Mercedes hat neue Details zu den großen Kühlungsproblemen an den Boliden von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas beim vergangenen Formel-1-Rennen in Spielberg geliefert.

Den Österreich GP hatten die Mercedes-Piloten fast vollständig im Schongang absolvieren müssen, rund 400 Meter der nur vier Kilometer langen Strecke Lift&Coast betreiben müssen. Überrascht von den Problemen zeigte sich bei Mercedes niemand, wohl aber von deren Ausmaß.

Mercedes wusste von seiner Achillesferse

Toto Wolff sprach sogar von einer Achillesferse, die Mercedes wissentlich bereits seit Saisonbeginn mit sich herumschleppe. Daran gelte es nun zu arbeiten. Das habe Österreich klar vor Augen geführt.

Immerhin drohen mit Hockenheim und Ungarn schon bald weitere potentielle Hitzerennen. Am Horizont sind Mexiko und Brasilien in Sicht, die wegen ihrer Höhenlage und der somit dünneren Luft die Kühlung erschweren, somit ebenfalls zu den Risiko-Rennen zählen.

Ingenieur erklärt: Mercedes zu optimistisch mit der Kühlung

Doch wenn es Mercedes bekannt war: Warum reagierte der Weltmeister dann bislang nicht? Oder reagierte, fand aber - ziemlich Mercedes-untypisch - offensichtlich keine Lösung? Genau das erklärt nun Trackside-Ingenieur Andrew Shovlin in der neuen Ausgabe von 'Pure Pitwall', einem Youtube-Format des Teams zur Nachbesprechung der Rennwochenenden.

Diese Erklärung klingt alles andere als nach der Möglichkeit einer schnellen und wirksamen Lösung. "Wir arbeiten an Systemen, haben schon vor Österreich daran gearbeitet, um zu versuchen, dieses Problem zu verbessern und wir sollten in einer besseren Position sein", sagt Shovlin.

Extremes Packaging bringt Performance, aber beißt bei Hitze

"Aber es liegt wirklich alles am fundamentalen Design des Autos, bei dem wir im Streben nach einem sehr, sehr engen Packaging da gelandet sind, dass wir insgesamt zu wenig Kühlung haben."

Heißt: Das, was den Mercedes so stark macht, beißt ihn bei großer Hitze. "Das Auto hat grundlegend nicht ausreichend große Kühler. Da waren wir etwas optimistisch, wie viel wir aus dem Kühlsystem holen können", schildert Shovlin. "Es hat weniger geliefert als wir zu erreichen gehofft hatten und hat bedeutet, dass wir dieses Problem mitnehmen."

Mercedes: Mehr Kühlung als in Spielberg geht nicht mehr

Allerdings geht ein Formel-1-Rennstall bei solchen Entscheidungen über die generelle Richtung stets ganz pragmatisch vor. Über eine ganze Saison hinweg bringt eine starke Performance durch ein gewagteres Konzept mehr als vereinzelte Wochenenden des Leidens wie in Spielberg kosten. Zumal Mercedes - anders als 2018 - auch noch ein ordentliches Ergebnis einfuhr. P3 und P5 lassen sich als gelungene Schadenbegrenzung bezeichnen.

Enges Kleid: Der Mercedes W10 ist hinten extrem schlank, Foto: LAT Images
Enges Kleid: Der Mercedes W10 ist hinten extrem schlank, Foto: LAT Images

Doch ändert das nichts daran, dass die Formel 1 sich - im Sinne der Spannung - offenbar auf weitere Mercedes-Durchhänger freuen darf. In den sehr heißen Rennen wird das Team mit hoher Wahrscheinlich weiter mehr zu kämpfen haben. "Hauptsächlich die Power Unit kühl genug zu halten, sodass wir sie nicht beschädigen", sagt Shovlin.

Mehr als in Spielberg machen könne Mercedes nicht mehr. "Du kannst die Kühlung, die du aus dem Auto herausholen kannst, steigen, indem du die Öffnungen des Bodyworks weiter aufmachst", sagt Shovlin zwar.

Doch in Spielberg sei mehr eben nicht möglich gewesen, bestätigt der Top-Ingenieur Wolffs Worte nach dem Rennen. Da hatte der Teamchef mit einer Portion Sarkasmus gemeint, mehr sei nur noch gegangen, hätte man die Verkleidung komplett entfernt.

Keine Alternative zu extremem Lift&Coast

"In Österreich hatte es 35 Grad. Das bringt uns ans Ende der Fahnenstange dessen, was wir allein durch das Öffnen des Autos erreichen können. Wir waren also am Limit und wenn du an diesen Punkt gelangst, bist du in denen Möglichkeiten wirklich eingeschränkt", ergänzt nun Shovlin.

So habe Mercedes keine andere Wahl mehr gehabt, als die Fahrer extremes Lift & Coast betreiben zu lassen, also lange vor dem eigentlichen Bremspunkt vom Gas gehen zu lassen. Eine Fahrweise, die keinem Fahrer schmeckt. Dementsprechend frustriert waren Hamilton und Bottas. Zweikämpfe lassen sich so genauso wenig führen wie ordentlich attackieren.

"Deshalb waren sie im Hinblick auf die Performance so eingeschränkt", sagt Shovlin. Die einzige andere Möglichkeit wäre nur noch schlimmer gewesen. "Du kannst auch den Motor etwas herunterdrehen, aber dann hast du weniger Power und bis auf den Geraden langsamer", so Shovlin. "Es war also definitiv eine signifikante Einschränkung."

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