Zu einer überraschenden Neuauflage der unvergessenen Allianz McLaren-Mercedes kommt es 2021 in der Formel 1. Die fast zwei Jahrzehnte bewährte deutsch-britische Kooperation geht in Runde zwei. Eine Wiedervereinigung. Und doch keine echte Reunion. Züchtet Mercedes seinen größten Gegner selbst?

Ron Dennis, Norbert Haug, Mika Häkkinen und David Coulthard. Längst sind sie nicht mehr dabei und doch ist die Erinnerung an diese Namen nie verblasst. Über Jahre prägten sie einen gewichtigen Teil der Formel 1. Als McLaren-Mercedes lieferten sie Michael Schumacher und Ferrari um die Jahrtausendwende packende Titelkämpfe in Serie. Mit Kimi Räikkönen, Fernando Alonso, Lewis Hamilton und Jenson Button lässt sich die Liste mit weiteren hochdekorierten McLaren-Mercedes-Assen fast beliebig fortsetzen. Knapp zwei Jahrzehnte, von 1995 bis 2014, währte die deutsch-britische Allianz in der Königsklasse. Eine Erfolgsgeschichte von 78 Grand-Prix-Siegen und vier WM-Titeln für das erst silber-, dann chromfarbene McLaren-Mercedes. Mit einem Wermutstropfen - dem unrühmlichen Bruch der Beziehung.

Bei McLaren-Mercedes begann einst die Formel-1-Karriere von Lewis Hamilton, Foto: Sutton
Bei McLaren-Mercedes begann einst die Formel-1-Karriere von Lewis Hamilton, Foto: Sutton

Eingeleitet wurde der bereits 2009. Nach vielen Jahren mit Werksteam-Status lieferte Mercedes seine Formel-1-Motoren erstmals nicht mehr exklusiv an McLaren. Zum Kundenteam degradiert folgte auf zunehmende Erfolglosigkeit 2014 der Knall: Ron Dennis warf Mercedes vor, das inzwischen aufgebaute eigene Werksteam mit besserem Material auszustatten als den langjährigen Edelkunden McLaren. Aus dem Miteinander war ein Gegeneinander geworden. Nicht lange dauerte es und eine andere Allianz wurde neu geschmiedet: McLaren-Honda war zurück. Zukünftige Dominanz wurde ausgerufen. Ein Missverständnis. Es folgte der Absturz ins Nirvana der Startaufstellung.

Formel 1 2021: McLaren mit Mercedes zurück zu altem Glanz? (21:11 Min.)

Nach drei Jahren der nächste Wechsel. Renault sollte es richten. Tatsächlich stellte sich letztlich Besserung ein. 2019 fand McLaren immerhin den Weg zurück an die Spitze des Mittelfelds. Dem eigenen Anspruch fährt Woking damit dennoch hinterher. Deshalb wagt das Traditionsteam nach erneut drei Jahren gleich den nächsten Sprung. Nicht ins Ungewisse, sondern zurück in den Schoß von Mercedes. Aus dem einst unrühmlichen Ende ist so ein vorläufiges geworden, 2021 geht es für mindestens vier Jahre weiter - McLaren-Mercedes ist zurück!

McLaren wird seinen Mercedes-Werksstatus nicht zurück erhalten

Eine Wiedervereinigung und doch keine echte Reunion. Mit den bestehenden Mercedes-Kunden Racing Point und dem erst kürzlich bis 2025 verlängerten Williams - ganz zu schweigen vom Mercedes-Werksteam selbst - wird McLaren seinen einstigen Werksstatus nicht zurückerlangen, sondern sich schlicht einreihen. Und doch wird Woking etwas mehr sein. Die Marke McLaren allein, hinzugenommen der jüngste Aufschwung - das reicht für einige Beobachter, um von einem möglichen selbstgeschaffenen Mercedes-Konkurrenten, vielleicht sogar dem neuen härtesten Rivalen zu sprechen.

