Die Formel 1 ist 2020 mit Rookies dünn besetzt. Lediglich Williams-Pilot Nicholas Latifi stößt im März in Australien in den erlesenen Kreis der Grand-Prix-Fahrer vor. Als zweiter Kanadier im Feld teilt er sich nicht nur seine Nationalität mit Lance Stroll - auch der Ruf als Paydriver eilt dem Milliardärssohn voraus. Für viele ist das teaminterne Duell gegen George Russell längst entschieden. Latifi nur Kanonenfutter für den Mercedes-Junior? Sein Teamkollege hält dagegen.

"Ich denke, Nicholas wird definitiv sehr unterschätzt", so der Brite, der 2019 in der Formel 1 debütierte. Er traf in seiner Laufbahn als Nachwuchspilot bereits auf Latifi. 2018 starteten beide in der Formel 2. Als Rookie sicherte sich Russell auf Anhieb den Titel im Unterhaus der F1, sein heutiger Stallgefährte beendete das Jahr als Neunter - obwohl es bereits sein dritter Anlauf in der Rennserie war.

Latifi absolvierte insgesamt vier volle Saisons in der Formel 2. Im vergangenen Jahr gelang ihm als Vizemeister sein größer Erfolg überhaupt im Automobilrennsport. Meistertitel sucht man in der Vita des 24-Jährigen aus Montreal vergebens. In der Formel 3 und der Renault Word Series 3.5 landete er jeweils außerhalb der Top-10.

Russell lobt Latifi in den Himmel: Nur auf dem Papier Rookie

Dennoch hält Russell große Stücke auf den neuen Arbeitskollegen. "Er ist unglaublich gut vorbereitet", verweist er auf Latifis jahrelange Erfahrung als Entwicklungsfahrer in der Formel 1. 2016 und 2017 füllte er diese Rolle bei Renault aus. Im Jahr darauf bei Force India, wo er an fünf FP1 teilnahm. 2019 verschlug es ihn schlussendlich zu Williams.

"Er ist ein toller Fahrer und wahrscheinlich der am besten vorbereitete Rookie, den es je in der Formel 1 gab", so Russell, der sich nicht davor scheut, den Neuling stark zu reden. "Auf dem Papier ist er ein Rookie, aber in der Realität ist er das nicht. Er ist ein Fahrer, der schwer zu schlagen sein wird."

Latifi kann seine Erfahrung schlecht leugnen, bemüht sich allerdings auch, die Vorschusslorbeeren herunterzuspielen: "Ich würde schon sagen, dass mir meine F1-Erfahrung als Rookie definitiv einen Vorteil bringt. Aber gleichzeitig würde ich auch sagen, dass dieses Jahr wahrscheinlich das schwierigste ist, um als Rookie einzusteigen."

Formel 1 2020, 3. Testtag: Roter Alarm bei Ferrari: (09:22 Min.)

Latifi redet F1-Erfahrung klein: 2020 schwierigstes Debüt-Jahr

Das schwierigste Jahr um in die Formel 1 einzusteigen? Das behauptete auch schon Lance Stroll, als er 2017 zeitgleich mit einem runderneuerten technischen Reglement debütierte, welches für die schnellsten Autos der Geschichte sorgen sollte. Latifi hat seine eigenen Gründe, weshalb ausgerechnet er vor dem höchsten Gipfel steht.

"Es gibt weniger Testfahrten. Zwei Tage weniger bei den Wintertests, es gibt keine In-Season-Tests mehr und auch keine Rookie-Testtage. Die Streckenzeit ist für mich vor dem Auftakt definitiv geringer", erklärt er. "Aber ich fühle mich so gut wie möglich auf meine erste Saison vorbereitet."

Sein Jahr als Testfahrer bei Williams sorgt dafür, dass er sich bereits in seinem Element fühlt: "Ich habe gar nicht das Gefühl, dass sich wirklich etwas verändert hat, was meine Arbeit mit dem Team angeht. Es fühlt sich wie eine Fortsetzung an, es ist dasselbe Team und dasselbe Umfeld. Vielleicht wird es mir in Melbourne bewusst, dass ich jetzt Stammfahrer bin."

Russell auf der Suche nach Anerkennung?

Russell könnte durchaus seine Gründe haben, seine zukünftige Messlatte in den Himmel zu loben. 2019 bezwang er Robert Kubica im teaminternen Qualifying-Duell mit 21:0 und legte auch im Rennen bis auf wenige Ausnahmen die bessere Pace an den Tag. Doch dem Vergleich mit dem Polen, der nach einer schweren Verletzung und acht Jahren Abstinenz in die Formel 1 zurückkehrte, fehlte es an Aussagekraft.

Zwar behielt Russell eine weiße Weste, doch Kubicas Ausgangssituation sorgte dafür, dass die anderen Rookies bei Erfolgen gegen ihre Teamkollegen mehr Eindruck hinterließen. Russell beteuert jedoch, dass er mit mangelnder Anerkennung kein Problem habe. "Was mir am meisten bedeutet, sind die Meinungen von Claire, dem Team, Toto und Mercedes. Alle waren zufrieden mit meinem Job", sagt er.