Zum dritten Mal in der Formel-1-Saison 2020 holte Mercedes am Freitag nicht die Bestzeit ins silberne Lager. Erst grübelten die schwarzen Silberpfeile nach den Trainings in der Steiermark, dann in Großbritannien. An beiden Wochenenden dominierte Mercedes später. Gelingt das Kunststück auch beim Belgien GP in Spa?

Die Spitzengruppe war in beiden Trainings extrem eng zusammen. Die Tagesbestzeit holte Max Verstappen. Er umrundete die Ardennenachterbahn von Spa in 1:43,744 Minuten. Nur wenige Tausendstel langsamer war Daniel Ricciardo. Auch Lewis Hamilton auf P3 fehlte nicht einmal eine Zehntelsekunde. Auch Racing Point und McLaren waren mit vier Zehntel nicht völlig abgeschlagen auf der längsten Piste im Formel-1-Kalender.

Ferrari hingegen schon: Charles Leclerc beendete den Trainingstag auf Rang 15. Sebastian Vettel landete gar nur auf Platz 17. Nur Nicholas Latifi im Williams und die beiden von der Technik geplagten Haas-Piloten waren langsamer. Ist das ein realistisches Bild? Die Spitze bunt gemischt, Ferrari noch weiter hinten als ohnehin schon? Die Analyse der spannenden Trainings zum Belgien GP 2020.

Mercedes mit Untersteuern und Understatement

Zunächst vor an die Spitze: Dass Mercedes ernsthaft kämpfen muss, ist ungewöhnlich. Vor allem auf einer Strecke, die dem F1 W11 liegen sollte. "Ich glaube, Mercedes hat noch Probleme mit der Balance", analysierte Max Verstappen aus der Ferne. Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin bestätigt die These des Niederländers: "Beide Fahrer hatten mit der Balance zu kämpfen."

Vor allem die Vorderachse wollten nicht so recht wie Lewis Hamilton und Valtteri Bottas. Untersteuern plagte beide Mercedes-Piloten. Möglicherweise schon ein Indiz für ein Regensetup? Schließlich sagen die Meteorologen einen nassen Sonntag vorher.

Mercedes gibt sich gewohnt zurückhaltend. "Zwischen Red Bull und uns geht es sehr eng zu und ich glaube, dass sie im Moment vielleicht ein bisschen schneller sein könnten", so Hamilton. Der Brite nahm in der Zwischenzeit wohl Nachhilfeunterricht bei Teamchef 'Tiefstapel-Toto': "Auch Racing Point sieht hier stark aus, sie sind in unserer Nähe und das gilt auch für Daniel im Renault."

Renault die Wundertüte, Mercedes der Favorit

Schon an den vergangenen Wochenenden machte Renault am Freitag einen starken Eindruck. Am Samstag ging es dann sukzessive nach hinten. Von der Spitze war man weit entfernt. "Deshalb sind wir vorsichtig optimistisch", meint auch Renaults Chef-Renningenieur Ciaron Pilbeam. Ricciardo stimmt zu: "Wir müssen das morgen schaffen, dann zählt es."

Renault fällt aus der Gleichung ganz aus der Spitze raus. Aber kann Red Bull Mercedes wirklich unter Druck setzen? Verstappen glaubt nicht daran: "Das Auto fühlt sich gut an, der Freitag verlief positiv und ich bin insgesamt glücklich. Aber ich persönlich erwarte Mercedes morgen stärker. In den Longruns sind sie bereits konkurrenzfähiger und ich glaube nicht, dass wir mit ihnen um die Pole kämpfen werden, wenn sie den Motor aufdrehen."

In den Power-Sektoren eins und drei hielt sich Mercedes noch dezent zurück. Stattdessen fuhr man der Konkurrenz im kurvigen Mittelsektor davon. Dabei bekamen die Mercedes-Piloten gänzlich frische Motoren für den Belgien GP. Für die Qualifikation darf eine Abschieds-Party des Motormodus erwartet werden - und entsprechend eine Pole-Position.

Aber wie sieht es auf den Longruns aus? Bottas sticht hervor, ist aber irrelevant, weil er seinen Soft-Dauerlauf am Ende mit leerem Tank fuhr. Generell sind die Longruns mit Vorsicht zu genießen: Die lange Runde in Spa sorgt von Haus aus schon dafür, dass es nur beschränkt Daten gibt. Dazu sorgte eine kurze Rot-Phase zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt für eine Zweiteilung der Runs.

