Alles neu in der Formel 1 2020: Nicht nur der Rennkalender hat sich wegen der Folgen der Corona-Pandemie Chamäleon-gleich gewandelt, auch im Fahrerlager wird kaum noch etwas so sein, wie es einst war, wenn vom 3. bis 5. Juli das erste Rennwochenende auf dem Red Bull Ring in Österreich auf dem Plan steht.

Strenge Hygiene-Vorschriften, aufgeführt in einem umfangreichen Konzept, das mehr einem Katalog gleicht, fast schon einem Hygiene-Reglement ähnelt, werden die Arbeit aller Beschäftigten im Kosmos der Formel 1 deutlich verändern.

Die Teams bereiten sich aktuell akribisch darauf vor. So erprobte als erstes Team Mercedes bereits in der vergangenen Woche die neuen Abläufe mit einem längeren Test in einem älteren Silberpfeil, in dieser Woche zogen Renault mit einem ähnlichen Programm in Spielberg und Racing Point in Silverstone, allerdings in Form eines auf 100 Kilometer begrenzten Filmtags im aktuellen RP20, nach.

Der Technische Direktor des letztgenannten Teams stand nach diesem Test einigen Medienvertretern, darunter Motorsport-Magazin.com, Rede und Antwort. „Wir haben erreicht, was wir uns vorgenommen hatten, nämlich zu verstehen, wie es ist unter diesen neuen Bedingungen zu arbeiten und was es dazu braucht“, bestätigte Andrew Green zunächst den Hauptzweck der Übung.

Achtung, Abstand: Alles dauert länger

Greens Fazit in Kurzform: „Es ist ganz anders. Es wird eine echte Herausforderung.“ Doch was genau macht die Arbeit unter den neuen Hygienevorschriften so knifflig? „Beim neuen Standard geht es vor allem darum, zwischen den Ingenieuren Abstand zu wahren wenn sie am Auto arbeiten und den persönlichen Schutz, den sie dabei tragen“, schildert Green zunächst grob die neue Realität.

Die Folge ist ein Zeit-Problem. „Das ändert effektiv die Zeit, die es braucht, um Dinge am Auto zu erledigen. Manche Arbeiten dauern jetzt deutlich länger. Das müssen wir managen. Wir haben an der Strecke unter Rennbedingungen nur eine gewisse Zeit, um am Auto zu arbeiten, haben eine Sperrstunde. Jetzt müssen wir also schauen, wie lang es nun dauert, um Teile am Auto zu wechseln oder zu modifizieren“, berichtet Green.

Arbeitsroutinen komplett umgestellt

„Das müssen wir neu planen, um sicherzustellen, dass wir am Rennwochenende dann auch tun, was zu tun ist und nicht in Konflikt mit den Regularien zur Sperrstunde kommen. Und genau darüber haben wir gestern viel gelernt.“

Was bedeutet aber ‚deutlich länger’? Gerade in der Welt der Formel 1, wo auf der Strecke schon eine Zehntel dieses Prädikat erhält, eine spannende Frage. Was heißt ‚deutlich länger’ also in der Garage? Etwa bei einem Wechsel der Power Unit? Zunächst bleibt Green noch allgemein. „Ich erwarte, dass ein Motorwechsel jetzt eine ziemliche Zeit brauchen wird. Es darf nur eine gewisse Zahl an Teammitgliedern zur gleichen Zeit am Auto arbeiten. Das begrenzt die Geschwindigkeit, mit der du die Power Unit wechseln kannst. Wenn das erforderlich sein wird, wird es sehr herausfordernd“, sagt der Technische Direktor.

Motorwechsel könnte doppelt so lang dauern als zuvor

Andere Arbeiten, an äußeren Komponenten etwa, dürften weniger Probleme verursachen. Doch wenn es um den Kern des Autos geht, sind immense zeitliche Mehraufwände zu erwarten. „Wenn es wirklich um das Innere des Autos geht, etwa die Power Unit, dann dauert es womöglich doppelt so lang“, fürchtet Green auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. „Es hängt aber stark davon ab, an welchem Teil des Autos du arbeitest.“

Zu Saisonbeginn erwartet Green insgesamt noch größere Probleme. Sei die neue Realität erst einmal erprobt und optimiert werde es sicher einfacher. „Die Lernkurve war steil [beim Test in Silverstone] und wir werden über die ersten Events hinweg immer weiter Anpassungen vornehmen. Wir lernen noch, aber es hat uns einen echten Ausblick darauf gegeben, wie herausfordernd die Rennwochenenden jetzt werden sollten“, sagt er.

Vorteil durch Live-Übung?

Einen immensen Vorteil gegenüber Teams, die auf der Strecke nicht so leicht die neuen Abläufe testen können, erwartet Green nicht. „Es war nur ein sehr begrenzter Einblick in diese Art von Arbeit. Ich denke, viele Teams können das auch in der Fabrik versuchen, wenn du das Live-Umfeld testen willst“, so Green.

Viel gelernt habe Racing Point am Mittwochmorgen in Silverstone dennoch. Ohnehin hatte das Team nur einen Filmtag mit dem aktuellen Auto absolviert. Zumindest diese 100 Kilometer könnten auch Teams wie McLaren und Red Bull - die wegen Wechseln der Motorenpartner nicht so leicht auf ältere Boliden umsteigen können - abspulen. Red Bull plant nach Informationen von Motorsport-Magazin.com bereits einen solchen Test. McLaren offenbar nicht, testete diesen Donnerstag stattdessen in Zusammenarbeit mit Carlin immerhin mit F3-Boliden die neuen Abläufe.

Für Green sind die Vorgabe derweil eher eine weitere Möglichkeit, einen Unterschied zu machen. „Die einen werden da auch effizienter sein als andere, aber ich denke im Allgemeinen ist es für alle gleich. Wir machen uns da keine Sorgen“, sagt Green. Mehr denn je gehe es jetzt eben darum, vor allem die Pflicht perfekt umzusetzen und dann zu schauen, wie viel Kür noch darstellbar sei.