Le-Mans-Sieger und F1-Aufsteiger: Dr. Helmut Marko stand Anfang der 70er Jahre vor einer vielversprechenden Formel-1-Karriere. Doch nach nur neun Grand-Prix-Starts war alles schon wieder vorbei. Im Interview mit Motorsport-Magazin.com erinnert er sich zurück und spricht über die Gefahren des Rennsports...

Motorsport-Magazin.com: Herr Dr. Marko, was hat Sie als Rennfahrer und auch heute so sehr am Motorsport fasziniert? Sie haben als Jurist einen 'anständigen Beruf' erlernt, wieso sagten Sie sich dann: Nein, ich mache etwas anderes und fahre Rennen?
Dr. Helmut Marko: Die Faszination ist ganz einfach, es geht darum, ein technisches Gerät am absoluten Limit zu bewegen. Der direkte Zweikampf mit dem Gegner. Und: für meine Generation war das Auto damals der Weg zur Freiheit. An meinem 18. Geburtstag habe ich vor der Polizei gestanden und meinen Führerschein abgeholt, da war die Prüfung und alles schon erledigt. Das war der wichtigste Tag im Leben. Ein Auto zu haben, war für uns das Allergrößte. Damit hast du dich bewegen können und warst freigestellt. Dieses Auto dann am Limit zu bewegen, das war ein Bubentraum, der dann in der Realität langsam Formen angenommen hat.

Ihre Karriere nahm in der Folge immer professionellere Züge an, aber dann verunglückte Ihr Freund Jochen Rindt in Monza 1970 tödlich. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Dr. Helmut Marko: Wie immer, wenn so etwas passiert, will man es nicht glauben. Aber es war schon tragisch, weil der Jochen in den Jahren zuvor schon echt wilde und gefährliche Aktionen gehabt hat. Er war ein Draufgänger. Er hatte schlechtes Material und hat das durch eine äußerst riskante Fahrweise wettgemacht. 1970 oder eigentlich schon 1969 galt er als arrivierter Fahrer, der mit Speed und nicht mit Risiko überzeugt hat. Die Risiken des Sports waren damals ja ganz andere. In einem Starterfeld von 20 Fahrern sind im Schnitt mindestens zwei tödlich verunglückt und dann gab es noch ein paar weitere Fahrer mit Verletzungen, die ein Weiterfahren verhindert haben.

Das Risiko war einfach da und ihm ist das bewusst geworden. Er wollte eigentlich aufhören, aber dann hat ihm [Colin] Chapman dieses Wunderauto angeboten, das ja dann kein Wunderauto war, und natürlich auch ein finanziell attraktives Angebot gemacht. Deshalb hat Jochen weitergemacht. Er war skeptisch gegenüber der Technik und letztlich war es ja auch ein technischer Defekt am Lotus, der ihn das Leben gekostet hat. Die Strecken waren damals nicht so abgesichert wie sie es heute sind, die Leitplanken waren schlecht oder nicht richtig montiert, und natürlich die Chassis: Es gab keine Kohlefaser-Chassis und bei einem Crash war zumindest die Gefahr eines Feuers immer gegeben. Die Autos sind damals auseinander geborsten und dergleichen.

Dr. Helmut Marko: Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei (55:58 Min.)

Trotzdem haben Sie diese Gefahr für Sie selbst auch nach Jochens Unfall weiterhin in Kauf genommen...
Dr. Helmut Marko: Man hat sich eine Philosophie oder eine Ausrede zurechtgelegt: Wenn einem etwas passiert, dann war es reines Pech und es hätte dir auf der Straße genauso gut passieren können. Aber genau das Gegenteil war der Fall: Wenn einem nichts passiert ist, war das ein Riesenglück. Aber mit der Zeit, also nicht mehr in meiner, hat sich die Situation sukzessive verbessert, etwa mit dem Kohlefaser-Monocoque. Ich muss sagen, vor allen Dingen Jackie Stewart war ein wahnsinnig wichtiger Vorreiter für die Sicherheit. Er hat sich für das Medical Car eingesetzt, er hat sich schon mit Jochen Rindt für die Streckensicherheit stark gemacht. Gott sei Dank sind diese [gefährlichen] Zeiten vorbei.

