Racing Point ist mit dem RP20 offenbar ein großer Wurf gelungen. Bei den Testfahrten in Barcelona deutete sich an, dass das Team mit dem 'pinken Mercedes' einen Schritt nach vorne machen könnte. Das zeigte sich auch in den ersten Rennen der Formel-1-Saison 2020. Beim Steiermark GP gelang Sergio Perez im Rennen nach einer schwachen Qualifikation eine gute Aufholjagd. In der Qualifikation zum Ungarn GP wurde sein Teamkollege Lance Stroll Dritter. Das Rennen in Ungarn beendete er schließlich auf Rang vier. Das erste Podiumsergebnis dieses Jahres scheint in der Luft zu liegen.

Ein wesentlicher Bestandteil des Aufschwungs ist, dass sich das Team bei der Gestaltung des Bodyworks vom Vorjahres-Mercedes inspirieren ließ. Anhand von Fotos hat der Rennstall aerodynamische Komponenten des Silberpfeils nachgebaut. Renault, einer der Racing-Point-Konkurrenten im Mittelfeld, zweifelt an der Legalität des RP20. Das Team des französischen Autobauers legte beim Steiermark GP und beim Ungarn GP Protest gegen die Legalität der Boliden ein. Es geht um die Bremsbelüftungen, die seit diesem Jahr 'Listed Parts' sind und deswegen von einem Team selbst hergestellt werden müssen. Racing Point argumentiert, dass man die Erkenntnisse aus den Fotos bereits im vergangenen Jahr erlangt habe. Dieses Wissen könne man nicht einfach vergessen, wenn sich die Regeln ändern.

Die Interpretation der Regeln scheint in diesem Zusammenhang noch schwammiger zu sein als in anderen Bereichen. Das bestätigten auch die Regelhüter am vergangenen Wochenende. FIA-Technikchef Nikolas Tombazis sagte: "Wir sind hier eher Philosophen oder Anwälte als Detektive."

Ähnliche Worte wählte auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Der Österreicher holt allerdings noch weiter aus: "Sollte es kleineren Teams erlaubt sein, Komponenten von größeren Teams zu kaufen, um weniger Forschung und Entwicklung zu betreiben zu müssen? Die größeren Teams könnten daraus ein Business machen. Oder sollte jeder sein eigenes Chassis konstruieren? Die Konsequenz wäre, dass wir wahrscheinlich trotz des Budgetdeckels eine Zweiklassengesellschaft hätten."

Ist der Renault-Protest gerechtfertigt? "Ich kann es nicht bewerten, weil ich nicht unter das Bodywork schauen kann", sagt Wolff. "Ich denke, dass von unserer Seite alles innerhalb der Regeln war. Soweit ich weiß, stand Racing Point in der ganzen Zeit in Kontakt mit der FIA. Sie haben unser Auto umgearbeitet. Im vergangenen Jahr haben sie keine 'Listed Parts' von uns gekauft und ich denke sie machen einen guten Job."

Wolff sagt weiter: "Ich freue mich für Racing Point. Wir haben in den vergangenen Jahren immer gehört, dass kleine Teams mit kleinen Budgets keine Chance haben, an der Spitze zu kämpfen. Jemand mit einer Vision und einer Idee, wie Prioritäten zu legen sind, hat es geschafft, vom Mittelfeld in die Top-Teams zu springen. Racing Point ist ein Kandidat für das Podium, wenn nicht sogar für den Sieg. Das zeigt, dass die richtige Teamführung, die richtigen Entscheidungen und die richtigen Mittel die Entwicklungskurve beschleunigen."

Ähnlich sieht es Norbert Haug, Wolffs Vorgänger als Motorsportchef von Mercedes. Im Interview mit dem TV-Sender Sky sagte er: "So wie Racing Point aktuell unterwegs ist, geht das alles in die richtige Richtung. Was die Herrschaften da aufstellen, das ist aller Ehre wert. Die sind wirklich zweite Kraft hinter Mercedes. Ich denke mal alle Unker, die sagen es ist der Vorjahres-Mercedes, das finde ich nicht sonderlich sportlich. Das wird die FIA feststellen. Es ist ein cleveres Projekt, ganz sicher mit einem Bruchteil des Geldes von Ferrari."

Urteil des Renault-Protests könnte lange dauern

Es wird noch einige Zeit dauern, bis eine Entscheidung über die Legalität der Racing-Point-Boliden von Perez und Stroll gefallen ist. Dem Team wurde eine dreiwöchige Frist eingeräumt, in der es eine Stellungnahme bei der FIA abzugeben hat. Auch eine Expertenkommission der FIA verfasst einen Bericht. Die Stewards können erst danach ein Urteil über den Renault-Protest treffen. Es wird erwartet, dass Renault Protest gegen jedes Rennen, das bis zur Urteilsverkündung stattfindet, Protest einlegen wird.

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Seit dem Sommer 2018 steht Racing Point unter der Leitung eines Konsortiums rund um Lawrence Stroll. Der kanadische Geschäftsmann und Vater von Lance Stroll hat das ehemalige Force-India-Team übernommen, als es Insolvenz anmelden musste. Er stattete das Team mit einem größeren Budget aus als in der Vergangenheit. An die Ressourcen der Top-Teams reichen die Mittel nicht heran. Rennstallbesitzer Stroll gilt als guter Freund von Mercedes-Motorsportchef Wolff.