1,2 Sekunden - Lewis Hamilton demoralisierte die gesamte Konkurrenz im Qualifying zum Steiermark GP. Der sechsfache Formel-1-Weltmeister ließ selbst Regen-Spezialist Max Verstappen im Red Bull schlicht keine Chance. Doch wie sieht es am Sonntag aus? Haben Red Bull und Verstappen eine Chance, im zweiten Spielberg-Rennen Mercedes herauszufordern?

Über die Platzierung konnte sich Verstappen freuen, über den Rückstand nicht. Schließlich kommt er bei den nassen Bedingungen nicht vom Motor. Die Silberpfeile müssen auch ein ordentliches Auto gebaut haben, die fahrerische Leistung von Hamilton einmal abgesehen.

Auf eine extreme Regen-Abstimmung ist der Abstand jedenfalls nicht zurückzuführen. "Wir haben heute der Versuchung widerstanden, das Auto auf nasse Bedingungen abzustimmen. Ich hoffe, dass wir dadurch morgen eine gute Pace haben", so Mercedes' Leitender Strecken-Ingenieur Andrew Shovlin.

Rennpace große Unbekannte bei Red Bull

Trotzdem wittert der Hausherr eine Chance. "Unsere Rennpace ist normalerweise besser als die Qualifying-Pace", hört man aus dem Bullen-Lager auch in der Saison 2020. Die Longruns vom ersten Österreich-Wochenende bestätigen dass, doch die Bestätigung steht noch aus.

Im Rennen schied Verstappen bereits früh aus, konnte so also das Potential des RB16 nicht zeigen. Doch auch Alexander Albons Pace war bis zu seiner Kollision mit Hamilton gut - ein Indiz dafür, dass bei Verstappen noch viel mehr drinnen ist.

Am Freitag des zweiten Österreich-Wochenendes gab es Longruns nur in sehr eingeschränkter Form. Eine Trainingsunterbrechung und der bevorstehende Regen sorgten für ein anderes Programm. Red Bull geht also mit deutlich weniger Longrun-Daten in das zweite Rennen als Hauptkonkurrent Mercedes.

Während Verstappen am vergangenen Wochenende den Vorteil der Medium-Reifen hatte, haben diesmal alle Fahrer freie Reifenwahl, weil die Qualifikation im Nassen stattfand. Für Mercedes eine gute Nachricht. "Da wir nun wissen, von wo jeder startet, können wir unsere Simulationen durchführen, um zu verstehen, welche verschiedenen Möglichkeiten ein Start auf den Soft- oder Medium-Reifen mit sich bringen würde", freut sich Andrew Shovlin.

Hamiltons Probleme gelöst?

Ganz ohne Sorgen geht Hamilton aber nicht ins Rennen. Am Freitag hatte der Brite noch reichlich Probleme mit seinem Silberpfeil. Der 89-fache Pole-Setter konnte plötzlich die Rundenzeiten nicht mehr so aus dem Ärmel schütteln.

Hamilton gibt sich gelassen: "Nach dem gestrigen Tag hat das Team großartige Arbeit geleistet und die Ursache für das Problem analysiert. Deshalb fühlte ich mich zu Beginn des Tages zuversichtlich, dass es heute auch im Trockenen kein Problem mehr gewesen wäre." Doch eine Bestätigung dafür, dass die Probleme bei trockenen Bedingungen gelöst sind, steht noch aus.

Generell scheint Mercedes in diesem Jahr noch nicht kugelsicher: Valtteri Bottas, der vor einer Woche noch Pole und Sieg holte, tat sich plötzlich schwer. Mit einer verglasten Bremsscheibe qualifizierte er sich nur auf Rang vier. Abgeschrieben hat er den Steiermark GP trotzdem noch nicht: "In der zweiten Reihe liege ich noch immer in Schlagdistanz. Morgen ist ein neuer Tag und wir wissen, wie stark unser Auto im Rennen ist."

Weiter Fragezeichen bei Mercedes

Und es gibt weitere Fragezeichen bei Mercedes: Vor einer Woche mussten beide Piloten ihren F1 W11 im Schongang über die Runden bringen, weil die Vibrationen beim Überfahren der Kerbs erhebliche Zuverlässigkeitsprobleme mit sich zogen.

Die Silberpfeil-Ingenieure legten aber bereits nach und brachten einen neuen Kabelbaum. Noch einmal kann sich das Weltmeisterteam eine solche Schleichfahrt wohl nicht erlauben. "Es wird immer Runden geben, in denen du keine Wahl hast und die Kerbs nutzen musst", meint Toto Wolff. "Es ist nicht möglich, wenn Max führt oder hinter uns ist, einfach herumzucruisen."

Mercedes hofft trotzdem, irgendwann den Schalter umlegen zu können. "Konstant die Aufhängung zu massakrieren, hat uns Kopfschmerzen bereitet. Wenn wir einmal unsere Positionen bezogen haben, werden wir versuchen, die Kerbs zu meiden", so Wolff weiter.

Zuverlässigkeit ist aber nicht nur für Mercedes ein Thema. Die schwarzen Silberpfeile brachten am vor einer Woche immerhin beide Autos ins Ziel. Red Bull hingegen hatte einen Doppel-Ausfall zu verzeichnen. Der Technik-Teufel schlug bei Albon nach der Kollision mit Hamilton fast unbemerkt zu.

Die Zuverlässigkeit ist auf beiden Seiten ein großes Fragezeichen. Die niedrigeren Temperaturen könnten aber allen helfen. Während der Österreich GP bei 30 Grad stattfand, erwarten die Meteorologen beim Steiermark GP rund zehn Grad kühlere Temperaturen. Das kommt tendenziell eher Mercedes entgegen.

Fazit: Red Bull ist die große Unbekannte in der Gleichung. So richtig hat man die Rennpace der Bullen noch nicht gesehen. In der Theorie gibt es zumindest eine Chance für Verstappen, das haben die letzten Jahre gezeigt. In der Praxis ist Mercedes der große Favorit.