Sie sind damals auch schon Ihre ersten Formel-1-Rennen gefahren. Das erste war Silverstone mit einem privat eingesetzten McLaren. Da gab es aber Probleme, so dass Sie die Vorqualifikation nicht geschafft haben. Das zweite Rennen war am Österreichring mit einem Vorjahresmodell von BRM. Wie ist der Kontakt in die Formel 1 zu Stande gekommen?
Dr. Helmut Marko: Wie gesagt: Es hat da durch die vielen Unfälle, die teilweise sehr tragisch waren, eine natürliche Fluktuation gegeben und deshalb sind die [Formel 1-] Leute auf einen zugekommen. Da hat man nicht weiß Gott was unternehmen müssen. Der McLaren war ein Auto vom [Jo] Bonnier, das erste Rennen am Nürburgring. Ich weiß nicht mehr den genauen Grund, warum ich nicht gefahren bin. Es war nicht die Qualifikation. Ich habe dann mit Surtees verhandelt, hatte da schon einen Vorvertrag gehabt. Er hat mich zwar verklagt wegen Nicht-Einhaltung, hat aber nicht gewonnen. Wir haben uns trotzdem gut verstanden. Das BRM-Projekt schien mir das erfolgreichste zu sein. Nur haben sie dann bis zu fünf Autos an den Start gebracht und damit war die Effizienz natürlich dahin, obwohl der Motor und das Chassis super waren.

Man muss dazu sagen, dass Sie bei den Rennen 1971 erst das Vorjahres-Modell gefahren sind...
Dr. Helmut Marko: 1972 auch. Ich habe erstmals in Clermont-Ferrand das neue Chassis bekommen. Das war wesentlich wettbewerbsfähiger und einfach das modernere Auto. Ich war so was von heiß, dieses Chassis zu fahren. Ich habe vorne und hinten nicht reingepasst, bin 10 Zentimeter weiter herausgeragt als in einem normalen Chassis. Mir war das alles egal, ich wollte dieses Chassis fahren. Innen hat man sich verkrümmt, überall hat man sich angeschlagen und dergleichen. Letztendlich war diese 10 Zentimeter höhere Sitzposition die Ursache dafür, dass dieser Stein so eine verheerende Wirkung gehabt hat...

Motorsport-Magazin.com-Redakteur Christian Mentath sprach mit Dr. Helmut Marko über dessen Formel-1-Karriere, Foto: Motorsport-Magazin.com
Motorsport-Magazin.com-Redakteur Christian Mentath sprach mit Dr. Helmut Marko über dessen Formel-1-Karriere, Foto: Motorsport-Magazin.com

Damit sprechen Sie Ihren Unfall an. Wie sehen Ihre Erinnerungen an diesen Tag aus? Es war ein sensationelles Qualifying, Sie standen auf Startplatz sechs als mit Abstand bester BRM-Fahrer und dann...
Dr. Helmut Marko: Ich kann mich noch sehr gut erinnern. Wir haben einen 12-Zylinder gehabt, der sehr viel Benzin verbraucht hat und auf dieser Strecke fuhr man relativ viel Vollgas - das waren so um die 250 Liter Sprit. In dem Moment, in dem mich der Stein getroffen hat, ist die natürliche Reaktion, dass du sofort die Augen schließt - das haben mir die Ärzte gesagt. Mir ist dann sofort eingefallen 'Hallo, da sind 250 Liter Sprit an Bord!' und ich hatte da noch etwa 20 Fahrer hinter mir.

Wenn ich da nicht irgendetwas Kontrolliertes mache, dann ist das womöglich ein fataler Crash - nicht nur für mich, sondern auch für die anderen. Das kam dann alles vom Unterbewusstsein her. Man hat mir erzählt, ich hätte die Hand gehoben, habe das Auto seitlich geparkt und bin dann stehen geblieben. Der [Vic] Elford war damals Sicherheitsfahrer in einem ganz kleinen Porsche, der damals das Medical Car gewesen ist, und ich war ohnmächtig als er zu mir zum Auto gekommen ist. Erst dann bin ich wieder zu mir gekommen.

