Zunächst verlief der Auftakt in die Formel-1-Saison 2020 recht unspektakulär: Valtteri Bottas zog Max Verstappen nach dem Start direkt davon, durch Strafversetzung auf Startplatz fünf war Teamkollege Lewis Hamilton keine Konkurrenz mehr.

Formel 1: Bottas mit WM-Chancen? Hat er Hamilton reingelegt?: (21:10 Min.)

Als Verstappen auch noch früh mit Technik-Defekt ausfiel, schien die erste Prozession des Jahres perfekt zu sein. Neun Runden benötigte Hamilton, um sich auf Platz drei nach vorne zu arbeiten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er aber bereits acht Sekunden im Verkehr verloren.

Nach Verstappens Ausfall war zwar der Weg für Hamilton frei, der Rückstand aber noch immer bei rund acht Sekunden. Erst nach und nach fuhr der sechsfache Formel-1-Weltmeister die Lücke zu. Runde für Runder knabberte er am Rückstand.

Bottas zeigte sich davon recht unbeeindruckt: "Ich habe nur meine Reifen geschont. Ich wollte so lange wie möglich mit diesem Satz fahren und für den Fall, dass ich die Pace wieder anziehen muss, etwas Reserven haben."

Hamilton sieht es naturgemäß anders: "Ich habe auf Valtteri aufgeschlossen und seine Reifen waren gerade dabei, richtig einzubrechen. Ich konnte sehen, wie ich jede Runde aufgeholt habe und es wurde gerade aufregend, als das Saftey Car kam."

Bottas sieht die Neutralisierung des Rennens eher als Nachteil für sich, schließlich hatte er sich extra Reifen aufgespart. Und der zwar zusammengeschmolzene, aber noch immer vorhandene Vorsprung auf Hamilton war dahin.

Beide Mercedes-Piloten wechselten während der Safety-Car-Phase in Runde 26 von Soft auf Hard-Reifen. Ein Ärgernis für Hamilton, der eigentlich eine andere Strategie als der Teamkollege wollte. So war für ihn klar, dass er das Rennen hinter Bottas beenden würde. "0,7 Sekunden muss man hier schneller sein, um überholen zu können", rechnete Hamilton vor. Das ist mit gleichen Waffen kaum möglich.

Hamilton vs. Bottas: Wer fährt härter über die Kerbs?

Doch nach dem Restart erinnerte die Konstellation schon phasenweise an Hamilton vs. Rosberg. Weil Mercedes Technik-Probleme diagnostizierte, wurden beide Pilote dazu angehalten, langsam zu machen, um den F1 W11 zu schonen. Vor allem sollten sie Vibrationen vermeiden und von den Kerbs wegbleiben.

Doch im direkten Duell um den Sieg wollte keiner der beiden recht Tempo rausnehmen. Als sie immer wieder am Funk dazu aufgefordert wurden, weniger Kerbs mitzunehmen, argumentierten sie damit, der Teamkollege würde es auch nicht machen. Eine verzwickte Situation, galt es schließlich die Technik über die Runden zu bringen.

Das Duell bekam einen komplett neuen Dreh, als das Saftey Car in Runde 50 erneut ausrückte. Mercedes entschied sich dafür, keinen der beiden Piloten zum Reifenwechsel zu holen. Ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte, weil Red Bull die Gelegenheit mit Alexander Albon nutzte.

Hamilton-Strafe Zwickmühle für Mercedes

Auf frischen Soft-Reifen attackierte er Lewis Hamiton beim Restart und war dabei, ihn zu überholen, als es krachte. Hamilton kam auf der Strecke ungeschoren davon, erhielt aber eine Zeitstrafe von fünf Sekunden, was für die finale Dramatik bei den Silberpfeilen sorgte.

Durch die Safety-Car-Phase lag das Feld eng zusammen, Mercedes musste sich vorne erst wieder einen Vorsprung herausfahren. Das Problem: Bottas hatte eigentlich absolut kein Interesse daran, das Tempo anzuziehen. Für den Finnen ging es darum, Platz eins nach Hause zu schaukeln. Für Hamilton hingegen ging es darum, fünf Sekunden auf die Verfolger herauszufahren.

