Sebastian Vettels Traum, bei Ferrari die gigantischen Fußstapfen Michael Schumachers zu füllen, droht sich zurzeit in Luft aufzulösen. Nach vier Jahren Anlauf auf den WM-Titel mit der Scuderia, vergeblich, läuft dem viermaligen Formel-1-Weltmeister gerade sein 2019 neuer Teamkollege Charles Leclerc den Rang ab.

Zuletzt gewann der Monegasse sieben Mal in Folge das Qualifying-Duell, siegte zuletzt erst in Spa, dann auch noch beim Ferrari-Heimrennen in Monza. Vor allem damit hat er Vettel nicht nur in der WM-Wertung überflügelt, sondern auch viele Sympathien - noch mehr also ohnehin schon - gewonnen.

Gerüchte über Gerüchte: Hört Sebastian Vettel 2019 auf?

Umso schlimmer für Vettel: Ausgerechnet zum selben Zeitpunkt erwischte er in Monza ein rabenschwarzes Wochenende mit Dreher, Strafe und Nullnummer. "Die Gunst des Teams, die Medien, alles wird jetzt in die Richtung von Charles laufen. Es ist echt schwer, da wieder herauszukommen", resümierte deshalb Jacques Villeneuve bei Motorsport-Magazin.com.

Im Fahrerlager herrschte schon zuvor eine besorgte Stimmung, geht es um die Zukunft des Heppenheimers. Nun nur noch mehr. Steht Sebastian Vettel am Scheideweg seiner Karriere? Erfüllt er seinen für 2020 gültigen Ferrari-Vertrag überhaupt noch? Und wenn, in welcher Form? Findet Vettel noch einmal zurück zu alter Stärke und macht Leclerc das Leben wieder schwerer?

Ross Brawn: Vettel hatte wenig zu lächeln

Ein Thema, dem auch Liberty Medias Sportdirektor Ross Brawn - einst Ferrari-Renndirektor - in seiner Nachbetrachtung zum Wochenende viel Beachtung schenkt. Nach Lobeshymnen auf Leclercs Heimsieg vor den Tifosi samt Schumacher-Vergleichen ergänzt der Brite: "Nur ein Mann in der Ferrari-Garage hatte am Sonntag wenig zu lächeln - Sebastian Vettel. Der vierfache Weltmeister hatte ein sehr schwieriges Wochenende in Monza."

Rote Krise: Demontiert Sebastian Vettel sein F1-Vermächtnis? (24:02 Min.)

Brawn weiter: "Im Qualifying hatte er das Gefühl, am Ende des Q3 von seinem Teamkollegen im Stich gelassen worden zu sein, sodass er nicht in der Lage war, einen Versuch auf die Pole zu unternehmen. Aber was im Rennen passierte, lag einzig und allein an ihm. Sebastian hat in Runde sieben zwei Fehler gemacht, indem er sich drehte und dann Stroll traf."

Brawn: Leclerc-Glanz lässt Vettel-Fehler noch schlimmer wirken

Und das eben genau parallel zu strahlenden Momenten seines Teamkollegen. "Angesichts von Leclercs Doppelsieg in Spa und Monza sehen die Fehler nur noch schlimmer aus", so Brawn. "Es ist eine nicht zu verneinende Tatsache, dass dein erster Rivale immer dein Teamkollege ist, egal wer der Fahrer ist und wie gut die Dinge im Team stehen."

Erneut folgt ein schon seit Monate beliebter Vergleich: "In gewissem Maß erlebt Sebastian das, was er in seinem letzten Jahr bei Red Bull fühlte, als er sich 2014 Daniel Ricciardo ausgesetzt sah, einem Youngster, der eine unglaubliche Pace vorlegt."

Brawn: Vettel einer der ganz Großen

Sein eigenes Denkmal beschädigt hat sich Vettel für Brawn deshalb jedoch längst nicht. "Vettel ist ganz klar einer der ganz Großen unseres Sports - vier Titel gewinnt man nicht ohne das zu sein", erinnert Brawn. Doch um wieder die beste Seite des Sebastian Vettel zu sehen, bräuchte es nun dringend Hilfe von Ferrari.

"In dieser schwierigen Zeit braucht er unbedingt die Unterstützung des Teams, um das Selbstvertrauen wiederzugewinnen, das ihm derzeit zu fehlen scheint", analysiert Brawn. Und fordert: "Das muss für Mattia Binotto in den kommenden Wochen, neben der Autoentwicklung, eine Priorität sein." Das werde nicht einfach. "Aber es ist vor allem für 2020 von essentieller Bedeutung", sagt Brawn.

Brawn: Vettel aufbauen für 2020 entscheidend für Ferrari

Offen lässt Brawn nur, was genau er mit dieser letzten Aussage meint. Eine hohe Performance beider Ferrari-Fahrer? Unbedingt nötig, will man im Kampf um die Konstrukteursweltmeisterschaft gegen Mercedes bestehen. Oder die viel grundlegendere Frage, ob das überhaupt noch mit Sebastian Vettel geschehen wird?