Der von Renault nach dem Steiermark GP eingelegte Protest gegen Racing Point beschäftigt die Formel 1 auch beim Ungarn GP an diesem Wochenende. Zunächst saßen mit Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer und Renaults F1-Boss Marcin Budkowski die beiden Streithähne direkt nebeneinander in der Pressekonferenz, später verriet FIA-Technikchef Nikolas Tombazis einer kleinen Runde von Journalisten interessante Details zum Fall.

Die schlechte Nachricht voran: Der Protest rund um die Kopie-Vorwürfe gegen Racing Point wird sich aller Voraussicht nach noch eine ganze Weile ziehen. "Wir haben drei Wochen Zeit, um Stellung zu nehmen", verriet Szafnauer. Die Stewards des Steiermark GP räumten dem Rennstall ob der Komplexität des Falles eine relativ lange Frist ein.

Die FIA rechnet allerdings mit schnellerem Feedback von Racing Point. Dennoch muss sich die Formel 1 auf einen langwierigen Streit einstellen: Neben Racing Point muss auch die FIA-Experten-Kommission einen Bericht erstellen. Erst dann können die Stewards erneut tagen.

Frühestens wird das wohl in der Woche vor dem ersten Silverstone-Rennen passieren. Das Urteil wird dann normalerweise schnell, meist binnen Stunden gefällt. Doch die FIA rechnet - egal wie die Stewards entscheiden werden - mit einer Berufung.

Vier Rennen bis zum Urteil möglich: Protestiert Renault weiter?

Vier Tage haben die Teams dann Zeit, um Berufung einzulegen. Ein Urteil vor dem Berufungsgericht der FIA könnte dann erst nach dem Rennen in Barcelona fallen. Bis dahin sind aber noch, inklusive Ungarn, vier Rennen zu fahren.

Dürfen die fraglichen Bremsbelüftungen in diesen Rennen eingesetzt werden? Prinzipiell ja, allerdings könnte es deshalb Proteste hageln. Es gilt als nicht unwahrscheinlich, dass Renault bei jedem einzelnen Rennen bis dahin protestieren wird.

Dabei geht es um eine Formalität: Fällt das Urteil negativ für Racing Point aus, würden Sergio Perez und Lance Stroll nicht nur beim Steiermark GP aus der Wertung fliegen, sondern bei allen angefochtenen Rennen.

Das wiederum zieht eigenartige Konsequenzen mit sich: Weil die Besetzung der Stewards von Rennen zu Rennen wechselt, müssten unterschiedliche Stewards über den gleichen Sachverhalt entscheiden. Die FIA denkt deshalb darüber nach, eine Experten-Steward-Kommission zu bilden, die sich universell für alle Rennen mit diesem Protest beschafft. Theoretisch könnte der gleiche Sachverhalt sonst von Rennen zu Rennen unterschiedlich entschieden werden.

Racing Point setzt Bremsbelüftungen weiter ein

Racing Point ist sich seiner Sache jedenfalls sicher und setzt die Teile weiterhin ein. Ursprünglich wurden von der FIA alle acht Bremsbelüftungen konfisziert. Weil die Kontrolle ergab, dass die Teile an beiden Autos identisch waren und es keine Unterschiede zwischen links und rechts gab, bekam das Team sechs der beschlagnahmten Teile wieder zurück. Die FIA behielt lediglich ein Exemplar der Vorder- und eines der Hinterachse ein.

Die Krux des Protests ist das Bauteil an sich. "Bremsbelüftungen sind essentielle Performance-Teile an heutigen Formel-1-Autos", sagte Budkowski zu Motorsport-Magazin.com. "Sie sind nicht nur da, um Bremsen zu kühlen, sie sind essenzielle Aero-Teile an der Vorder- und Hinterachse. Aber sie sind auch essenziell für die Kontrolle der Reifentemperatur. Außerdem kann man nur die Oberfläche von außen sehen, es gibt Innereien, die man von außen nicht sehen kann - die wären schwierig, nur von Bildern zu kopieren."

Eine Bremsbelüftung besteht aus rund 50 Einzelteilen und sind deshalb - unabhängig von ihrer Funktion - schon recht komplexe Bauteile. Die Teams investieren unzählige Windkanalstunden dafür. Laut Reglement sind Bremsbelüftungen aber keine aerodynamischen Teile. Genau aus diesem Grund zählten sie bis 2019 nicht zu den Listed Parts. Teile der Listed Parts müssen Teams selbst entwickeln und Herstellen und dürfen sie nicht von einem Konkurrenten kaufen.

Weil sich viele Teams daran störten, dass ein aerodynamisch so anspruchsvolles Teil eingekauft werden darf, entschied die Mehrheit in der vergangenen Saison, die Bremsbelüftungen in die Liste mitaufzunehmen. Seit 2020 sind die Bremsbelüftungen nun Bestandteil der Listed Parts.

In Designphase des RP20 waren Bremsbelüftungen legales Zukaufteil

Und genau hier liegt das Problem: Der Racing Point RP20 der Saison 2020 wurde bereits im vergangenen Jahr designt. Da war es noch legal, das Teil komplett zu kaufen. Deshalb geht es in dem Protest gar nicht so sehr darum, wie ähnlich sich die Teile letztendlich sind. "Wir sind hier eher Philosophen oder Anwälte als Detektive", erklärt Tombazis.

Die Frage ist nämlich gar nicht so sehr, wie Racing Point zum letztendlichen Design gelang. Die Frage ist vielmehr, ob die Ingenieure alles vergessen müssen, was sie von einem 2019 noch legalen Zukaufteil gelernt haben. "Egal was man design, man fängt eigentlich nie mit einem weißen Blatt Papier an, sondern baut auf etwas Bestehendem auf", gibt Tombazis zu bedenken.

Die Tatsache, dass es eher um eine philosophische Frage geht, macht die Angelegenheit für Mercedes angenehmer. Dadurch stellt sich nicht die Frage - sollte Racing Point die Regeln verletzt haben - ob auch Mercedes mit dran ist. Das wäre nur der Fall, wenn Mercedes noch im Jahr 2020 Informationen an Racing Point lieferte, was als ausgeschlossen gilt.

Eine allgemeine Klarstellung, was beim Kopieren erlaubt ist und was nicht, wird das Urteil der Stewards nicht liefern. "Aber es wird die Angelegenheit an sich wieder in den Fokus rücken und es wird in den verschiedenen Gremien wieder darüber diskutiert", ist sich Tombazis sicher.