Der Mercedes-Nimbus ist gebrochen. Nach vier Siegen für Lewis Hamilton oder Valtteri Bottas zu Saisonbeginn, hat Max Verstappen beim zweiten Rennen der F1-Saison 2020 in Großbritannien die Formel 1 erlöst: Mercedes ist doch noch schlagbar. Die schwarz lackierten Silberpfeile gewinnen dieses Jahr nicht alle Rennen, wie manch einer im Fahrerlager bereits fürchtete.

Formel 1, Verstappen schlägt Mercedes: Wie war das möglich? (11:39 Min.)

Noch dazu überholte Verstappen durch seinen Sieg bereits den ersten Mercedes in der WM-Wertung. Dort liegt der Red-Bull-Pilot mit 77 Punkten nun drei Zähler vor der Startnummer 77, Bottas. Auf Hamilton fehlen Verstappen 30 Punkte, also etwas mehr als das Äquivalent eines Rennsiegs. Geht jetzt noch was? Greift der Niederländer mit Red Bull doch in den WM-Kampf ein?

Lewis Hamilton: Red Bull nicht unterschätzen

„Red Bull scheint unter Rennbedingungen ziemlich nah an uns dran, heute waren sie sogar stärker, was zeigt, dass ihr Paket nicht so schlecht ist, wie vielleicht manche Leute behauptet haben“, warnte Hamilton am Sonntag nach dem Rennen. Den Briten freut das allerdings. Hamilton braucht die Herausforderung. „Es wird interessant, wie das Jahr jetzt weitergeht - ich werde sie definitiv nicht übersehen! Wir müssen sie genau im Auge behalten“, mahnte der WM-Leader. „Es wird auf keinen Fall leicht.“

Motorsportchef Toto Wolff stieß ins gleiche Horn. „Wenn du bedenkst, dass sie zu Saisonstart einen Ausfall hatten, dann ist der Abstand nicht groß. Dann wären sie nur fünf Punkte hinten, nicht 30“, sagte der Wiener. „Es sind jetzt vielleicht noch zehn Rennen, Ausfälle können bei den Punkten da schnell alles ändern und es könnte viel interessanter werden als viele Leute vor zwei Wochen noch gefürchtet haben.“

Wolff genießt Niederlage: Kein Mercedes-Spaziergang

Wolff sieht sich also nur bestätigt, dass seine fortwährenden Warnungen, man dürfe nichts als garantiert ansehen, nicht nur leere Worthülsen sind. Man habe einen WM-Kampf, so Wolff am Sonntagabend in Silverstone ganz klar. „Und ich genieße diese Situation gerade auf gewisse Weise“, so Wolff trotz der Niederlage. „Denn jeder hat gesagt, dass es ein Spaziergang für Mercedes wird. Und was wir hier bekommen haben, war ganz sicher kein Spaziergang. Wir waren ganz sicher nicht das schnellste Auto, vielleicht nicht einmal das zweitschnellste Auto.“

Wie Hamilton nimmt Wolff diese Challenge jedoch gerne an. Jetzt müsse Mercedes eben schnell reagieren und das grundsätzlich vielleicht schnellste Paket, so Wolff, auch bei Bedingungen wie in Silverstone in dieser Lage zu halten lernen. „Denn das schnellste Paket generiert auch am meisten Abtrieb und das lässt die Reifen am härtesten arbeiten. Ich bin gespannt, wie wir jetzt in Barcelona abschneiden. Wir haben nur eine Handvoll Tage, um es zu verstehen und es gibt nichts Besseres als eine große Herausforderung“, sagte Wolff. „Wir nehmen das gerne an, wir lieben es, zu kämpfen und sie sind ganz sicher ein starker Gegner und Max ist ein starker Fahrer. Es sieht so aus, als könnte es noch eine harte Saison werden.“

Marko: Red Bull bleibt WM-Herausforderer

Im Lager der Konkurrenz klingt das weniger deutlich, doch zumindest zurückgekehrt ist die Hoffnung bei Red Bull, 2020 doch noch etwas gegen Mercedes ausrichten zu können, dank Silverstone. „Wir geben nicht auf und sehen uns nach wie vor als Herausforderer“, sagte Motorsportberater Dr. Helmut Marko der österreichischen Nachrichtenagentur APA mit Blick auf den WM-Kampf. Silverstone, so Marko, habe auch gezeigt, dass man Mercedes durchaus in Schwierigkeiten bringen könne. Nämlich dann, wenn Mercedes gezwungen werde, wirklich Gas zu geben. „Unser Grundspeed war so gut und Mercedes war gefordert, am Limit zu fahren“, sagte der Grazer. „Vorher sind sie ja nur gecruised.“

Doch war Silverstone nur eine Eintagsfliege? Ein Ausreißer dank Hitze, weicherer Reifen und hohen Reifendrücken? Eine Kombination, die Mercedes beim zweiten Rennen in England ganz offensichtlich deutlich aus der Bahn warf. Genau darauf verweisen auch Verstappen und Teamchef Christian Horner. „Ich denke, dass wir heute einfach sehr gut mit den Reifen waren. Dann kannst du natürlich härter pushen. Aber wenn wir überall wieder zurück zu konservativeren Reifen gehen, wird es wieder etwas härter für uns, denn dann hat niemand derart schlimme Blasenbildung“, sagte der nun neunfache GP-Sieger.

Max Verstappen fürchtet Eintagsfliege Silverstone

Horner traut dem Braten deshalb ebenfalls längst nicht. Das Bild müsse sich - auch bei anderen Bedingungen - genauer aufklaren. „Ich denke, dass Mercedes heute nicht unter seinem Leistungsvermögen geblieben ist, wenn man es mit den bisherigen Events vergleicht. Deshalb wird es noch ein paar Rennen mehr brauchen, bis wir da ein klareres Bild sehen“, sagte der Brite. Ob Verstappen jetzt doch im WM-Kampf angekommen sei, sei daher nur schwierig zu beurteilen.

Allerdings gibt sich Horner auch erleichtert: Endlich habe der RB16 den Beweis erbracht, dass Red Bull 2020 doch über ein siegfähiges Paket verfüge. „Diese Autos haben uns bisher einen kleinen Kampf geliefert. Erst heute haben wir dann die Performance gesehen, zu der wir es in der Lage sehen.“

Red Bull: Starke Leistung reproduzieren

Jetzt müsse Red Bull allerdings unbedingt die Gründe dafür verstehen, um Tage wie den zweiten Sonntag in Silverstone immer reproduzieren zu können. „Da gibt es viel, das wir verstehen müssen, aber es ist echt ermutigend, diese Leistung zu sehen.“ Daraus könne man jede Menge Zuversicht ziehen, allerdings sei Mercedes noch immer ein herausragend starker Widersacher.

Formel 1, Verstappen schlägt Mercedes: Wie war das möglich? (11:39 Min.)

Gleichzeitig wittert Marko allerdings auch bei Red Bull noch ungenutztes Potenzial, selbst nach Silverstone. Kampfansage an Mercedes: „Wir entwickeln weiter. Das Auto ist bei Weitem noch nicht dort, wo wir sein wollen.“ Marko weiter: „Die Daten aus Windkanal und CFD sieht man auf der Strecke noch nicht. Wir kommen langsam hin, generell ist es positiv. Wir hoffen, dass wir in Barcelona wieder einen engen Kampf liefern können. Es muss das Chassis optimal sein und andere Faktoren müssen stimmen, dann können wir Druck auf Mercedes machen.“