75 Prozent der gesamten Runde stehen die Formel-1-Piloten in Monza voll auf dem Gas. Das ist mehr als auf jeder anderen Strecke. Im Saisondurchschnitt sind es nur rund 60 Prozent. Das Autodromo Nazionale Monza ist der Highspeed-Tempel der Formel 1. Der 5,793 Kilometer lange Kurs ist der Ausreißer im Rennkalender und hat deshalb gänzlich andere Anforderungen an die Technik.

Ferrari hat sich vor dem Heimspiel die Zeit genommen, um uns die Besonderheiten eines Monza-Pakets zu erklären und vor allem auch den Entstehungsprozess erläutert. In der fast paranoiden Technikwelt der Formel 1 keine Selbstverständlichkeit.

"Es beginnt mit Rundenzeitsimulationen", erklärt Sportdirektor Laurent Mekies. Die Ingenieure schmeißen verschiedene bestehende Technik-Pakete in die Simulation. Dabei errechnet ein Simulationsprogramm die theoretische Rundenzeit mit dem jeweiligen Paket. In einem Graphen sind schließlich Topspeed des jeweiligen Pakets und ihre Rundenzeiten angetragen.

Dort kristallisiert sich schnell heraus, was ohnehin logisch ist: Die Monaco-Flügel liefern weder bei Topspeed, noch bei Rundenzeit gute Ergebnisse. Das Baku-Paket passt schon deutlich besser. Durch die ewig lange Vollgas-Passage am Ende des Stadtkurses und die tiefe Lage der Stadt benutzen die Teams hier schon sehr kleine Flügel. Doch für Monza ist das noch immer nicht genug.

Nirgends sind die Flügel so flach wie in Monza, Foto: LAT Images
Nirgends sind die Flügel so flach wie in Monza, Foto: LAT Images

Deshalb gehen die Simulationen weiter. An einem gewissen Punkt steigt zwar der Topspeed weiter, die Rundenzeit sinkt aber nicht weiter. Genau an dieser Stelle befindet sich der beste Kompromiss aus Luftwiderstand und Abtrieb für Monza. Beide Werte liegen rund zehn Prozent unter dem Saisonmittel.

Ist der Breakeven-Punkt gefunden, muss das Paket ausgearbeitet werden. "Im ersten Schritt nehmen wir den ineffizienten Abtrieb weg", erklärt Aerodynamikchef Enrico Cardile. Ineffizient bedeutet, dass der generierte Abtrieb mit viel Luftwiderstand erkauft wird. Hier kommt der Heckflügel ins Spiel: Er generiert viel Abtrieb, ist aber gleichzeitig auch für viel Luftwiderstand verantwortlich. Die Ingenieure trimmen nicht nur die Hauptblätter, sondern auch die Endplatten.

Im zweiten Schritt überprüft Cardile mit seinem Team, ob die Funktionalität des Diffusors durch den neuen Heckflügel beeinträchtigt wird. Der Diffusor soll bestmöglich funktionieren, er bringt den effizientesten Abtrieb. Allerdings beeinflusst der Heckflügel auch den Diffusor. Vor allem in schnellen Kurven mit niedriger Bodenfreiheit hinten kann das gefährlich werden.

Funktioniert der Diffusor trotz des Low-Downforce Heckflügels noch richtig?, Foto: LAT Images
Funktioniert der Diffusor trotz des Low-Downforce Heckflügels noch richtig?, Foto: LAT Images

Spielt der Diffusor noch mit, muss das Auto aerodynamisch wieder ausbalanciert werden. Wer hinten Abtrieb wegnimmt, muss das vorne ausgleichen. Also wird auch der Frontflügel getrimmt. Das ist nicht weniger kritisch. "Der Frontflügel ist das wichtigste Teil und beeinflusst alles dahinter", so Cardile.

Ist die Aerodynamikabteilung fertig, geht es in den Simulator. Das Paket muss ganzheitlich auf seine Funktionalität geprüft werden. Mit der Aerodynamik ist es aber noch nicht getan. Monza ist die Motorenstrecke Nummer eins. Rein auf die Rundenzeit bezogen bringt Power in Spa zwar etwas mehr, das allerdings liegt nur an der Länge der Runde. In Monza bringen 10 PS rund 0,2 Sekunden pro Runde.

Abgesehen von den üblichen Anpassungen beim Energiemanagement, die für jede Strecke individuell vorgenommen werden müssen, gibt es am Motor keine Monza-Besonderheiten. Weil nur drei Motoren für die gesamte Saison erlaubt sind, muss der Monza-Motor auch bei anderen Rennen eingesetzt werden.

