Lange hat es gedauert, doch beim vorletzten Rennen der Formel-1-Saison 2019 ist es jetzt passiert: In Runde 66 des Brasilien GP sind Sebastian Vettel und Charles Leclerc zum ersten Mal gecrasht. Die teaminterne Kollision führte zu mächtig Ärger unterm Dach bei Ferrari, von Scuderia-Teamchef Mattia Binotto bis hin nach ganz oben in den Vorstand rund um John Elkann und Piero Ferrari.

Im Interview analysiert Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner die Schuldfrage und rätselt, wie Ferrari seine beiden 'Alphatiere im Quadrat' in den Griff bekommen will.

Danner sieht Teilschuld bei Charles Leclerc

Motorsport-Magazin.com: Sie haben im Live-Kommentar bei RTL schon recht klar gesagt, dass Sebastian Vettel für sie der Unfallverursacher ist. Nach weiterem Studium der Bilder und Aussagen: Bleibt es dabei?
Christian Danner: Hören wir uns seine Aussagen einmal an. Er selbst sagt: 'Ich dachte, ich wäre vorbei.' Damit ist für mich alles erklärt. Er hat in dem Glauben, er sei vorbei, rübergezogen - er war aber nicht vorbei. Also ist er dem anderen ins Auto gefahren. Dass der andere die normale Reaktion, die man eigentlich hat - nämlich auszuweichen und wegzufahren - nicht zeigt, davon musste Vettel ausgehen.

Formel 1 Krach: Vettel vs. Leclerc Eskaliert das Duell erneut? (19:47 Min.)

Danner: Es ging um die Stellung im Team für 2020

Also eine Teilschuld für Leclerc?
Christian Danner: Auf jeden Fall. Es gehören immer zwei dazu. Wenn du normal nebeneinander fährst und merkst, dass der andere rüberzieht, dann fährst du eben auch rüber und lässt ihm etwas Luft. Dann bist du für die Kurve noch immer auf der Innenseite und hast die Chance, vorne zu bleiben. Das gilt speziell für Teamkollegen! Dann kann es wie bei Ricciardo und Magnussen noch in der Kurve krachen, das kann immer passieren. Du musst nicht auf der Geraden brutal dagegenhalten. Aber von Leclerc habe ich nichts anderes erwartet, weil er immer so gefahren ist.

Auch nicht im Kampf gegen den Teamkollegen?
Christian Danner: Da geht es ums Prinzip. Das Erstaunliche an diesem Zusammenkommen ist ja: Es fährt nicht Verstappen gegen Hamilton, sondern es fahren zwei Teamkollegen gegeneinander. Da hält jeder dagegen bis die Fetzen fliegen. Normalerweise hilft das, dann passiert es das nächste Mal nicht mehr. Ich erinnere immer an eine Kollision Berger gegen Senna. Beide wussten, dass es nicht klappt. Berger hat nur dagegen gehalten, um zu zeigen: Mich kannst du nicht einschüchtern. Das ist psychologische Kriegsführung für die Stellung im Team im nächsten Jahr und sonst nichts.

Vettel vs. Leclerc: Unfall mit Ansage

War es ein Unfall mit Ansage?
Christian Danner: Ja, absolut. Es war logisch, dass es zwischen beiden Mal kracht. Wenn der Teamchef sagt, ihr könnt frei fahren, aber macht keinen Blödsinn, dann ist das großzügig. Der Haken an der Geschichte ist Folgendes: Kein Blödsinn machen heißt, sich nicht ins Auto zu fahren. Das ist etwas, dass er nächstes Jahr nicht braucht. Jetzt ist es wurscht, alles ist entschieden. Wenn man aber um die Weltmeisterschaft fährt, darf so etwas nicht passieren. Das ist etwas, das man abstellen muss. Das kann man nicht hinnehmen. Die Frage lautet nur: Wie will Binotto das machen?

Das wäre meine nächste Frage gewesen...
Christian Danner: Das frage ich mich, seit es passiert ist. Wie will Binotto das hinbekommen? Kann man so etwas vertraglich hinbekommen? Kann man Strafen dafür aussprechen? Wie geht das?

Wie will Ferrari Leclerc & Vettel unter Kontrolle halten?