Wie ist es dann weiter verlaufen? Es gab damals bei weitem noch nicht die Infrastruktur an der Rennstrecke, kein Medical Car an der Rennstrecke oder ein Medical Center nach den heutigen Maßstäben...
Dr. Helmut Marko: Also es gab ein Medical Car, welches auf Initiative von [Jackie] Stewart eingerichtet worden war. Aber es gab keine Infrastruktur wie es heute der Fall ist. Es gab da ein paar Wässerchen und Salben. Von dort hat man mich dann in ein Krankenhaus geführt - das war aber erst das falsche. Dann ins nächste Krankenhaus. Es war Sonntagnachmittag, kein richtiger Arzt da. Der war auf einer Grillparty und dadurch ist die Erstversorgung erst um 7 oder 8 Uhr am Abend gekommen. Das war dann vielleicht auch ein Grund, warum das Auge nicht mehr zu retten war. Also mit heutigen Verhältnissen war das überhaupt nicht vergleichbar.

Wann merkt man, dass es etwas richtig Ernstes ist?
Dr. Helmut Marko: Dieser Schmerz war unglaublich. Dann war ich längere Zeit im Krankenhaus, es gab verschiedenste Diagnosen. Das Auge wurde wieder zusammengenäht und es gab diese Nähte. Das heißt, bei jedem Zwinkern hat es einen kräftigen Schmerz gegeben. In der Anfangsphase war noch eine gewisse Sehkraft vorhanden. Aber irgendwann in einer Nacht, wo ich aufgrund der Schmerzen nicht schlafen konnte, ist mir dann klar geworden: 'Das wird nichts mehr.' Es wird zumindest nicht das, was es vorher war. Und irgendwas, wie Tourenwagen zu fahren, wollte ich auch nicht und dann habe ich gesagt: 'Okay. Das ist tragisch, weil meine Perspektiven gut ausgesehen haben. Mit Ferrari war ich mir bereits einig. Ich war relativ kurz im Motorsport und in der Formel 1 und dann war es schon wieder vorbei. Ich bin ein Typ, der sagt, man muss im Leben nach vorne schauen. Und dann habe ich mir gesagt: 'Okay, das war es. Jetzt schauen wir mal, was weiter geschieht.'

Haben Sie gewusst, dass Sie nicht mehr auf dem Niveau fahren konnten? Ich glaube, man kann das relativ schlecht einschätzen oder nachvollziehen von außen. Robert Kubica hatte einen schweren Unfall mit schweren Verletzungen und hat es wieder versucht. War es für Sie klar, dass es nicht mehr geht?
Dr. Helmut Marko: Es war klar, dass du mit einem Auge oder einer deutlich verminderten Sehkraft auf einem Auge, nicht mehr auf dem Niveau wie vorher unterwegs sein kannst. Bevor ich da irgendwelche Kompromisse eingehe, habe ich lieber gesagt: 'Nein'. Ich habe den Entschluss gefasst, dass es für mich vorbei ist.

Dr. Helmut Marko nimmt regelmäßig an den Legenden-Paraden beim Österreich GP teil, Foto: Red Bull/GEPA
Dr. Helmut Marko nimmt regelmäßig an den Legenden-Paraden beim Österreich GP teil, Foto: Red Bull/GEPA

Haben Sie seitdem auch nie wieder ein Rennauto am Limit bewegt?
Dr. Helmut Marko: Ich habe lange Zeit überhaupt nicht in einem Rennauto gesessen. Nur jetzt in den letzten Jahren, als Red Bull in Spielberg die Legends-Paraden abgehalten hat, habe ich wieder darin Platz genommen. Der 917 war für damalige Verhältnisse schon ein gefährliches Auto und heute ist es unvorstellbar. Du hast da vor deinen Füßen fingerdicke Röhren aus Magnesium oder sonst irgendeinem Metall. Du hast keine Knautschzone, überhaupt nichts. Ich habe mir vorgenommen: 'Da fährst du jetzt gemütlich und winkst' und dann ist da irgendeiner mit dem gleichen Auto an mir vorbeigezogen und dann machte es 'Klack' und in mir ist wieder die alte Leidenschaft, ich will nicht sagen Unvernunft, zurückgekommen und ich bin mit dem 917er recht flott unterwegs gewesen.