"Die musst du immer auf der Rechnung haben. Man hat ja gesehen, wie sie jetzt zurückgekommen sind", sagt etwa der ehemalige McLaren-Testpilot und F1-Experte Alexander Wurz im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Du darfst nie jemanden unterschätzen. Schon morgen könnten sie der Gegner sein, der besser ist als du." Dass der Abstand von Mittelfeldspitze McLaren auf die Top-Teams, und damit Mercedes, gegenwärtig noch immer riesig ist, sieht Wurz wenig problematisch - trotz Überrundungen und freiwilligem Zurückstecken bei seltenen Begegnungen auf der Strecke im direkten Positionskampf.

Meilenweit sei McLaren nun auch nicht hinterher, so Wurz. "Ich glaube es geht da nur um zwei oder 1,8 Prozent. Unterschätzen darfst du die nie", betont der Österreicher. Das gelte insbesondere wegen der jüngst so positiven Dynamik. Das locke auch weiteres Top-Personal - mit Teamchef Andreas Seidl und Technikchef James Key fanden sich zuletzt bereits echte Größen neu in Woking ein. "Wenn die da einen neuen Trend sehen, etwas, das bergauf geht, dann ist das sehr motivierend, dann gehst du dahin. Und solche Zyklen hast du immer in der Formel 1", sagt Wurz.

Alexander Wurz war viele Jahre als Testfahrer bei McLaren-Mercedes tätig, Foto: Sutton
Alexander Wurz war viele Jahre als Testfahrer bei McLaren-Mercedes tätig, Foto: Sutton

Das klingt fast schon, als stehe ein Comeback McLarens in den Kreis der Titelanwärter unmittelbar bevor. Tatsächlich erschien es lange Zeit nie wahrscheinlicher als für 2021. Jenem Jahr, in dem nicht nur McLaren-Mercedes neugeboren wird, sondern auch das Formel-1-Reglement auf den Kopf gestellt werden soll, inklusive Budgetobergrenze. "Da wird komplett neu gemischt", sagt Wurz über die mögliche McLaren-Großchance. Insgesamt würden die drei Top-Teams aber noch lange Zeit von ihren über Jahre erarbeiteten Vorteilen zehren, einen Vorteil konservieren können.

Mit Mercedes hat McLaren diesen Vorteil nun allerdings zumindest Motor-seitig angezapft. Wird das Traditionsteam damit zum echten Rivalen? "Ich bin ein bisschen überrascht von der Nachricht. Das ist eine Kehrtwende zu den vergangenen zehn Jahren", wundert sich Wurz. "Damals war Mercedes ja nur der Lieferant, jetzt sind sie selbst Teambesitzer. 'Aufpassen' habe ich da gedacht." Nobel sei es vielleicht, einem schwächeren Team zu helfen, so Wurz. "Aber wir befinden uns hier im Sport. Du läufst ja auch keinen Marathon, dein Gegner bekommt einen wahnsinnigen Durst und du gibst ihm bei Kilometer 30 deine Trinkflasche. Das tust du nicht, wenn du um die Goldmedaille kämpfen willst", vergleicht der Österreicher.

Wolff sieht Vorteile im McLaren-Deal

So überrascht sich nicht nur der 69-fache GP-Starter zeigt, so durchdacht ist die Entscheidung von Mercedes. Für Motorsportchef Toto Wolff überwiegen ganz klar die Vorteile - Schöpfung eines vielleicht neuen Konkurrenten hin oder her. "Ich denke nicht, dass es große Nachteile gibt. Wir müssen unseren Job sowieso gut genug machen", sagt Wolff. Kurz gesagt geht es einmal um zusätzliche Einnahmen aus Woking, die in die Entwicklung gesteckt werden können - vor allem jedoch um einen Daten-Boost durch zwei weitere Boliden mit Mercedes-Motoren auf der Strecke. Das habe Mercedes nach einer ursprünglichen Generalansage zum F1-Einstieg bemerkt.

"Wir waren zu Beginn sehr strikt damit, uns zu 100 Prozent auf das Werksteam zu konzentrieren. Dann haben wir uns etwas davon entfernt, indem wir Manor beliefert haben und damals schon drei Kunden hatten. Tatsächlich haben wir dabei herausgefunden, dass es ein Vorteil ist, mehr Power Units da draußen zu haben", erinnert Wolff.