Einzige Besonderheit: Aufgrund des besonders hohen Leistungs-Effekts bringt Ferrari beim Heimspiel das letzte Upgrade der Saison. Die neue Ausbaustufe bringt zusammen mit dem Vorteil eines frischen Motors einen kleinen Vorteil. Die meisten anderen Teams nutzen den letzten Motorenjoker in diesem Jahr schon in Spa.

In Mexiko fahren die Autos mit 10 Prozent mehr Abtrieb trotzdem schneller auf der Geraden, Foto: Sutton
In Mexiko fahren die Autos mit 10 Prozent mehr Abtrieb trotzdem schneller auf der Geraden, Foto: Sutton

Seit 2014 müssen die Teams mit einer Getriebeübersetzung durch die gesamte Saison kommen. Heißt, der achte Gang muss für den Saisontopspeed ausgelegt sein. Seit Baku und Mexiko im Kalender sind, ist Monza hier aber keine Besonderheit mehr, weil die Topspeeds dort auf ähnlichem Niveau oder sogar höher sind. In Mexiko wir die Geschwindigkeit sogar mit den größten Flügeln erzielt, weil die dünne Luft auf 2.200 Metern massiv Abtrieb kostet.

Das geringe Abtriebsniveau in Monza hat noch andere Konsequenzen: Die Autos werden extrem instabil beim Bremsen. "In den ersten Runden sagen die Piloten immer, es sei etwas kaputt", erzählt Mekies. Direkt nach Start und Ziel befindet sich die längste Bremszone der gesamten Saison. Die Boliden verzögern von 360 auf 70 Sachen. 120 Meter benötigen sie dafür, etwa 2,5 Sekunden dauert der Anflug auf die erste Schikane. Große Änderungen am Bremssystem gibt es aber nicht. Auf den langen Geraden werden die Karbonscheiben ausreichend gekühlt.

Beim Fahrwerk hat sich Monza über die Jahre stark verändert. Ursprünglich gab es in Monza extrem hohe Kerbs in den Schikanen. Um die gut mitnehmen zu können, war ein weiches Fahrwerk nötig. Gleichzeitig gibt es mit Ascari eine Highspeed-Passage, in der das Auto möglichst hart gefedert sein muss. Weil die Kerbs aus Sicherheitsgründen inzwischen deutlich flacher sind, ist der Kompromiss nicht mehr so groß. Einst entwickelten die Ingenieure extra Aufhängungen für Monza, das ist inzwischen nicht mehr so.

Trotzdem gibt es auch am Fahrwerkssetup Dinge zu beachten. Interessant ist der Einfluss der hinteren Bodenfreiheit. Die Teams setzen an der Hinterachse auf mehr Bodenfreiheit als nötig, um das Auto anzustellen. Dadurch generiert der Unterboden Abtrieb.

Die Monza-Kerbs waren einst gefürchtet, heute sind sie nicht mehr besonders, Foto: Sutton
Die Monza-Kerbs waren einst gefürchtet, heute sind sie nicht mehr besonders, Foto: Sutton

Gleichzeitig erhöht sich mit der Anstellung aber auch der Luftwiderstand. Fünf Millimeter Fahrwerkshöhe kosten etwa einen Stundenkilometer Topspeed. Damit ist diese Methode der Abtriebsgewinnung noch immer sehr effizient, trotzdem setzen die Teams in Monza lieber auf etwas weniger Anstellung. Ein Großteil der Anstellung ist aber vom Fahrzeugkonzept vorgegeben. Die restliche Aerodynamik geht mit der Anstellung miteinander einher.

Und auch sportlich gibt es in Monza etwas Spezielles zu beachten: Der Windschatten-Effekt ist auf keiner anderen Strecke ähnlich groß. "Um ehrlich zu sein wissen wir selbst nicht genau, warum er hier so extrem ist", gesteht Mekies. Schon acht bis zehn Sekunden hinter einem anderen Auto können die Ingenieure einen Abtriebsverlust feststellen.

Dabei ist die Dirty Air nicht stärker oder schwächer als andernorts. Der Heckflügel wirft die Luft zwar nicht ganz so weit nach oben (upwash), Bargeboards und Co sorgen aber wie gewöhnlich dafür, dass die eigene Aerodynamik nicht von Reifenturbulenzen zerstört wird. Sie werfen die Luft um das eigene Auto herum (outwash).

Für die Teams heißt das, Windschattenfahrten müssen perfekt ausgeübt werden. Fahren die Piloten zu dicht hintereinander, behindern sie sich womöglich. Bei zu großem Abstand verschenkt man Windschatten. Theoretisch - wenn einer der beiden Fahrer komplett geopfert wird - kann der Windschatten auf eine Runde etwa eine halbe Sekunde bringen.