Formel 1, Spa-Training: Longruns auf Soft-Reifen

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeitStint
Bottas1141:48,8542
Hamilton821:49,1141
Verstappen1051:49,3461
Perez821:49,3901
Norris721:49,5051
Ocon821:49,7651
Sainz721:50,3221
Stroll1061:50,3481
Albon941:50,3711
Kvyat1241:50,8431
Gasly1341:51,0371
Magnussen1241:51,4921+2
Vettel1661:51,5121+2
Giovinazzi1151:51,5491
Russell1031:51,6311

Formel 1, Spa-Training: Longruns auf Medium-Reifen

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeitStint
Stroll1241:48,9502
Verstappen1041:49,0522
Bottas1561:49,1091
Perez1561:49,2902
Albon1241:49,3322
Ocon1581:49,8202
Sainz1671:49,8952
Russell1551:50,6402
Giovinazzi1741:50,7392
Leclerc1021:50,8491+2

Formel 1, Spa-Training: Longruns auf Hard-Reifen

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeitStint
Hamilton1561:48,8462
Norris1561:49,8672
Gasly1341:49,9952
Kvyat1441:50,1002
Latifi1451:50,8492
Räikkönen1851:51,2431+2

Die bereinigte Liste wird von Hamilton angeführt. Verstappen folgt zwei Zehntelsekunden dahinter - fast zeitgleich mit Sergio Perez im Racing Point, der in Spa traditionell besonders stark ist. Auch Lando Norris war im McLaren nicht gänzlich abgeschlagen.

Von Daniel Ricciardo gibt es leider keine Longrun-Daten, weil er seinen Renault vorzeitig mit Hydraulik-Defekt abstellen musste. Die Zeiten von Ocon sind nicht ganz so vielversprechend wie die Ricciardo-Zeit.

Ferrari in Spa noch schwächer als befürchtet

Ein weiter Blick zurück: Ferrari. Selbst in der Presseaussendung heißt es schonungslos: "Die Performance war noch deutlich schlechter als erwartet, auch wenn das Team schon zuvor wusste, dass es in Spa dieses Jahr nicht einfach werden würde."

Die Fahrer klagten über eine schlechte Balance. Der SF1000 bekam nach den Hitzerennen in Silverstone und Barcelona im verhältnismäßig kühlen Spa die Reifen nicht zum Arbeiten. Ganz unschuldig daran scheint das Setup nicht.

Formel 1, Spa-Training: Topspeeds im FP2

FahrerTeamMotorkm/h
StrollRacing PointMercedes331,1
OconRenaultRenault330,2
GaslyAlphaTauriHonda330,1
RaikkonenAlfa RomeoFerrari328,7
KvyatAlphaTauriHonda328,6
LeclercFerrariFerrari328,0
PerezRacing PointMercedes327,3
GiovinazziAlfa RomeoFerrari327,0
RicciardoRenaultRenault326,4
VettelFerrariFerrari325,3
VerstappenRed BullHonda323,5
BottasMercedesMercedes323,5
HamiltonMercedesMercedes323,5
RussellWilliamsMercedes323,5
GrosjeanHaasFerrari323,2
LatifiWilliamsMercedes322,6
NorrisMcLarenRenault322,5
AlbonRed BullHonda322,2
MagnussenHaasFerrari322,2
SainzMcLarenRenault321,9

Dass der diesjährige Ferrari-Motor keine Wucht ist, ist bekannt. Ferrari fuhr am Freitag in Spa mit sehr flachen Flügeln. Womöglich, um das Leistungs-Defizit auszugleichen und auf den langen Geraden nicht zu verhungern. Auf den Geraden ging der Plan auf: Trotz schwachen Motors und der in diesem Jahr ineffizienten Aerodynamik fand sich Ferrari bei den Geschwindigkeitswerten im Mittelfeld wieder. Auch die Sektorzeiten waren annehmbar.

Formel 1, Spa-Training: Sektorzeiten

Sektor 1Sektor 2Sektor 3
Ocon30,391Hamilton43,786Ricciardo28,562
Ricciardo30,665Bottas44,010Stroll28,565
Perez30,723Albon44,143Norris28,654
Gasly30,794Verstappen44,202Verstappen28,677
Norris30,821Perez44,442Ocon28,703
Stroll30,838Ricciardo44,565Albon28,759
Verstappen30,862Raikkonen44,636Sainz28,781
Leclerc30,868Norris44,693Leclerc28,788
Sainz30,868Sainz44,825Kvyat28,806
Vettel30,880Stroll44,869Perez28,840
Kvyat30,918Giovinazzi44,921Gasly28,852
Giovinazzi31,021Gasly44,954Bottas28,897
Hamilton31,068Ocon45,078Giovinazzi28,919
Russell31,110Kvyat45,102Latifi28,967
Latifi31,120Russell45,162Hamilton28,986
Magnussen31,172Vettel45,535Raikkonen29,001
Raikkonen31,175Leclerc45,546Grosjean29,003
Grosjean31,202Grosjean45,629Vettel29,051
Bottas31,221Latifi45,647Magnussen29,127
Albon31,232Magnussen45,908Russell29,191

Dafür verloren Vettel und Leclerc im kurvenreichen Mittelsektor exorbitant. Auf den insgesamt Tagesschnellsten Verstappen verlor Ferrari auf rund 45 Sekunden Fahrzeit satte 1,3 Sekunden. Auf Hamilton, der die Sektorbestzeit fuhr, fehlten sogar 1,7 Sekunden. Welten.

Formel 1: Ist Ferrari wirklich so langsam in Spa? (09:50 Min.)

In Anbetracht der Wetterprognosen sind das keine guten Neuigkeiten. Eigentlich designte Ferrari den SF1000 für die Kurven und wollte dafür ein wenig Topspeed opfern. In Spa scheint der Plan, das Aerodynamik-Konzept mit kleinen Flügeln auszugleichen, überhaupt nicht aufzugehen.