Doch McLaren ist nicht Hinterherfahrer Manor. Das weiß auch Wolff. "Natürlich besteht darin ein Risiko: Dass McLaren einen guten Job macht - und sie werden hart pushen - und uns vielleicht die Messlatte auflegt. Sodass es heißt: 'Das ist die gleiche Power Unit und ihr Jungs macht euren Job nicht gut genug'. Aber jetzt, mit sieben Jahren Hybrid-Ära, sind wir für diesen Schritt bereit." Tatsächlich hatte genau dieses Thema lange zuvor schon zu leidenschaftlichen Debatten bei Mercedes geführt - zwischen Wolff und seinem damaligen Sparringspartner Niki Lauda. "Wir waren bei der Motorfrage unterschiedlicher Meinung, denn er war sehr dafür, Red Bull zu beliefern. Wir waren aber in der frühen Phase von einem Abschnitt, in dem wir ein Team hatten, das endlich in der Lage war zu siegen. Deshalb war ich dagegen", berichtet Wolff.

Mercedes wohl auch ab 2021 stärktster Motor

Genau deshalb scheint später McLaren nach der Honda-Trennung nicht gleich zu Mercedes, sondern stattdessen zu Renault gegangen zu sein. Das Comeback von McLaren-Mercedes hätte es also schon drei Jahre früher geben können. "Aber als es da vor ein paar Jahren um die Entscheidung ging, hat Niki gesagt, dass ich dann auch meiner Entscheidung von damals treu bleiben und mich auf das Werksteam konzentrieren muss", verrät Wolff. "Aber heute ist die Situation eine andere. 2021 sehen die Regeln völlig anders aus und werden die Landschaft ohnehin verändern", erklärt der Mercedes-Teamchef den silbernen Sinneswandel.

Die zweite McLaren-Honda-Ära war nicht so erfolgreich wie erhofft, Foto: Sutton
Die zweite McLaren-Honda-Ära war nicht so erfolgreich wie erhofft, Foto: Sutton

Genau an diesem Punkt wird die McLaren-Seite interessant. Wenn 2021 sowieso neu gewürfelt wird, warum will Woking dann unbedingt den Wechsel von Renault zu Mercedes? Weil zumindest in Sachen Power Units tatsächlich kaum etwas geändert wird - und Mercedes für McLaren die klar stabilste Bank darstellt. "Diese Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt auf unserem Weg, in der Formel 1 langfristig wieder erfolgreich zu sein. Mercedes ist der Maßstab, sowohl als Team als auch mit seiner Power Unit, sowohl in Sachen Leistung als auch Zuverlässigkeit. Deshalb ist es nur natürlich, dass wir für unsere nächste Phase eine Zusammenarbeit mit ihnen angestrebt haben", erklärt Geschäftsführer Zak Brown die Entscheidung gegen Renault und für Mercedes.

Tatsächlich hatten die Franzosen zuletzt in Sachen Power zumindest aufgeholt, doch die Standfestigkeit bereitete auch 2019 Probleme. Das erfuhr auch Kunde McLaren schmerzlich. Eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung spielte Andreas Seidl. "Als er kam habe ich ihn gefragt, was wir brauchen, um zurück an die Spitze zu kommen. Er kam dann schnell mit Empfehlungen wie dem neuen Windtunnel und er war auch federführend bei der Entscheidung bezüglich der Power Unit", verrät Brown. McLaren baut vor Einführung von Kostendeckeln und noch weitergehenden Testrestriktionen einen neuen Windkanal, um die gestattete Zeit maximal effizient zu nutzen. "Natürlich war es eine Gruppenentscheidung - aber eine, die Andreas angestoßen hat", ergänzt der US-Amerikaner.

