In der Formel 1 herrscht aktuell die große (Un)-Ruhe nach dem Sturm. Der für diesen Sonntag regulär geplante Saisonstart in Australien wurde kurzfristig abgesagt. Verantwortlich dafür ist das Coronavirus, auch COVID-19. Der Virus wird seitens Weltgesundheitsorganisation WHO inzwischen formal als Pandemie kategorisiert. Den konkreten Anlass für die Absage lieferte ein erster im Fahrerlager nachgewiesener Infektionsfall.

Nach einem zwölf Stunden langen Marathon von Bekanntwerden des Corona-Falls bis zur Absage ist die größte Unsicherheit nun allerdings nur scheinbar ausgeräumt. Die Klarheit über das Melbourne-Aus hat unweigerlich gleich die nächsten Fragen aufgeworfen - noch mehr Fragen als zuvor. Wie kam es überhaupt zu Absage? Warum lief der Prozess derart chaotisch? Kann das Rennen nachgeholt werden? Wann, wie und wo geht es jetzt weiter mit dem Formel-1-Kalender 2020?

Motorsport-Magazin.com mit dem Versuch eines Überblicks - Versuch, weil die derzeit extrem dynamische Lage auch abseits der Formel-1-Blase, alle Fakten, Einschätzungen und Tendenzen sehr schnell überholen kann.

Formel 1 2020, Melbourne: Warum fiel die Entscheidung so spät? (11:39 Min.)

Warum wurde der Australien GP abgesagt?

Letztlich ausgelöst wurde die Absage durch den nachgewiesenen Corona-Fall eines McLaren-Mechanikers am Donnerstag. Vier weitere Verdachtsfälle im Haas-Team bleiben ohne positiven Befund. McLaren zog sich daraufhin in Eigeninitiative von dem Rennwochenende zurück. Deshalb hätte der Grand Prix noch stattfinden können. Die Formel 1 hatte zuvor erklärt, nur bei Einreiseverboten für einzelne Teams abzusagen.

Durch den Fall bei McLaren entstand eine sich selbst verstärkende Dynamik. Die Formel 1 trommelte die FIA, die übrigen Teamchefs, Gesundheitsbehörden und Vertreter der Rennpromoter zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Nicht jeder sprach sich für eine Absage aus. Die Red-Bull-Teams und Haas wollten fahren, wurden jedoch überstimmt. Haas ist ohnehin von Motorenlieferant Ferrari abhängig, Red Bull stand somit allein.

Auch Mercedes wollte offenbar zunächst starten, allerdings überstimmte der Daimler-Konzern das Votum des Rennteams. Letztlich schickte Mercedes sogar noch vor dem offiziellen Statement zur Absage seitens der Formel 1 eine Pressemitteilung, wonach man um die Absage gebeten habe. Minuten später folgte diese.

Warum dauerte die Absage so lang?

Rund 12 Stunden verstrichen von Meldung des Corona-Falls bei McLaren bis zur Absage. Keine zwei Stunden bevor das erste Training begonnen hätte stand erst fest, dass nicht gefahren wird. Offiziell als Grund nennen die Formel-1-Chefs dafür die Komplexität der Thematik und die Erreichbarkeit der Verantwortlichen (Chase Carey im Flugzeug aus Vietnam; Zeitverschiebung nach Europa und damit zum FIA-Hauptquartier). Red Bulls Dr. Helmut Marko ergänzte Meinungsänderungen mancher Beteiligter (vgl. Mercedes oben).

Das Kernproblem dürfte jedoch auf einer völlig anderen Ebene liegen - Verträge. Wer auch immer absagt, trägt die Verantwortung und macht sich angreifbar. Der Formel 1 würde eine Konventionalstrafe drohen, der Veranstalter müsste um die Rückzahlung seiner Startgebühr bangen. Deshalb stand am Ende die Quintessenz, es habe sich um eine gemeinsame Entscheidung aller gehandelt. Die finanziellen Folgen für alle Beteiligten werden nun hinter den Kulissen diskutiert.

Ist das Rennen wirklich komplett abgesagt?

Nein. So lautete zwar der Wortlaut der Aussendung. In einer gemeinsamen Pressekonferenz von Promoter, Formula One Management (FOM) und FIA ließ man jedoch wissen, dass es sich sehr viel mehr um eine Verschiebung handele. Ein Nachholtermin ist also möglich. Die Wortwahl erklärte man damit, keine weitere Verwirrung unter den Fans zu stiften. Diese sollten nicht glauben, das Rennen sei etwa nur um einigen Stunden verschoben.

Wie wahrscheinlich ist ein Nachholtermin?

Hier wird es kompliziert. Australien befindet sich am anderen Ende der Welt. Aktuell reist der Formel-1-Tross - so gut es die Bestimmungen zulassen - ab. Für einen Nachholtermin ist also eine weitere Weltreise erforderlich. Die kann so schnell nicht stattfinden: Internationalen Medienberichten zufolge sollen sich alle Teams auf eine freiwillige Quarantäne aller Mitarbeiter bis Ende März geeinigt haben, 14 McLaren-Mitarbeiter sind Down Under ohnehin verpflichtend isoliert.

