Sebastian Vettel steht bei Ferrari vor der vielleicht größten Herausforderung seine Formel-1-Karriere. Nach einer Serien von Fehlschlägen droht Charles Leclerc ihm in Maranello den Rang abzulaufen. Für 2020 ist Vettel an die Scuderia gebunden, doch die Gerüchte über einen vorzeitigen Rücktritt halten sich hartnäckig. Inmitten all der Kritik springt dem viermaligen Weltmeister nun F1-Legende Alain Prost zur Seite.

"Ich mag Sebastian. Viele Leute kritisieren ihn, aber ich mag ihn sehr", sagt er im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Der Franzose blickt seinerseits auf vier WM-Titel in der Königsklasse zurück. In seiner 13 Saison überdauernden Karriere durchlief er die Karrierephasen beider aktueller Ferrari-Piloten.

"Das Problem ist, dass es eine ganz natürliche Situation ist. Es hat nichts mit Charles oder Sebastian zu tun", sagt er über den Machtkampf des jungen Senkrechtstarters und des Platzhirsches. Prost fand sich 1984 nach seinem Wechsel zu McLaren in der Rolle Leclercs wieder, als sich dem etablierten Niki Lauda gegenüber sah. Einige Jahre später wendete sich das Blatt. 1988 war Prost bei McLaren der Chef im Ring, als Ayrton Senna nach Woking wechselte.

Vettel vs. Leclerc: Alain Prost kennt beide Seiten

"Ich hatte gegenüber Niki und auch anderen Fahrern denselben Vorteil [wie Charles]. Und ich hatte mit Ayrton an einem gewissen Punkt meinen Nachteil", erklärt der 64-Jährige. "Das ist auch ein Generationenkonflikt." Zwischen Lauda und ihm kam es trotz der Rivalität nie zur Eskalation. Beide spielten ihre eigenen Stärken aus, ohne dem Gegner in die Parade zu fahren.

Mit Senna lief es allerdings anders. Der Brasilianer wurde auf Anhieb Weltmeister, und in der Saison 1989 herrschte zwischen ihm und Prost ein erbitterter Psychokrieg. "Es ist ganz natürlich, dass die Leute für den jungen Kerl sind und damit umzugehen ist schwierig. Besonders, wenn du in einem Team bist, das um Siege fährt", so Prost, der sich damals vor allem von Motorenlieferant Honda benachteiligt fühlte.

Senna war damals mit den Japanern von Lotus zu McLaren gewechselt und galt seinen Erfolgen mit dem britischen Traditionsrenstall als der Shooting Star der Formel 1. In einer ähnlichen Phase seiner Karriere befindet sich auch Charles Leclerc, der wie Max Verstappen als zukünftiger Weltmeister gilt.

Rote Krise: Demontiert Sebastian Vettel sein F1-Vermächtnis? (24:02 Min.)

Prost huldigt Leclerc: Monza-Sieg außergewöhnlich

"Er war von Anfang an der junge Wilde und ich denke, dass er in Monza sein bisher bestes Rennen in der Formel 1 gefahren hat", so Prost, der spätestens seit dem Rennen in Italien ebenfalls zu den Bewunderern des Ferrari-Hoffnungsträgers zählt. Prost trat in den Jahren 1990 und 1991 selbst für Ferrari an und weiß, welch hohe Erwartungshaltung auf den Piloten der Scuderia lastet.

"Wenn du dir seine Performance anschaust und wie er das Rennen gemanagt hat. Der Druck den du als Ferrari-Fahrer in Monza hast, wenn du das Rennen anführst, mit Lewis und Valtteri im Nacken, das musst du spüren. Es ist sehr schwierig, diesen Druck nicht zu fühlen. Und er ist erst 21 Jahre alt. Wir alle wussten, dass er gut ist. Aber das war außergewöhnlich."

Prost bezwang Senna mit stoischer Ruhe: Du musst Geduld haben

Für Sebastian Vettel ist das Ausnahmetalent aus Monaco die größte Herausforderung, mit der er seit dem Wechsel zu Ferrari konfrontiert ist. Prost erlebte diese Auseinandersetzung mit Senna. "Es ist wirklich hart, was da gerade passiert. Aber du musst akzeptieren, dass die Dinge manchmal nicht laufen und du nicht weißt, warum. Selbst wenn es ganz kleine Dinge sind", sagt Prost.

Prost entschied sich McLaren zum Ende der Saison 1989 in Richtung Ferrari zu verlassen - aber nicht ohne einen dritten WM-Titel im Gepäck. Er bezwang Senna. "Manchmal braucht es Zeit und vielleicht findest du dann den Schlüssel oder etwas anderes", sagt er. "Ein oder zwei gute Resultate können dich in eine ganz andere Position bringen. Du musst Geduld haben. Das ist eine der schwierigen Situationen, die du in deiner Karriere an irgendeinem Punkt einmal überstehen musst."

Zwischen Ayrton Senna und Alain Prost herrschte eine erbitterte Rivalität, Foto: Sutton
Zwischen Ayrton Senna und Alain Prost herrschte eine erbitterte Rivalität, Foto: Sutton

Prost fühlt mit Vettel: Will ihn so nicht sehen

Vettel befindet sich seit Hockenheim 2018 an diesem Punkt. Doch auch nach einer über ein Jahr andauernden Pleiteserie zählt er für Prost weiter zu den besten Piloten im Feld. "Wenn du dir die großen Fahrer anschaust, die großen Champions, dann haben sie alle Fehler gemacht. Wir sind alle nur Menschen. Manchmal hast du eine Phase, wo es nicht klappt."

Ob Vettel die Wende schafft, muss sich noch zeigen. Ein Leclerc, der sich gerade erst in Monza sein erstes kleines Ferrari-Denkmal gesetzt hat, ist zweifelsohne eine harte Nuss. "Ich bin mir sicher, dass er zurückkommen wird", glaubt Prost, dass Vettel die Kurve noch einmal kriegen wird. "Aber es ist trotzdem irgendwie schade, denn ich will ihn so nicht sehen. Er verdient etwas Besseres."

Vettel-Rücktritt wäre Verlust für Ferrari

Wichtig sei für den Fahrer, dass Fans, Experten sowie seine Vertrauten innerhalb des Teams ihm in dieser schwierigen Situation Rückhalt geben und sich nicht nur dem Stallgefährten zuwenden, oder gar nachtreten. "Ich will nicht noch mehr Druck auf Sebastian ausüben. Alle müssen ihm helfen, innerhalb des Teams und auch außerhalb. Denn es ist sehr hart."

Vettel zu vergraulen sieht Prost auch für die Scuderia als ein Risiko. Ein Rücktritt wäre seiner Ansicht nach für Fahrer und Team die schlechteste Lösung: "Ich weiß nicht was er vorhat, aber ich denke, er sollte bleiben - und Ferrari sollte darüber glücklich sein. Sie haben zwei fantastische Fahrer. Er hat viel Erfahrung, auch wenn er ein paar Fehler gemacht hat."