Eine verzwickte Situation, die Mercedes zu spät erkannte. "Den Platz gegen Leclerc hatten wir aufgegeben, aber wir hatten Norris nicht auf dem Zettel", gestand Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin. Tatsächlich wuchs der Vorsprung auf Norris auch, Hamilton hatte sogar schon die rettenden fünf Sekunden erreicht.

Gelb-Phase und Batterie laden: Bottas verliert 2,5 Sekunden

Dann allerdings fuhr Bottas vorne an der Spitze plötzlich 2,5 Sekunden langsamer. "Ich wollte in der Gelb-Phase kein Risiko eingehen", so Bottas. "Dabei verliert man vielleicht 0,5 Sekunden." Bleiben noch zwei Sekunden übrig: "Ich habe meine Batterie geladen, weil ich versuchen wollte, die schnellste Rennrunde zu fahren. Es wäre dumm gewesen, das nicht zu versuchen." Schließlich gibt es für die schnellste Rennrunde seit 2019 einen Zusatzpunkt.

Durch Bottas' Bummel-Runde klebte Hamilton im Heck seines Teamkollegen und konnte nicht mehr schneller. Eigentlich hatte er zu diesem Zeitpunkt schon die rettenden fünf Sekunden auf Norris herausgefahren. Doch weil sich der McLaren-Pilot seinerseits ebenfalls anschickte, die schnellste Rennrunde zu fahren, knabberte er die letzten zwei Runden wieder vom Rückstand.

Nach 71 Runden überquerte Norris die Ziellinie schließlich 4,8 Sekunden nach Hamilton. 0,2 Sekunden fehlten dem amtierenden Formel-1-Weltmeister, der somit in den letzten Runden noch vom Podium flog.

Schon am Samstag stand Bottas Hamilton im Weg, als er seinen letzten Versuch im Qualifying im Kiesbett versenkte. Der Brite hatte so keine Chance mehr, sich zu verbessern und bezahlte schließlich sogar mit einer Startplatzstrafe für.

Zufall oder neuer Stallkrieg bei Mercedes?

Zufall, oder herrscht bei Mercedes wieder Stallkrieg wie einst zwischen Hamilton und Rosberg? "Die Zwischenfälle waren sehr unglücklich", verteidigt sich Bottas. "Wir alle wissen, dass in der Formel 1 alles passieren kann. Manchmal laufen die Dinge einfach so."

Böses Blut gibt es aber (noch) nicht. "Wir haben im Debrief sehr offen über alles gesprochen. Ich kann keine Spannung zwischen uns spüren. Lewis hat viel Erfahrung in diesem Sport und er weiß, dass solche Dinge passieren können", so Bottas.

Hamilton unterstellt seinem Teamkollegen keine Absicht: "Ich kenne Valtteri sehr gut und das kam mir nicht einmal in den Sinn. Ich weiß, dass er so etwas nicht machen würde. Er ist ein echter Racer, der verdient gewinnen will."

Warum greift der Mercedes-Kommandostand nicht ein?

Bleibt die Frage, ob Mercedes die Situation am Kommandostand besser hätte steuern können. Hamilton und Bottas hätten auch Positionen tauschen können. Dann hätte Hamilton frei fahren können, ohne dass Bottas ein unnötiges Risiko für sich selbst eingehen hätte müssen. Mercedes fürchtete aber, dass Bottas dann Ärger von hinten hätte bekommen können. "Dann wäre er am Ende vielleicht Vierter geworden, obwohl er das ganze Rennen geführt hat", wirft Toto Wolff ein.

"Mit allen Infos danach wäre P3 möglich gewesen, aber es hätte auch chaotisch werden können. Es war zu komplex, um so einen Platztausch vorzunehmen", so der Mercedes Motorsportchef. "Wir bereuen es auch im Nachhinein nicht", bestätigt Shovlin.

Formel 1: Bottas mit WM-Chancen? Hat er Hamilton reingelegt?: (21:10 Min.)