Wie oft denken Sie noch an den Tag zurück, an dem der Unfall passiert ist? Und wenn ja: Wie denken Sie daran zurück?
Dr. Helmut Marko: Nein, der Fall war für mich mit meiner Entscheidung in irgendeiner Nacht im Krankenhaus abgeschlossen. Es war eine kurze und schöne Periode. Ich habe nicht das erreicht, was ich wollte, aber das Leben geht weiter. Ich bin ja jetzt schon sehr alt. Damals haben wir gefragt, was 40-Jährige eigentlich noch machen? Aber was ich in dieser Zeit noch alles erlebt habe und wie viele positive Sachen darunter waren - umso ärger ist es, dass der Jochen in der Blüte seines Lebens aus dem Leben gerissen wurde.

Ich habe vor einiger Zeit ein sehr eindrucksvolles Zitat von Ihnen gelesen: 'Im Nachhinein ist es ein großes Glück, dass ich es ohne gröbere Verletzungen überstanden habe.' Aus heutiger Sicht ist eine solche Aussage mit Ihrer Geschichte fast schon unvorstellbar...
Dr. Helmut Marko: Ja, aber vernünftig und rational betrachtet ist es so. Mit den heutigen Autos ist es etwas ganz anderes. Vor Kurzem war ja das Streif-Abfahrtsrennen - und die Skirennfahrer leben um vieles gefährlicher als die Formel-1-Fahrer und sie bekommen nur einen Bruchteil davon bezahlt. Deren Körper ist quasi der Abwehr- oder Prellbock - da gibt es nichts, was dich schützt. Es gibt ja kaum einen Fahrer, besonders bei den Abfahrern, wo nicht das Kreuzband schon x-mal gerissen ist oder der irgendwelche anderen Verletzungen hatte.

1972 gingen Dr. Helmut Marko und Niki Lauda gemeinsam in der Formel 1 an den Start, Foto: Sutton
1972 gingen Dr. Helmut Marko und Niki Lauda gemeinsam in der Formel 1 an den Start, Foto: Sutton

Ist man da heute in der Formel 1 zu weit gegangen? Sie haben es ja kritisiert, als das Halo-System eingeführt wurde.
Dr. Helmut Marko: Ich glaube, dass der Zuschauer, wenn er zu einem Rennen geht, etwas sehen will, was ihm klar macht, dass er das nie machen könnte. Es liegt so was von außerhalb seiner Reichweite. Und dazu gehört vor allem im Motorsport auch ein gewisses Risiko. Dabei sollte man jetzt nicht von einer Verletzung oder argen Verletzung ausgehen.

Was ich kritisiere, ist, dass auf den meisten Strecken die Auslaufzonen in den Kurven so angelegt sind, dass der Fahrer, der einen Fehler macht, dafür nicht bestraft wird. Er ist in der Asphaltauslaufzone, verliert ein bisschen Zeit, aber ansonsten passiert nichts. Dadurch ist das Kriterium für einen Top-Fahrer und einen nicht so guten Fahrer nicht mehr gegeben. Denn jeder kann sich etwas trauen und es passiert ihm nichts. Früher war das anders. Wenn du das Limit überzogen hast, war da eine Mauer oder eine Leitschiene. Da hat es nicht so viele Fahrer gegeben, die bis auf ein paar Millimeter an eine Leitschiene herangedriftet sind. Dadurch nivelliert sich das Ganze in einem Ausmaß, das für den Sport nicht attraktiv ist.

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