Es kribbelt wieder in der Welt der Formel 1. Launch-Woche und Testfahrten zur neuen F1-Saison 2020 stehen unmittelbar bevor, doch hinter den Kulissen mahlen die Mühlen weiter am Feinschliff für die neue Ära in der Königsklasse ab 2021.

Im vergangenen Jahre präsentierten FIA und Formel 1 nach einigen Verzögerungen endlich die neuen Reglements für eine hoffentlich goldene Zukunft. Erstmals gab es neben technischen und sportlichen Regularien auch einen Satz Regeln für die Finanzen.

Formel 1 will schneller auf Regel-Schlupflöcher reagieren

Während in Sachen Reglement nur noch der Feinschliff fehlt, geht es auf politischer Ebene noch um grundlegendere Dinge. Preisgeldverteilung, politische Führung, Entscheidungsprozesse, Regelgebung und Co. lassen grüßen.

Erster Überblick: Neue Formel 1 Regeln 2021 sind da: (09:30 Min.)

Zu einem Aspekt lieferte nun Ross Brawn, Managing Director des kommerziellen Rechtehinhabers Liberty Media für alle sportlichen Belange, ein Update. Ein Update, das es in sich hat, politischen Sprengstoff bietet.

Worum es geht: Schlupflöcher im Reglement - oder besser gesagt eine neue Art, wie die Formel 1 auf diese zu reagieren gedenkt.

Gegenwärtig ist das in der Formel 1 klar geregelt: Hat ein Team eine schwammige Stelle im Reglement entdeckt und daraus einen womöglich großen Vorteil gezogen, sind den Regelhütern die Hände gebunden. Um während der Saison die Regeln zu ändern, ist Einstimmigkeit aller Teams erforderlich. Also auch jenes Teams, das durch die Änderung seinen Vorteil verlieren würde. Eine so gut wie unauflösbare Situation mit potentiell großen Folgen für die Spannung respektive einen engen Wettbewerb.

2021: Änderungen ohne Einstimmigkeit geplant

Gerade das - ein ausgeglicheneres Feld - ist jedoch eines der größten Ziele der neuen Formel-1-Regeln ab 2021. Genau deshalb wollen Ross Brawn & Co. nun eine einschneidende Änderung - Schluss mit der Einstimmigkeit ab 2021! Auch, wenn sie bereits große Zuversicht versprühten, ohnehin alle Schlupflöcher geschlossen zu haben. Devise: sicher ist sicher.

„In der Vergangenheit war es politisch so gesteuert, dass die Teams alle zustimmen mussten, um eine Änderung vorzunehmen. Wir wollen jetzt eine Steuerung einführen, mit der wir Änderungen kurzfristiger als gegenwärtig vornehmen können“, wird Brawn auf der offiziellen Homepage der Formel 1 zitiert. „Wenn du in Zukunft ein Schlupfloch ausnutzt, kannst du da beim nächsten Rennen stillgelegt werden. Das könntest du gegenwärtig nie machen.“

Ausgeglichenere Formel 1 nicht ad absurdum führen

Eines der besten Beispiele liefert Brawns eigener Rennstall Brawn GP der Saison 2009. Dank Doppeldiffusor dominierten Jenson Button und Rubens Barrichello den Saisonbeginn nach Belieben - bis die Konkurrenz die ausgefallene Lösung nachgebaut hatte und zu nutzen wusste.

Toyota und Williams verfügten damals allerdings ebenfalls frühzeitig über Doppeldiffusoren. Deshalb wäre in diesem Fall mit dem geplanten Ansatz für 2021 nicht gehandelt worden, so Brawn. Aber - Brawn: „Wenn ein Team mit einer Lösung hervorsticht, die nie angedacht war und nie vorstellbar war und die das gesamte Prinzip, was wir zu tun versuchen, zerstören würde, dann würde es die politische Steuerung, mit ausreichender Unterstützung anderer Teams, erlauben, es zu unterbinden. Das ist eine völlig andere Philosophie.“

Wer definiert Grenze zwischen guter Idee und Schlupfloch?

Mit dieser Philosophie will Brawn eine neue Kultur etablieren, nicht nur dank Paragrafenreiterei im Reglement zu profitieren. „Was wir nicht wollen - und das sage ich mit einer gewissen Scheinheiligkeit [2009 spielte der Doppeldiffusor bei Ross Brawns eigenem Team Brawn GP eine zentrale Rolle für den Gewinn beider WM-Titel] - ist, dass wir keine Meisterschaft wollen, die durch ein Schlupfloch gewonnen wird“, sagt Brawn.

Regeln 2021: Wie schnell sollten die F1-Autos sein?: (58:16 Min.)

„Wir wollen, dass die Leute mit einem klar verstandenen Satz Regeln die Besten in dem sind, was sie machen. Ich denke, sie müssen sich da auf uns und die FIA verlassen, dass wir niemanden bestrafen, der eine tolle Idee hat. Das ist subjektiv. Aber ist es eine großartige Idee, wenn jemand in den Regeln ein Komma an die falsche Stelle gesetzt hat, was bedeutet, dass ein Anwalt es anders interpretieren kann? Ich denke nicht.“

Das Wort ‚subjektiv’ in dieser Aussage lässt Böses ahnen. Politische Debatten scheinen mit dieser Idee programmiert. Wer definiert, wo eine tolle Idee endet und ein Schlupfloch beginnt?

Brawn versucht einen Erklärungsversuch - ohne konkret gewünschte Mehrheiten bei Abstimmungen zu verraten. „Eine großartige Idee ist die Ausnutzung der Regularien innerhalb dessen, was sie vorsahen“, so der Brite. „Wenn jemand mit etwas kommt, das mit Wortspielereien zu tun hatte, oder eine Interpretation war, die nie vorgesehen war, dann verdirbt es das Prinzip komplett.“

Brawn weiter: „Welche Wahl hast du? Entweder für ein Jahr damit leben und etwas haben, das kein toller Wettbewerb ist, oder wir ändern es, stellen es richtig und bekommen den Wettbewerb dahin zurück, wo er sein sollte.“

Droht 2021 Dauerstreit um unorthodoxe Lösungen?

Doch drohen deshalb wirklich dauernde politische Debatten und Abstimmungen? Brawn glaubt, nein. Der F1-Sportchef setzt auf Abschreckung im Vorfeld. „Würden Sie das Risiko eingehen, mit einer riskanten Interpretation in die Meisterschaft zu gehen, wenn sie wüssten, dass es unterbunden werden könnte? Die Evolution und die Art, wie solche Dinge entwickelt werden, wird deshalb eine andere sein. Die Philosophie wäre eine andere“, schildert Brawn.

„Dann kommt es so, dass jemand, der ein Schlupfloch gefunden hat, denkt: „Will ich es wirklich benutzen oder will ich die FIA informieren, weil es nicht vorgesehen war?“ Denn du könntest ein Schlupfloch im Reglement gefunden haben, beim ersten Rennen auftauchen und dann sagt die FIA: „Sorry Kumpel, das war nicht vorgesehen, wir halten jetzt ein Meeting ab und wenn alle außer dir zustimmen, dann werden wir es unterbinden.“