Nach dem Tripleheader zum Start in die Formel-1-Saison 2020 steht Ferrari mit dem Rücken zur Wand. Nur 27 Punkte fuhr die Scuderia in den ersten drei Rennen ein, davon mehr als die Hälfte durch ein glückliches Podium für Charles Leclerc, befördert durch neun Ausfälle beim Auftakt in Spielberg. Das reicht nur für WM-Rang fünf.

Für Ferrari selbst steht fest: Der SF1000 ist schlechter als erwartet, auch ein Update zum zweiten Rennen hat maximal minimale Fortschritte geliefert. Deshalb soll in Maranello nun alles auf den Kopf gestellt werden - vom Auto selbst bis hin zur Organisation des Teams. „Das System hat sich überholt“, analysierte nun der ehemalige Motorsportchef von Mercedes, Norbert Haug im Interview mit ‚Sky Sport’.

Haug: Ferrari-Rückstand wird so schnell nicht kleiner

An einen Kampf mit Mercedes sei auf absehbare Zeit deshalb kaum zu denken. „Rot wird es sehr schwer haben - es wird immer Ausnahmerennen geben, dann muss man da sein, wenn Mercedes patzen sollte - aber so deutlich wie jetzt war die Überlegenheit aus meiner Erinnerung noch nie“, sagte Haug. „Sebastian hat das Mögliche möglich gemacht am letzten Wochenende, mehr ging nicht in Ungarn. Nach 13 Runden war er 32 Sekunden hinter der Spitze. Das ist, wie er auch selbst sagt, eine andere Liga. Ich glaube auch nicht, dass sich das so schnell ändern wird.“

Damit nicht genug. Noch dazu hat Ferrari nach Ansicht Haugs ein weiteres Defizit nicht gelöst - die Probleme, das Verhalten der Fahrer auf der Strecke besser zu managen. Zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc ging es bereits 2019 hoch her. Da ging es sportlich allerdings noch um mehr. Weiter hinten im Feld, fällt das mutmaßlich ungelöste Problem nun weniger auf.

Vettel für Haug auf Leclerc-Niveau - mindestens

Vorhanden ist es allerdings noch - und durch den frühzeitig kommunizierten Rauswurf Vettels zu Saisonende vielleicht noch größer geworden, weil Vettel nun nichts mehr zu verlieren hat, frei und voll attackieren kann? „Er ist angriffslustig, das ist gut. Mir gefällt er gut. Er hat mir in Ungarn gut gefallen“, sagte Haug.

Für den ehemaligen Mercedes-Mann steht fest: Verstecken muss sich Vettel nicht, auch nicht vor Leclerc. Haug: „Er hat ein paar Kiekser in den Rennen davor gehabt. Aber in dem Rennen in Österreich mit Leclerc, da kann er nichts dafür. Leclerc war in den letzten Rennen sicher nicht besser, er kann da Paroli bieten und ist da mindestens auf Augenhöhe. Wenn der Sebastian das Mögliche möglich macht, dann ist er wirklich gut unterwegs.“

Haug kritisiert Ferrari-Teamchef: Muss Fahrern sagen, was Sache ist

Das Problem: Leclerc ist das Pferd, auf das Ferrari gesetzt hat. Der Druck, dieses Bekenntnis zu bestätigen, ist immens. Eine Niederlage gegen Vettel kann sich der Monegasse nach dem starken Einstand im ersten Jahr des teaminternen Duells bei Ferrari nicht erlauben. Das wiederum kann in gewissen Situationen dem Teamergebnis schaden.

Für Haug wurde das in Ungarn offensichtlich. „Ferrari macht es auch nicht richtig gut auf der Strecke“, ergänzte Haug nach vorheriger Kritik an Auto und Struktur der Roten. „Ich habe auch den sinnlosen Kampf Leclerc gegen Sebastian Vettel in Ungarn gesehen. Jede Zehntelsekunde, die dich der Teamkollege kostet, wenn du auf Platz sechs, sieben mit einer anderen Strategie unterwegs bist, also da muss der Teamchef mal Tacheles reden und klipp und klar sagen, was Sache ist auf der Strecke“, kritisierte Haug bei Sky.

Haug über Leclerc: Extrem guter Fahrer braucht auch Benimm

Der frühere Mercedes-Motorsportchef zielt dabei auf eine Situation in der Frühphase des Rennens, als Leclerc mit dem Soft-Reifen nicht zurecht, Vettel, auf Medium, aufhielt und somit auch der andere Ferrari wertvolle Zeit verlor. Haug: „Wenn sie um Platz eins und zwei fahren, um den Sieg, dann lass ich mir etwas mehr Spielraum gefallen. Aber wenn man um wenige Punkte kämpft und da ist wirklich jeder Punkt wichtig, dann darf das keine Zehntelsekunde kosten, wenn zwei Teamkollegen unterwegs sind.“

In der Verantwortung sieht Haug dabei nicht nur Teamchef Mattia Binotto, sondern auch Leclerc. „In dem Fall war es der junge, hochgepriesene Superstar Leclerc, der sicher ein extrem guter Fahrer ist. Aber das gehört zu einem extrem guten Fahrer eben auch dazu, dieser Benimm“, monierte Haug das Verhalten des Monegassen.

Sebastian Vettel bei Aston Martin im zweibesten Auto?

Für Vettel wünscht sich Haug nun eine bessere Zukunft. „Sebastian hätte sich da durchgekämpft, er wäre niemals gegangen, wenn Probleme dagewesen wären“, lobte Haug zunächst die Einstellung Vettels. „Er hat den Traum gehabt, mit Ferrari Weltmeister zu werden, der Traum ist ausgeträumt, wie es gerade aussieht.“

Jetzt wäre es schön, wenn es mit Aston Martin funktionieren sollte, so Haug. „So wie Racing Point aktuell unterwegs ist, geht das alles in die richtige Richtung“, sagte der 67-Jährige über den sportlichen Aufschwung des Teams. „Was da genau geplant ist, weiß ich nicht, aber ich wünsche dem Sebastian natürlich, dass es weitergeht. Was die Herrschaften da aufstellen, das ist aller Ehre wert. Die sind wirklich zweite Kraft hinter Mercedes.“

Unkenrufe, es sei ja nur der Vorjahres-Mercedes, hält Haug für ‚nicht sonderlich sportlich’. Für Haug sei der Ansatz schlicht clever, nicht illegal. Das werde auch die FIA bei ihren Ermittlungen nach den Protesten Renaults feststellen.

Formel 1 2021: Was spricht für Vettel bei Aston Martin? (20:54 Min.)