McLaren will frühzeitig die Weichen für die Zukunft stellen

Ferrari-Motoren, zwischenzeitlich sogar an Mercedes vorbeigezogen, spielten in den McLaren-Überlegungen nie eine Rolle. "In der Formel 1 musst du auf eine längere Spanne als ein paar Rennen schauen", erklärt Brown. Heißt: Eine Schwalbe macht für McLaren noch keinen Sommer. So denkt auch Seidl: "Das Jahr 2021 wird ein wichtiger Meilenstein für unser Team auf unserem langfristigen Weg zum Aufschwung sein. Dabei ist es entscheidend, dass wir bereits jetzt die wichtigsten Weichen gestellt haben, um uns richtig auf diese neue Ära in unserem Sport vorzubereiten."

Damit nicht genug. Hinzu kommt die direkte Konkurrenz im Bereich Supersportwagen mit Maranello. "Ich denke, dass es eine klare Markenkollision mit unserem Straßenfahrzeug-Geschäft bei McLaren wäre", sagt Brown. Eine hauseigene Lösung - seit Jahren ein beliebtes Gerücht im Fahrerlager - stand ebenfalls nie zur Debatte. "Motorenbauen macht für uns finanziell keinen Sinn", winkt Brown ab. "Da musst du ein deutlich größerer OEM sein, der die Ausgaben durch größere Autoverkäufe rechtfertigen kann. Das macht für Mercedes, Renault und Honda Sinn, aber nicht für McLaren mit dem Fahrzeugvolumen, das wir verkaufen." Das Getriebe wird McLaren dagegen auch mit dem neuen Mercedes-Deal weiter in Eigenregie fertigen.

Dennoch stellt sich bei einer externen Lösung, gerade wenn es sich nicht einen Werksstatus handelt, wieder die Dennis-Frage: Wird McLaren gleichwertiges Material erhalten wie das Mercedes-Werksteam, um es wirklich mit dem Lieferanten aufnehmen zu können? "Es herrscht Gleichheit zwischen allen Power Units. Das ist wichtig für Zak und Andreas. Gleiche Hardware, Software und Ausbaustufen zu jeder Zeit, da kannst du die Powerkurven perfekt übereinanderlegen", verspricht Wolff. Das verlangen die Regeln inzwischen ohnehin. Nach ursprünglicher Kritik zu Beginn der Hybrid-Ära wurden Kontrollmechanismen installiert. Deshalb vertraut McLaren voll und ganz auf gleiches Material.

McLaren hofft, Mercedes schlagen zu können

"Ich bin da sehr sicher. Man sieht in der Telemetrie, dass in den Mercedes-Autos genau dasselbe steckt wie in den Autos von Williams und Racing Point." Deshalb könne McLaren auch Mercedes schlagen - irgendwann zumindest. "Wenn wir unseren Job sehr gut machen, dann können wir das. Aber da musst du schon dein A-Game bringen. Ich denke nicht, dass es angesichts der Größe des Abstands allzu schnell passieren wird."

1995 begann die Zusammenarbeit von McLaren und Mercedes, Foto: Sutton
1995 begann die Zusammenarbeit von McLaren und Mercedes, Foto: Sutton

Sportpolitische Motive verfolge Mercedes - mit drei Kunden und dem Werksteam bei 40 Prozent aller Starter involviert - unterdessen nicht, betont Wolff ausdrücklich. "Ich kann klar sagen, dass ich nicht von McLaren, Racing Point oder Williams erwarte, dass sie je eine Entscheidung treffen, die gegen ihre Prioritäten geht", versichert der Mercedes-Motorsportchef. Genauso wenig sei das Comeback von McLaren-Mercedes ein Indiz, dass Mercedes einen Rückzug des Werksteams aus der Formel 1 andenke. Theoretisch möglich wäre das, für die Zeit nach 2020 ist vertraglich nichts fixiert. "Uns ist es wichtig, zu betonen, dass es heute ein Werksteam gibt und das eine Power-Unit-Kunden-Beziehung ist und kein Start eines Werksdeals und dass wir nicht mehr da sind", sagt Wolff. "Wir brennen jetzt darauf, zu erfahren wie es mit der F1 weitergeht, wie es sich entwickelt und vorzugsweise als Werksteam weiterzumachen. Wir genießen es, ein Werksteam zu sein."

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