Für Red Bull verlief der Auftakt in die Formel-1-Saison 2020 zwiegespalten: Am ersten Wochenende auf der hauseigenen Strecke hatte man die Pace, nicht aber die Zuverlässigkeit. Schon nach wenigen Runden war mit Max Verstappen das heißeste Eisen im Feuer ausgeschieden. Den späteren Ausfall von Alexander Albon führte Red Bull auf den Zusammenstoß mit Lewis Hamilton zurück.

Am zweiten Wochenende kamen zwar beide RB16 ins Ziel, allerdings waren Verstappen und Albon chancenlos. Dabei hatte man zwischen den beiden Rennen selbst noch nachgelegt. "Wir hatten Probleme mit ungewollter Flexibilität von aerodynamischen Teilen, die den Abtrieb massiv beeinflusst hat", erklärt Dr. Helmut Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Obwohl Red Bull die ungewollte Flexibilität abstellen konnte, fiel man weiter hinter Mercedes zurück. Die Silberpfeil-Piloten mussten im ersten Rennen früh den Kerbs fernbleiben und ihre Autos schonen. Eine Woche später waren die Zuverlässigkeitsprobleme behoben, Attacke war möglich. "Ich glaube aber, dass der Lewis gar nicht voll gefahren ist", schränkt Marko ein.

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Red Bull fährt auf Geraden hinterher

Aber wie konnte Mercedes dann Red Bull binnen einer Woche so abhängen? "In den Kurven sind wir dabei. In einigen sind wir schneller, in einigen gleich schnell und in einigen mangelt es ein bisschen", erklärt Marko. In den schnellen Ecken lag der Vorteil bei Mercedes, die langsamen Kurven lagen dem RB16 besser.

"Auf den Geraden haben wir im Rennen vier Zehntel verloren", rechnet Marko vor. Am ersten Wochenende fiel der Unterschied aber nicht so dramatisch aus. Red Bull vermutet die Temperatur als Grund. Beim Österreich GP stieg das Quecksilber noch auf rund 30 Grad Celsius, beim Steiermark GP waren es zehn Grad weniger.

"Bei 20 bis 22 Grad Außentemperatur konnte Mercedes volle Power gehen", so Marko. Der Grazer anerkennend: "Der Sprung in der Leistungssteigerung vom Vorjahr ist beachtlich. Es ist bewundernswert, was sie auf die Beine gestellt haben. Das hat sowohl Honda als auch uns überrascht."

Red Bull & Honda mit Motoren-Dilemma

Der unerwartet große Rückstand beim Motor sind keine guten Neuigkeiten für den Herausforderer. Die Power Units sind in der Formel-1-Saison 2020 größtenteils eingefroren. Für Marko gibt es an dieser Front nur eine Lösung: "Mehr Risiko gehen."

Auf Hardware-Seite kann Honda das PS-Defizit per Reglement 2020 nicht mehr begleichen. Mit aggressiveren Motoreinstellungen könnte man immerhin einen Teil wettmachen. Das könnte allerdings einen höheren Motorverschließ nach sich ziehen.

Bis jetzt hatte Mercedes in der Saison 2020 die Oberhand, Foto: LAT Images
Bis jetzt hatte Mercedes in der Saison 2020 die Oberhand, Foto: LAT Images

In der WM-Wertung liegt Red Bull nach nur zwei Rennen schon deutlich hinter dem Titelverteidiger. Ausgerechnet auf der Paradestrecke der vergangenen Jahre musste Verstappen erheblich Punkte einbüßen. Für Marko kein großes Drama: "Honda hat einen neuen Turbo. Der Vorteil, den wir deshalb in den vergangenen Jahren in Höhenlage hatten, scheint weg zu sein."

Im Umkehrschluss erhofft sich der Grazer deshalb auf niedriger gelegenen Strecken einen konkurrenzfähigeren Antrieb. Die WM hat er deshalb noch lang nicht abgeschrieben: "Wir haben das Potential, wir sind ein großes Team mit sehr guten Leuten. Es sind noch mehr als genug Rennen, aber die Latte, die Mercedes vorgelegt hat, ist kräftig. Das hat uns überrascht, aber wir kämpfen weiter."

Red Bull denkt weiter über DAS-System nach

Auch auf Chassis-Seite muss Red Bull weiter nachlegen. "Die Abstimmung unseres Autos ist diffiziler und das Auto ist schwieriger zu fahren", gesteht Marko. Mit DAS hat Mercedes außerdem ein zusätzliches Werkzeug zur Verfügung, das Red Bull fehlt - noch.

Obwohl Red Bull protestierte und darauf abzielte, dass DAS ein aerodynamisches Hilfsmittel sei, geht der Rennstall selbst davon aus, dass der Vorteil in der Behandlung der Reifen liegt. Weil die Stewards die zweidimensionale Lenkung als legal einstuften, laufen die Rechner in Milton Keynes nun heiß.

"Wir überlegen, es auch zu bauen. Aber es braucht seine Zeit und wenn, wollen wir es nicht nur nachbauen, sondern verbessern", verspricht der Doktor. "Der Vorteil ist gegeben, in welchem Ausmaß weiß ich nicht genau. Es hat aber auch einen Nachteil: Es ist schwer und da muss man abwägen." Rund zwei Kilogramm soll das System schwer sein.

Vor Herbst rechnet Red Bull nicht mit einer einsatzbereiten Version. Trotzdem könnte sich die Entwicklung noch bezahlt machen, obwohl das System schon 2021 wieder verboten ist, wie Marko glaubt: "Der Kalender verschiebt sich immer mehr in Richtung Europarennen. Und bei Oktoberrennen in Deutschland sind die Temperaturen meist niedrig. Der Vorteil würde sich hier noch stärker auswirken."