Es müsste also ein völlig neuer, eher Monate als Wochen entfernter Ersatztermin gefunden werden. Der Albert Park Circuit ist allerdings keine permanente Rennstrecke, sondern ein öffentliches Areal. Der Promoter ließ bereits wissen, die non-permanenten Anlagen für andere Zwecke wieder abbauen zu müssen.

Welche Folgen gibt es für die Fans?

Nach viel Frust durch ewiges Warten vor den Toren der Strecke - nur, um dann doch eine Absage serviert zu bekommen - können die Fans zumindest eine Rückerstattung ihrer Ticket-Kosten erwarten. Das hat der Veranstalter - wie in solchen Fällen nur üblich - bereits zugesagt.

Welche Folgen gibt es für die Teams?

Zunächst einmal müssen sie aus Australien abreisen. Einzig 14 Mitarbeiter McLarens müssen noch zwei Wochen in Quarantäne verbringen. Zurück in der Heimat werden sich dem offenbar die meisten anderen Mitarbeiter anschließen - auch in anderen Teams (s.o.).

Zudem geht bereits das Gerücht, die Fabriken komplett für einige Wochen zu schließen. Einmal zu Quarantäne-Zwecken - und, um den Shutdown der Sommerpause vorzuziehen. So könnten dort freie Wochenenden für Nachholtermine entstehen.

Die Nachholung möglichst vieler Rennen jedenfalls liegt nicht nur im kommerziellen Interesse der Formel 1 und der Promoter, sondern auch der Teams. Die Rennställe sind immerhin über die jährliche Ausschüttung direkt an den Einnahmen des Rechteinhabers beteiligt, würden mit jedem ausgefallenen Rennen im kommenden Jahr Einbußen hinnehmen. Besonders wenn die Ausgaben dennoch anfallen - etwa, wenn umsonst gereist wird, wie gerade nach Australien.

Rennkalender: Wie geht es jetzt weiter?

Theoretisch findet bereits nächstes Wochenende der Bahrain GP als Geisterrennen statt. Doch selbst daran glaubt inzwischen so gut wie niemand mehr. „Ich denke, dass es außer Frage steht, dass wir nächste Woche in Bahrain sind“, sagte etwa Red Bulls Teamchef Christian Horner. Manche Medien berichten bereits von einer fixen Absage - auch des folgenden Debüts in Vietnam. Offiziell sind diese Absagen jedoch noch nicht (Stand Freitag, 13. März, 12:30 Uhr).

Mit der formalen Absage wird allerdings jederzeit gerechnet, zumal die Teams sich offenbar für den restlichen Monat geschlossen auf eine Selbst-Quarantäne aller Mitarbeiter geeinigt haben (s.o.). Dass die offiziellen Absagen noch nicht erfolgt sind, dürfte unterdessen weniger an dem Versuch liegen, die Rennen doch noch an ihren angestammten Terminen zu halten, sondern vielmehr erneut in den vertraglichen Feinheiten begründet sein.

Update 14:00 Uhr: Die angekündigte offizielle Absage ist da. FIA, Formel 1 und die Promoter der Rennen haben in einem gemeinsamen Statement die vorläufigen Absagen der Grands Prix von Bahrain und Vietnam erklärt. Nachholtermine sind also möglich.

Ebenfalls erhebliche Zweifel bestehen inzwischen an den ersten Europa-Rennen. Immerhin befindet sich das Coronavirus in Europa inzwischen weitaus kräftiger auf dem Vormarsch als in China selbst. Nahezu alle EU-Staaten ergreifen teils scharfe Maßnahmen von landesweiter Quarantäne in Italien über Absagen von großen, inzwischen auch kleineren Veranstaltungen bis zu langfristigen Schulschließungen etc.

In den Niederlanden sind seit Donnerstag Sportevents mit mehr als 100 Teilnehmen abgesagt, entspannt sich die Lage bis zum Zandvoort-Termin am 3. Mai nicht, kann das Rennen in den Dünen nicht stattfinden. Auch die folgenden Grands Prix von Spanien (10.05.) und Monaco (24.05.) - zusätzliches Problem frühzeitig nötiger Aufbaumaßnahmen - sind fraglich.

Einige Insider gehen deshalb bereits davon aus, vor dem Aserbaidschan GP kein Formel-1-Rennen sehen zu werden. Dann würde der Saisonstart erst am 7. Juni in Baku erfolgen. Die FOM selbst spricht in ihrer Aussendung unterdessen davon, einen Termin Ende Mai für den Saisonstart, dann in Europa, zu erwarten. Das sei wegen der zuletzt drastisch gestiegenen Infektionen mit COVID-19 allerdings sehr schwer, verlässlich zu prognostizieren und werde weiter genauestens überwacht.