier - auch sich selbst. Besser als auf Platz sechs schnitt Ricciardo in Sotschi nie ab. Ricciardo: „Es war nie mein stärkster Kurs, ich kann dort noch ein paar Kniffe lernen. Ich freue mich darauf, diese herauszufinden.“

Gefährlich werden dürfte Renault vor allem Sergio Perez. Der Mexikaner musste in Mugello noch auf ein Update für den RP20 verzichten. Lance Stroll verliehen die Neuerungen - zumindest im Rennen und bis zu seinem Unfall - Flügel. Bekommt nun auch der Mexikaner die neuen Teile, ist mit Checo unbedingt zu rechnen - zumal Perez sich in Sotschi Bottas-like wohlfühlt.

Sotschi-Brennpunkt #5: Gibt es wieder ein Chaosrennen?

Eine Rennunterbrechung in Monza, gleich zwei in Mugello - der Formel 1 mangelt es derzeit alles andere als an Action. Auch Kiesbetten und anspruchsvollen Layouts sei Dank. Sotschi hingegen bietet eine Asphaltwüste. Potential für Chaos und Action liefert das Autodrom dennoch. Mit 80 Prozent liefert Sotschi eine besonders hohe Safety-Car-Quote.

Vor allem der Start lädt zu Spektakel ein. Von 2015 (Hülkenberg/Ericsson) über 2016 (Kvyat/Vettel) bis 2017 (Grosjean/Palmer) krachte es drei Jahre in Folge heftig. Grund dafür ist eine enge echte erste Kurve (Turn 2) nach einem fast 900 Meter langen Sprint. Im weiteren Rennverlauf bleibt Sotschi brenzliger als es zunächst scheint. Die Begrenzungen stehen nah an der Strecke, vor allem in der blinden Kurve 13 nach der Gegengeraden, die Boxengasse ist eng und in der ultraschnellen wie -langen Kurve vier kann der mit Renndauer zunehmende Gummiabrieb selbst leichtes Abweichen von der Ideallinie hart bestrafen.

„Mit den ganzen Mauern und mittelschnellen bis schnellen Kurven kann es ein Action-geladenes Rennen werden“, sagt Ricciardo. Damit nicht genug. Den größten Vorboten für Chaos schickt Netflix: Das TV-Team begleitet am Wochenende in Russland für seine dritte Staffel von "Drive to Survive" Mercedes. Wie das im vergangenen Jahr in Hockenheim endete, wissen nicht nur Formel-1-Fans allzu gut. Toto Wolff: „Das sorgte für eine sehr unterhaltsame Netflix-Folge, aber wir hoffen, dass wir diesmal nicht nur großartigen Content, sondern auch ein großartiges Rennen liefern können.“