Einen gelösten Mattia Binotto erlebte die versammelte Formel-1-Presse am Freitagabend in Sotschi. Der Ferrari-Teamchef hatte sich endlich einmal wieder schon nach den Trainings 15 Minuten Zeit genommen, um unserer schreibenden Zunft Rede und Antwort zu stehen. Ein ganz großes Thema dabei, insbesondere nach einem erneut starken Auftritt Ferraris im Training zum Russland GP, war das in Singapur eingeführte Upgrade für den SF90.

Immerhin hatten wir, hatte auch Ferrari, das Nachtrennen vor knapp eine Woche noch mit einem großen Fragezeichen verlassen. Wie groß war der Anteil des Updates an der erst sensationellen Pole, dann dem völlig überraschenden Sieg im Rennen wirklich? Teamchef Binotto selbst hatte diesen noch in Singapur geschmälert, gleich eine ganze Reihe weiterer Faktoren aufgezählt.

Ferrari nach Singapur skeptisch: Schon sehr spezifisch ...

Umso gespannter erwartet worden war der gleich ein Wochenende später anstehende Russland GP. Würde Ferrari sich jetzt auch auf einer völlig anderen Strecke beweisen? "Wir waren etwas überrascht, dass wir in der Lage waren, die Lücke so sehr zu schließen wie wir es getan haben. Singapur war besser als erwartet, aber in Singapur ist auch alles sehr spezifisch", erinnerte Ferrari-Sportdirektor Laurent Mekies selbst nach dem ersten Training in Sotschi noch.

"Hier wird es die wahre Antwort für uns geben wenn es darum geht, was die Pace von jetzt bis zum Saisonende sein wird." Ein Training weiter ist die Antwort im Grunde da. Zumindest für Teamchef Mattia Binotto steht nun fest: Das Update hat seine Klasse bewiesen.

Binotto sieht nach Russland-Training Bestätigung

"Wir waren konkurrenzfähig und das war wichtig für uns. Wir haben in Singapur mit dem neuen Aero-Paket ein fantastisches Qualifying hingelegt. Es war wichtig, hier zu bestätigten wie gut das Paket ist, also auf verschiedenen Arten von Strecken und Setups. Wir waren schnell und konkurrenzfähig, auch auf den Runs mit viel Benzin, also bin ich insgesamt ziemlich zufrieden", freut sich der gebürtige Schweizer.

Tatsächlich verblüffte Ferrari am Freitag in Sotschi. Sonst am ersten Tag des Wochenendes nie in Form - auch in Singapur noch nicht - lief es bei der Scuderia in Russland aus dem Stand. Und das nicht nur auf eine Runde, sondern - noch ungewohnter - auch auf den Longruns.

Binotto: Ferrari hat mehr hinbekommen als ein Update

Doch hier sah Binotto nie eine größere Schwachstelle. "Ich glaube nicht, dass die Rennpace je unsere Schwäche war", sagt er zu Motorsport-Magazin.com. "Auf den Strecken, auf denen wir gut waren, waren wir auch im Rennen stark. Wir sind im Qualifying etwas konkurrenzfähiger, aber das führe ich eher auf eine Stärke dort - Reifen auf eine Runde, Power - als auf eine Schwäche im Renntrimm zurück."

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Die Erleichterung, dass es nun jedoch endlich und offenbar nachhaltig zu laufen scheint, ist dem Ferrari-Anführer dennoch ins Gesicht geschrieben. "Nach Spanien war mit dem dortigen Upate unsere Performance auf Low-Downforce-Strecken ziemlich schwach", erinnert sich Binotto an harte, nicht allzu lang vergangene Zeiten. "Dann mussten wir es anpassen. Das ist aber nicht nur in Singapur passiert, sondern schon vorher. Singapur war die Summe von allem."

Ferrari-Teamchef rechnet vor: Darum ist Konzept nicht falsch

Heißt: Noch immer ist Binotto der Meinung, dass es nicht alles an diesem einen Update lag. Kein Wunder also. Aber auch kein Glück, keine Hilfe für Ferrari durch äußere Faktoren oder eine schwächelnde Konkurrenz. Sondern eine Eigenleistung. "Es ist nicht nur Aero, sondern es geht auch um ein gutes Verständnis des Autos. Darum, den richtigen Kompromiss bei Balance und Setup zu finden. Das spielt alles zusammen. Deshalb sind wir nach vorne gekommen", erklärt Binotto.

Tatsächlich hatte Ferrari gerade in Sachen Balance lange unfassbar viel herum experimentiert. Auch ein Grund, warum Sebastian Vettel über Phasen so extrem zu kämpfen hatte. Generell sei am Ferrari SF90 jedoch nichts grundlegend danebengegangen, betont Binotto. Deshalb werde Ferrari das Gesamtkonzept mit Blick auf 2020 nicht gleich wieder in die Tonne stopfen.

"Ein effizientes Auto weiterzuentwickeln ist immer wichtig, damit du dich wohlfühlst und den Speed hast. Es ist kein grundlegend falsches oder schlechtes Konzept", sagt Binotto. "Wenn wir die verpassten Gelegenheiten und Siege dieses Jahr zusammenzählen; dann sind wir nicht auf der falschen Seite der Sonne", sagt der Teamchef. Tatsächlich hätte Ferrari bei nur leicht anderem Verlauf neben Spa, Monza und Singapur auch Bahrain, Kanada, Hockenheim und vielleicht Baku gewinnen können. Das wäre fast die halbe Saison.

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Deshalb steht für Binotto fest: "Wir können recht konkurrenzfähig sein, das haben die letzten Rennen gezeigt." Viel mehr kommen wird von Ferrari nun jedoch nicht mehr. Das jetzt offenbar siegfähigere Auto denn je in der laufenden Saison muss reichen. "Ich denke zu dieser Zeit des Jahres richten wir allen unsere Aufmerksamkeit auf 2020, also denke ich nicht, dass es bis zum Saisonende noch etwas Bedeutendes geben wird", sagt Sportdirektor Mekies.

Ferrari: Fokus weiter auf 2019 - für 2020

Also keine großen Updates a la Singapur mehr, wie Binotto bestätigt: "Ich würde sagen, dass wir uns in der Fabrik jetzt wirklich hauptsächlich auf das Auto für nächstes Jahr konzentrieren. Wenn noch etwas kommt, dann wird es nicht so groß sein wie das in Singapur."

Insgesamt könne man jedoch alles für nächstes Jahr auch schon am diesjährigen Boliden versuchen. Dank stabiler Regeln kann Ferrari so bereits in freier Wildbahn wichtige Schlüssel für die kommende Saison ziehen. "Alles, was wir in diesem Jahr generell verstehen wird ein Schlüssel für nächstes Jahr. Deshalb fokussieren wir uns schon noch auf 2019. Nicht nur weil wir auf Siege aus sind, sondern auch weil wir in der kommenden Saison davon profitieren werden", erklärt Binotto.