Der neue Formel-1-Kalender 2020 kam für den Grand Prix in Baku einen Monat zu spät. Am ersten Juni-Wochenende gastiert die Königsklasse nicht wie ursprünglich geplant in Aserbaidschan. Dabei sorgte der Stadtkurs in seinen vier Auftritten seit der Premiere 2016 für allerhand denkwürdige Momente und einem der größten Aufreger der vergangenen Jahre: Sebastian Vettels Rammstoß gegen Weltmeister Lewis Hamilton.

Nach einer sieglosen Saison 2016 hatte sich das Blatt für Vettel bei Ferrari endlich gewendet. Der SF70H konnte es anders als seine Vorgänger mit Mercedes aufnehmen, der Kampf um den WM-Titel war eröffnet. Vettel nutzte seine neue Waffe und lag nach einem Sieg in Melbourne vom Saisonauftakt an in der WM vorne. Entspannen konnte sich der WM-Leader trotzdem nicht. Mit einem Sieg in Kanada schloss Hamilton auf zwölf Punkte auf, bevor die Formel 1 zum achten Saisonlauf nach Baku reiste.

Auf dem Highspeed-Stadtkurs waren die Silberpfeile mit ihrer zu dieser Zeit noch dominanten Power Unit vom ersten Training an der Favorit. Hamilton nutzte diesen Vorteil und sicherte sich die Pole Position, die er beim Start des Rennens in die Führung verwandelte. Wider Erwarten gelang es ihm jedoch nicht, sich an der Spitze abzusetzen. Stattdessen folgte ihm Vettel wie ein Schatten. Eine Konstellation, die einen ähnlich spannenden Schlagabtausch wie wenige Wochen zuvor in Barcelona versprach - bis die 20. Runde kam.

Vettel verliert die Fassung und rammt Hamilton

Durch eine Safety-Car-Phase war das Feld wieder zusammengerückt und Vettel lauerte auf seine Chance, den Mercedes beim Restart anzugreifen. Wenige Kurven vor der Wiederaufnahme des Rennens kam es jedoch zur vielleicht kontroversesten Aktion in Vettels Karriere: Hamilton gab das Tempo vor, ließ am Ausgang von Turn 15 den Silberpfeil rollen, während Vettel offenbar erwartete, dass der Konkurrent nun das Tempo anzieht. Vettel fuhr Hamilton leicht ins Heck und verlor daraufhin die Fassung.

Nachdem er zunächst auf gleiche Höhe neben den Mercedes gefahren war und seinen Unmut mit wilden Gestiken zum Ausdruck gebracht hatte, zog er nach rechts und fuhr Hamilton ins Auto. Er war sich sicher: Hamilton hatte ihn eines Bremstests unterzogen und so den Auffahrunfall provoziert. Bei seinem Revanchefoul wurde zwar keiner der beiden Boliden folgenschwer beschädigt, doch die Aktion alleine reichte, um eine gewaltige Kontroverse auszulösen.

Der Moment in dem Vettel Hamilton ins Heck fährt, Foto: Formula 1/Screenshot
Der Moment in dem Vettel Hamilton ins Heck fährt, Foto: Formula 1/Screenshot

Hamilton hebt den Zeigefinger, Vettel hat spätes Einsehen

Hamilton verlor das Rennen letztendlich, da nach einer roten Flagge die Kopfstütze an seinem Mercedes nicht korrekt befestigt wurde und er für einen Reparaturstopp anhalten musste. Für Vettel blieb die einzige sportliche Konsequenz eine 10-Sekunden-Stop-and-Go-Strafe. Die Diskussionen gingen jedoch erst nach dem Fallen der Zielflagge richtig los. Hamilton zeigte sich empört und erklärte: "Wir wissen ja, dass sich in schwierigen Zeiten das wahre Gesicht zeigt." Bis zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen den beiden WM-Rivalen von Respektsbekundungen und Shakehands geprägt.

Selbst nach harten Fights wie in Barcelona streuten Vettel und Hamilton dem Gegenüber Rosen. Der Mercedes-Pilot war von der Aktion Vettels mehr als überrascht. Statt eine Schlammschlacht vom Zaun zu brechen, holte er den erhobenen Zeigefinger raus: "Viele Kinder schauen uns im Fernsehen zu und sehen einen vielfachen Weltmeister, von dem man denken sollte, dass er sich besser benehmen kann. Ich hoffe nicht, dass die Kids jetzt denken, dass man so fahren sollte. Das ist keine Antwort auf irgendeine Situation oder Problem."

Vettel stritt den Vorsatz seines Rammstoßes trotz aller Offensichtlichkeit zunächst ab. "Erklärt mir, wo ich gefährlich gefahren sein soll. Wir sind Männer hier, wir sind nicht im Kindergarten. Wir fuhren nebeneinander und hatten einen kleinen Kontakt. Aber ich bin nur daneben gefahren, um meine Hand zu heben", erklärte er. Erst später lenkte er ein: "In der Hitze des Gefechts habe ich dann überreagiert, und deshalb möchte ich mich bei Lewis direkt entschuldigen und auch bei all jenen Menschen, die sich das Rennen angesehen haben."

Sebastian Vettel kam Lewis Hamilton wenig später zu nahe, Foto: LAT Images
Sebastian Vettel kam Lewis Hamilton wenig später zu nahe, Foto: LAT Images

Vettel kommt mit Entschuldigung und milder Strafe von FIA davon

Für die FIA war der Fall mit einer Entschuldigung seitens Vettel abgeschlossen - aber nur fast. Denn die Offiziellen ließen sich statt weiterer sportlicher Sanktionen etwas anderes einfallen. Vettel durfte bis zum Jahresende nicht mehr bei der FIA Road Safety Kampagne mitwirken und sollte im Zeitraum von zwölf Monaten außerdem vor Nachwuchspiloten aus Formel 4, Formel 3 und Formel 2 über korrektes Verhalten auf der Rennstrecke referieren.

Das Verhältnis zu Hamilton normalisierte sich nach der Auseinandersetzung schnell wieder und schien danach fast noch freundschaftlicher als zuvor. Nachdem Hamilton in Bahrain 2018 mit Verstappen aneinandergeraten war und den Niederländer als Schwachkopf bezeichnet hatte, ergriff Vettel Partei für den Rivalen. Etwas, das auch Hamilton in den vergangenen Jahren mehrfach machte, wenn der Konkurrent im Kreuzfeuer der Kritik stand.