Bei Ferrari herrscht nach dem enttäuschenden Start in die Formel-1-Saison 2020 Krisenstimmung. Der SF1000 ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie, und Teamchef Mattia Binotto bekommt erstmals in seiner Karriere starken öffentlichen Gegenwind zu spüren.

Ferrari befindet sich schließlich auf Talfahrt, seit Binotto Anfang 2019 den Posten von Maurizio Arrivabene übernahm. Schon im Vorjahr waren Sebastian Vettel und Charles Leclerc nur bei vereinzelten Rennen in der Lage, um Siege zu fahren. 2020 ist die Scuderia im Begriff, sich im Mittelfeld häuslich einzurichten, mit schwachem Motor und schlechtem Auto.

Unter Binottos Führung fällt außerdem der viele Fragen aufwerfenden Motoren-Skandal. Strafen gab es zwar keine, doch das Team musste für 2020 den Motor anpassen. Jetzt findet sich das Team routinemäßig bei den Geschwindigkeitsmessungen am Ende des Feldes wieder.

Ferraris One-Man-Show Binotto?

Harte Zeiten für Binotto, der 25 Jahre - fast seine ganze Karriere - bei Ferrari verbrachte. Lange auch in der Motorenabteilung, die er ab 2015 anführte. 2017 wurde er zum Technischen Direktor ernannt, 2019 zum Teamchef. "Es ist nicht das erste Mal, dass wir bei Ferrari schwierige Jahre haben", beschwichtigt er daher seine Kritiker nach dem Fehlstart.

Zum ersten Mal erlebt er aber, wie schnell und aggressiv die italienische Presse Druck auf Maranello aufzubauen versucht, wenn sie ein versagendes Ferrari-Team orten. Während Binotto nach Ungarn sich weiter gegen personelle Änderungen sträubt, wollen die Medien Köpfe rollen sehen. In der Kritik steht vor allem die Teamstruktur unter Binotto, denn den Posten des Technischen Direktors hat er nie offiziell nachbesetzt. Stattdessen gibt es separate Leiter von Aero-, Chassis- und Motorentwicklung. Diese Führungsstruktur halst Binotto zu viel Arbeit auf, meinen Kritiker. Er muss sich um das Team, die Entwicklung und auch noch um F1-Politik kümmern.

Dem Ferrari SF1000 fehlt viel auf die Spitze, Foto: LAT Images
Dem Ferrari SF1000 fehlt viel auf die Spitze, Foto: LAT Images

Am Mittwoch nach Ungarn setzte Ferrari schließlich den ersten Schritt und übertrug dem bisherigen Leiter der Aero-Abteilung, Enrico Cardile, den neuen Posten als Chef einer Performance-Entwicklungsabteilung. Verantwortungsbereiche sollen dadurch klarer werden, die Entwicklung für 2022 ist das Hauptziel. Weder gab es aber Entlassungen, noch wurde ein Technischer Direktor benannt.

Binotto bleibt ruhig: Habe schwierigen Job erwartet

Binotto selbst versichert, dass ihn die Herausforderungen des Teamchef-Jobs nicht überrascht haben: "Mir waren die Schwierigkeiten sehr wohl bewusst, ich habe auf jeden Fall schwierige Zeiten erwartet. Wichtiger ist in diesen schwierigen Zeiten Stabilität, Fokus, und man muss sicherstellen, dass du als Team die richtigen Entscheidungen bei nötigen Verbesserungen triffst und dich nach vorne, zu etwas Besserem bewegst."

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Er übt sich weiterhin in Entspannung. "Wenn du nicht ablieferst so wie wir im Moment, bekommst du viel Druck - hauptsächlich von außen. Aber ich glaube, wir machen uns auch selbst viel Druck, weil wir unser Ziel kennen, wir als Ferrari." Nach Ungarn forderte er zuletzt immerhin radikales Umdenken, alles müsse hinterfragt werden.

Die Umstrukturierung vom Mittwoch deutet an, dass das Ferrari-Management zumindest noch nicht das Vertrauen in Binotto verloren hat. Doch in der italienischen Öffentlichkeit ist die Geduld bald erschöpft. Dort werden schon Gerüchte über neue Teamchefs befeuert, sogar Namen machen ihre Runden durch die Presse. Es bleibt abzuwarten, ob - oder wie lange - Binotto und Ferrari sich dem Druck von außen erwehren können.