Mercedes hatte die sogenannten Rules of Engagement zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton. Funktioniert das bei Vettel und Leclerc?
Christian Danner: Bei Leclerc und Vettel funktioniert das so wie es jetzt läuft sicher nicht. Und wenn man ehrlich ist, hatte man bei Mercedes ja auch ein paar Beinahe-Kollisionen in Bahrain und Texas und ein paar richtig Kollisionen wie in Barcelona und Österreich - trotz den Rules of Engagement. Ich habe mich gefragt, wie würde ich meinen Fahrer bestrafen, wenn er so einen Blödsinn macht?

Was ist denn überhaupt eine Strafe? Eine Million? Drei Millionen? Zehn Millionen? Es müsste schon signifikant sein. Dann habe ich mir gedacht: Geld? Davon haben sie alle so viel. Vielleicht sollte man sie ein Rennen sperren. Wer Blödsinn macht, muss ein Rennen passen, für den springt dann eben ein Pascal Wehrlein oder ein Nico Hülkenberg ein. Das wäre wahrscheinlich ein probates Mittel, aber es gibt auf den ersten Blick natürlich einen Haken: Du musst erst einmal einen Schuldigen finden. Was ist, wenn einer zu 60 und der andere zu 40 Prozent schuldig ist?

Danner: Es geht nur mit radikalen Maßnahmen

Ich glaube, dass Dilemma ist nur mit radikalen Maßnahmen unter Kontrolle zu kriegen. Erstens: Wenn die beiden kollidieren - egal wer wem reinfährt - sind immer beide zu 100 Prozent schuld. Zweitens: Bei jeder teaminternen Kollision gibt es eine brutale Geldstrafe, die sofort bei der nächsten Gehaltsrate abgezogen wird. Ohne Für und Wider. Und zwar bei beiden. Drittens: Sobald die eine Garagenseite gegen die andere aufmuckt, werden von heute auf morgen die Crews getauscht - inklusive der Ingenieure.

Sollte Ferrari die Fahrerpaarung ändern?
Christian Danner: Nein, das würde ich nicht, denn Vettel und Leclerc sind zwei absolute Spitzenfahrer, die beide für Ferrari die WM gewinnen können. Allerdings nur, wenn sie unter Kontrolle gehalten werden.

Kein zwischenmenschliches Problem, aber …

Dabei erzählen sie immer, dass sie zwischenmenschlich kein Problem miteinander haben...
Christian Danner: Das glaube ich ihnen schon, dass sie kein zwischenmenschliches Problem haben. Aber auf der Strecke gibt es das zwischenfahrzeugliche Problem. Und das ist ein ziemlich dramatisches Problem. Ich glaube sofort, dass sie außerhalb des Autos kein Problem miteinander haben, aber im Auto sind sie beide Alphatiere im Quadrat. Da ist einer so schlimm wie der andere. Ja, in diesem Fall war es letztendlich Vettels Schuld, weil er rübergezogen ist. Aber der andere hätte auch nicht dagegenhalten müssen. Das war eben auch nicht klug.

2010 gab es einen ähnlichen Zwischenfall mit Vettel und Webber. Damals war es auch eher Vettels Schuld. Dr. Helmut Marko hat sich aber demonstrativ hinter ihn gestellt und ihm den Rücken gestärkt. Das kann Ferrari wohl nicht machen. Dabei ist Vettel ein Pilot, der die Rückendeckung seines Teams braucht.
Christian Danner: Helmut hat damals einfach per se festgelegt, wer schuld hatte und wer nicht. Das hat er zwischen Vettel und Webber hinbekommen, zwischen Vettel und Leclerc wird das für Binotto etwas schwieriger.

Ich glaube nicht, dass ihm das Team das Vertrauen abspricht. Es muss einfach nur für Ordnung gesorgt werden. Es ist etwas anderes, wenn ich meinen Fahrer in Frage stelle, weil er zu langsam ist. Das war, was die italienische Presse zu Beginn des Jahres gemacht hat, als Leclerc ein paar Mal schneller war. Das kam von außen. Wenn das von innen kommt, dann hast du ein Problem. Das ist bei Ferrari aber nicht so. Sie sehen in Seb einen kämpferischen, schnellen Top-Mann, der ihnen das geben kann, was sie brauchen.

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