Ausnahmezustand in der Formel 1: Eigentlich sollte an diesem Wochenende im australischen Melbourne der Start in die Saison 2020 gefeiert werden. Doch am Donnerstag, dem offiziellen Medientag, war niemandem zu Feiern zumute. Das Coronavirus, inzwischen als weltweite Pandemie eingestuft, hängt wie ein Damoklesschwert über dem F1-Paddock.

Zwar hat sich die Königsklasse aktiv dafür entschieden, nach Australien zu reisen und den GP auszutragen, von Normalität im Fahrerlager des Albert Parks kann aber nicht die Rede sein. Weil rund eine Handvoll Teammitglieder von McLaren und Haas Corona-ähnliche Krankheitssymptome zeigen, wurden die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verstärkt.

TV-Interviews werden größtenteils nur mehr zentral von der Formel 1 aufgenommen und anschließend an die TV-Sender distribuiert, die Medienrunden für schreibende Journalisten finden mit Sicherheitsabstand hinter Absperrbändern statt, die Fahrer sind dazu angehalten, näheren Kontakt mit Fans weitestgehend zu meiden. Handschläge gibt es im Fahrerlager längst keine mehr.

Carlos Sainz: Medienrunde mit Sicherheitsabstand, Foto: LAT Images
Carlos Sainz: Medienrunde mit Sicherheitsabstand, Foto: LAT Images

Obwohl politisch nach Ferraris Motoren-Skandal die Hütte brennt, eine FIA-Direktive Mercedes zum Umbau der hinteren Radträger zwang, Proteste gegen das DAS-System der Silberpfeile drohen und auch Racing Point im Fadenkreuz der Konkurrenz steht, drehte sich am Donnerstag in der Formel 1 alles nur um das Thema Corona.

In kaum einer Medienrunde wurden sportliche Themen überhaupt angeschnitten, meist ging es nur um den Ausnahmezustand. Die Meinungen der Fahrer teilten sich in zwei Lager: Der Großteil wollte keine dezidierte Meinung dazu abgeben, vertraute auf die FIA, die Formel 1 und die lokalen Behörden.

Hamilton schießt gegen Formel 1: Macht weiter, als wäre nichts

Klartext hingegen sprachen Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton. Letzterer wurde sehr deutlich: "Ich bin hier heute hier angekommen und sehe, das alles läuft als wäre es ein ganz normaler Tag. Aber ich denke nicht, dass das einer ist. Geld regiert die Welt ..."

"Es scheint so, als ob der Rest der Welt schon ziemlich spät reagiert hat", so Hamilton weiter. "[Donald] Trump hat heute erst die Grenzen zwischen Europa und den USA geschlossen, die NBA wurde eingestellt, aber die Formel 1 macht einfach weiter."

Während nahezu nirgendwo auf der Welt an große Sportereignisse zu denken ist, will die Formel 1 im Albert Park am Wochenende hunderttausende Besucher anlocken. Angesichts der aktuellen Ereignisse auf der Welt ein zumindest diskussionswürdiges Unterfangen.

Die Frage ist nicht einmal unbedingt, ob es gesundheitlich notwendig wäre, den GP abzusagen. Allein das Signal, das von der Formel 1 ausgeht, könnte verheerend sein. Man stelle sich vor, es gäbe tatsächlich einen bestätigten Corona-Fall. Die Formel 1 würde sich für die Austragung rechtfertigen müssen, stünde im Kreuzfeuer der Kritik.

Rennabsagen könnten Teams zerstören

Doch warum tut sich die Formel 1 so schwer mit einer Absage, während überall reagiert wird? Das Problem liegt tatsächlich im Geld. Die Formel 1 hat Verträge mit den Veranstaltern geschlossen. Sagt die Formel 1 ab, fällt nicht nur die Antrittsgebühr weg. Die Formel 1 würde vertragsbrüchig und müsste gegebenenfalls Konventionalstrafen zahlen.

Deshalb muss die Formel 1 auf eine Absage der Behörden hoffen. In China zogen die Behörden rechtzeitig den Stecker, der GP wurde bereits verschoben, bevor die Seefracht überhaupt auf den Weg ging. Hanoi könnte das gleiche Schicksal drohen. Chase Carey war am Donnerstag in Vietnam und wird am Freitag in Melbourne erwartet. Dort wird er aller Voraussicht nach die Verschiebung verkünden.

Als der Formel-1-Tross nach Australien aufbrach, war die Lage längst nicht so prekär, wie sie sich nun am Wochenende darstellt. Eine Absage seitens der Formel 1 wäre nun eine doppelte Katastrophe: Man ließ das gesamte Personal samt Material ans andere Ende der Welt reisen, um das Rennen dann doch abzusagen. Außerdem bestünde das Problem mit den Verträgen weiterhin.

Und selbst wenn die Veranstalter auf Schadensersatzansprüche verzichten würden: Die Formel 1 würde durch den Wegfall einiger Rennen ein ernsthaftes Problem bekommen. Fallen vier GPs aus, erhält jedes Teams zwischen sieben und zehn Millionen weniger Antrittsgebühren. Für die kleinen Rennställe sind das überlebensnotwendige Summen.

Kippt Australien das Rennen in Melbourne?

Die Frage ist, was die australische Regierung macht. Der fünfte Kontinent blieb lange Zeit vom Coronavirus verschont. Erst in den letzten Tagen stieg die Zahl der Infizierten auch in Down Under sprungartig an. Die Regierung antwortete mit strengeren Einreisebedingungen. Wenn der nächste Schritt - wie andernorts - ein Verbot von Großveranstaltungen ist, droht auch dem Formel 1 GP noch eine Absage.

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Schon am Freitag werden Zehntausende in den Albert Park pilgern. Das Rennen in Melbourne zählt zu den Besuchermagneten im Formel-1-Rennkalender. Über das gesamte Wochenende werden hunderttausende Fans erwartet.

Das Rennen in Bahrain am nächsten Wochenende scheint hingegen sicher. Während die australische Regierung kein übermäßiges Interesse an der Durchführung des Rennens hat, besitzt der GP im Mini-Staat Bahrain einen ganz anderen Stellenwert. Extra für die Formel 1 wurden Einreisebestimmungen gelockert.

China GP 2020 noch vor Europa-Auftakt möglich

Sollte Vietnam offiziell verschoben werden, ist unklar, wo die Formel 1 das nächste Rennen austrägt. Die ersten drei Europa-Rennen in Zandvoort, Barcelona und Monaco wackeln inzwischen genauso. Weil der Rennkalender ungewisser denn je ist, könnte China sogar einen frühen Nachholtermin erhalten.

Das Rennen war nie abgesagt, die Formel 1 arbeitete im Hintergrund mit Hochdruck an einem Ersatztermin. Angeblich wäre Abu Dhabi sogar dazu bereit, den eigenen GP um eine Woche nach hinten zu verschieben, um Shanghai noch einschieben zu können. Das Saisonfinale ist Abu Dhabi garantiert.

Sollten sich aber Lücken im Rennkalender auftun, könnte China frühzeitig einspringen. Die Lage dort scheint sich derzeit im Vergleich zum Rest der Welt etwas zu beruhigen, die erste Corona-Welle scheint überstanden.