Der Kniefall als Zeichen gegen Rassismus etablierte sich bei den ersten drei Formel-1-Rennen 2020 als ein konsequentes Ritual vor dem Start. Weltmeister Lewis Hamilton war mit der Aktion in Ungarn allerdings überhaupt nicht einverstanden. Der Ablauf ging ihm zu schnell, die Unterstützung von Organisator und Fahrerkollegen ist unbefriedigend. In der bestehenden Form überzeugt ihn die Anti-Rassismus-Kampagne der F1 nicht. Er fordert von Fahrern, FIA und Liberty Media deutlich mehr Einsatz.

"Wir haben überhaupt keine Fortschritte gemacht. Es wurden Dinge gesagt und Statements veröffentlicht, wir haben Zeichen wie den Kniefall gesetzt, aber wir haben nichts verändert - außer vielleicht unsere Wahrnehmung", so Hamiltons Fazit nach dem Saisonstart. Dieser stand schon in den Wochen vor dem Auftakt ganz im Zeichen der durch die Formel 1 ins Leben gerufenen Initiativen für Gleichberechtigung und gegen Rassismus.

In Ungarn vermisste Hamilton die Entschlossenheit von vor drei Wochen. "Wir müssen für die Zukunft mit der Formel 1 sprechen, weil sie einen besseren Job machen müssen. Es ging alles viel zu schnell. Ich kam aus dem Auto, rannte herüber und kniete mich schnell hin. Sie müssen da mehr machen", kritisierte er gegenüber Sky Sports UK die Prozedur auf dem Hungaroring.

Die Piloten versammelten sich vor dem Rennen wie üblich für die Nationalhymne. Unmittelbar vor ihrem Erklingen blieben ihnen nur wenige Sekunden, um abermals im Sinne der durch die Formel 1 angestoßenen Initiative vor dem 'End Racism'-Banner Stellung zu nehmen. Beim ersten Mal wurde die Aktion in Österreich deutlich stärker in Szene gesetzt.

Hamilton reicht ein Kniefall nicht um Zeichen zu setzen

"Ich weiß nicht, warum sie das nur beim ersten Rennen gemacht haben. Es hat danach nicht mehr stattgefunden. Sie sagen, dass sie für Gleichberechtigung und gegen Rassismus kämpfen, aber sie geben uns keine Plattform um das fortzusetzen", bemängelt Hamilton. "Es scheint fast so, als ob es danach von ihrer Agenda verschwunden ist."

Diesen Vorwurf richtet er nicht nur an die Formel 1, sondern auch an seine Fahrerkollegen. Nachdem Max Verstappen, Charles Leclerc, Kimi Räikkönen, Daniil Kvyat, Antonio Giovinazzi und Carlos Sainz bei der Premiere in Spielberg keinen Kniefall leisteten und auch danach nicht mitzogen, schwand die Anteilnahme der anderen Piloten bei den darauffolgenden Wochenenden ebenfalls.

"Viele Leute scheinen die Meinung zu vertreten, dass sie, wenn sie sich einmal hingekniet haben, es nicht noch einmal machen. Und die Gründe für diese Ansicht sind mir schleierhaft", so Hamilton. In Budapest störte er sich daran, dass Romain Grosjean als Vorsitzender der Fahrergewerkschaft GPDA das Thema nicht aufgriff.

Lewis Hamilton wollte nach der Aktion beim Auftakt in Österreich mehr Einsatz sehen, Foto: LAT Images
Lewis Hamilton wollte nach der Aktion beim Auftakt in Österreich mehr Einsatz sehen, Foto: LAT Images

Hamilton kritisiert Grosjean: Hält es nicht für wichtig

"Er hat dieses Mal in der Fahrerbesprechung gar nichts erwähnt und auch Sebastian [Vettel] nicht", moniert er - obwohl Letzterer ihm persönlich seine Unterstützung in der Sache zugesichert hatte: "Sebastian und ich haben einander Nachrichten geschrieben und er hat genau wie ich betont, dass es wichtig ist, das fortzuführen."

Dass Grosjean als Vorsitzender der Piloten nicht dieselbe Einsatzbereitschaft wie er selbst zeigt, wurmt Hamilton offenbar besonders: "Er denkt nicht, dass es wichtig ist, das zu machen. Er ist einer von denjenigen, die glauben: wir haben es einmal gemacht und das ist alles, was wir machen müssen", kritisiert er den Franzosen. "Ich habe versucht mit ihm darüber zu sprechen, was das Problem ist und dass es nicht verschwinden wird und wir weiter dafür kämpfen müssen."

Hamilton hegt die Befürchtung, dass diese Haltung der Tatsache geschuldet sein könnte, dass er die treibende Kraft hinter der Bewegung ist. "Ich will die Fahrer gar nicht so sehr damit belagern, denn sie sollen nicht das Gefühl haben, dass ich das alles vorantreibe. Denn das könnte wahrscheinlich in manchen Fällen der Grund sein, weshalb Leute nicht mitmachen - weil ich es mache."

Lewis Hamilton will Jean Todt & Liberty Media in die Pflicht nehmen

Der sechsmalige Weltmeister fühlt sich an der Spitze der Initiative alleine gelassen. "Uns fehlt eine Führung. Wir sind ein Sport und dort muss es an der Spitze einen Anführer geben der sagt: Hey, das ist was wir mit euch machen wollen und wir wollen, dass ihr alle ein Teil davon seid", fordert Hamilton und hat dabei schon jemanden im Hinterkopf: "Wir brauchen einen Anführer. Wo ist Jean [Todt] in diesem Szenario?"

Obwohl er die Bewegung mit Aktivismus an der Rennstrecke und in den sozialen Medien vorantreibt, will Hamilton in der Formel 1 nicht den Anführer geben. "Es sollte nicht ich sein, der die Teams zu etwas aufruft. Ich will sie ermutigen, aber ich sollte nicht derjenige sein, der sie anruft und fragt, was sie machen wollen und welche Pläne sie haben", sagt er. "Das sollte von der Führungsspitze kommen, welche die Macht hat und alle Fäden zieht."

Damit das in Zukunft passiert, will Hamilton höchstpersönlich an FIA-Präsident Jean Todt und Liberty Medias CEO Chase Carey herantreten. "Ich werde mit der Formel 1 sprechen und schauen, wo sie stehen, warum sie vielleicht verwirrt sind oder wo sie sich unter Druck fühlen. Ich würde wirklich gerne wissen, was Jean denkt und was Chase denkt, und was die Organisation für die Zukunft vorsieht. Bisher gab es keine Fortschritte."