Ferrari war in der Formel-1-Saison 2019 gegen Mercedes bisweilen zumeist chancenlos. Nach Barcelona gestand Mattia Binotto, dass sich die Scuderia vom bisher beim SF90 verfolgten Konzept abwenden könnte. In Monaco rudert der Teamchef zurück. Maranello hat den Glauben an die eigene Philosophie noch nicht verloren. Entwickeln statt kopieren um Mercedes zu schlagen.

Bei den Barcelona-Testfahrten erlangte Ferrari wichtige Erkenntnisse, was die eigenen Defizite gegenüber der Konkurrenz anbelangt. Vor allem der Frontflügel unterscheidet sich seit jeher grundlegend vom Design des Erzrivalen. "Wir arbeiten in Maranello bereits daran, neue Konzepte zu evaluieren", gab Binotto zu. Anderthalb Wochen später hört sich das etwas anders an.

"Ich denke nicht, dass wir unseren Frontflügel ändern müssen", bekennt sich der Teamchef nun wieder zum ursprünglichen Ansatz. "Es ist ganz einfach ein anderes Konzept als das von Mercedes. Aber das bedeutet nicht, dass wir heute bereits das Maximum aus diesem Konzept herausgeholt haben. Wir sehen nicht, dass wir das Konzept des Flügels ändern werden."

Und nicht nur beim Frontflügel, auch bei der vorderen Radaufhängung soll das aktuelle Konzept zunächst beibehalten werden. "Ich denke, wir haben wonach wir suchen", so Binotto selbstsicher. "Ich glaube nicht, dass bei der Aufhängung etwas grundlegend verkehrt ist.

Mercedes-Konzept am Ferrari? Hat Maranello längst abgehakt

Das Weltmeister-Team zu kopieren ist für Ferrari keine Option. Denn Mercedes hat mit seinem Frontflügel das Rad nicht neu erfunden. In Maranello waren die Ideen aus Brackley schon vor langer Zeit auf dem Prüfstand . "Der Mercedes-Stil wurde bereits zu Beginn unseres Projektes durchgespielt. Diesen Vergleich haben wir am Anfang zur Richtung der Entwicklung angestellt", sagt Binotto.

Das schließt allerdings nicht aus, dass das Team dem Mercedes-Konzept im weiteren Saisonverlauf nochmal eine Chance geben könnte. "Während der Saison versuchst du immer zu überprüfen was du gemacht hast, um zu sehen ob es die richtige Entscheidung war", lässt Binotto die Hintertür für einen radikalen Einschnitt ins Design offen.

"Wir müssen das Auto weiterentwickeln und verbessern, also wird es vielleicht Änderungen an der Vorderradaufhängung geben, genauso wie an der Aerodynamik, oder der Kühlung." Ferrari will zunächst aber weiter versuchen, die Probleme mit dem Reifenmanagement ohne einen solchen in den Griff zu bekommen.

Formel 1 2019: 5 Brennpunkte vor dem Monaco GP (06:08 Min.)

Ferrari auf Kriegsfuß mit Pirelli: Formel-1-Reifen 2019 ganz anders

Denn viel mehr als ein vielleicht noch nicht vollständig ausgeschöpftes Fahrzeugkonzept sollen es die Pirelli-Reifen sein, die Sebastian Vettel und Charles Leclerc das Leben schwer machen. Ferrari wurde von der Reifengeneration 2019 offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. "Die Reifen sind diese Saison ganz anders als letzte Saison", klagt der Teamchef, ohne dabei dem Reifenhersteller den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen. "Das ist keine Anschuldigung, es ist nur ein Fakt."

Was vergangenes Jahr noch Ferraris Stärke war, ist nun zur Achillesferse geworden. "Der größte Unterschied ist, dass wir letztes Jahr beim Aufwärmen der Reifen sehr gut waren und wir voll darauf fokussiert waren, sie zu kühlen so gut wir konnten um sie im Arbeitsfenster zu halten. Denn je niedriger die Temperatur war, desto besser war der Grip."

"Die Reifen in dieser Saison sind was das angeht ganz anders. Das Aufwärmen ist viel schwieriger. Das Fenster oder die Zieltemperatur in der du den besten Grip von den Reifen bekommst, um das zu erreichen musst du die Reifen aufwärmen statt sie abzukühlen."

Etwas, das in der Formel 1 auf zwei Arten erreicht werden kann. Zum einen kann die Hitze in den Bremsen über die Felge in den Reifen geleitet werden, um die Temperatur zu erhöhen. Zum anderen hängt die Reifentemperatur von dem an der Vorderachse generierten Anpressdruck ab. Je mehr Downforce der Frontflügel erzeugt, desto mehr Energie wird in die Reifen geleitet.

Ferrari-Stärke Topspeed zugleich die große Schwäche?

Die Tatsache, dass der SF90 ein wahres Topspeed-Monster ist, spricht dafür, dass die Ingenieure das Downforce-Level an der Vorderachse in Bezug auf die 2019er Reifengeneration unterschätzt haben. Ein Umstand, den auch Binotto nicht abstreiten kann: "Wir haben ein Auto, dass auf den Geraden ziemlich effizient ist. Aber das bedeutet nicht, dass wir das Auto mit dem höchsten Anpressdruck haben."

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Ferrari unter Umständen seine große Stärke opfern muss, um beim Auto die richtige Balance zu finden. "Es ist ein Zusammenspiel zwischen mechanischem und aerodynamischem Grip. Es ist eine Balance", so Binotto. "Du kannst dein Auto so abstimmen, dass es im Highspeed-Bereich schnell ist, dafür fehlt dir aber Balance und Performance im Lowspeed-Bereich."

"Wenn ein Auto gut ausbalanciert ist, hast du sowohl im Medium- als auch im High- und Lowspeed-Bereich Performance. Was uns fehlt, ist das Optimum in all diesen Bereichen." Etwas, das Mercedes in Perfektion zu beherrschen scheint. Letztendlich war Bahrain das einzige Rennwochenende, an dem die Silberpfeile nicht aus eigener Kraft siegfähig waren. Binotto erkennt neidlos an, dass der Rivale aus den durch die Reifen gegebenen Voraussetzungen mehr gemacht hat.

Ferrari-Teamchef: Haben noch Zeit uns zu verbessern

"Die Ursachen dafür sind alle technischer Natur und liegen in unserer Hand, denn du musst die Performance der Reifen optimieren. Die Reifen sind für alle Teams die gleichen, also kommt es am Ende darauf an, wie jedes einzelne Team sein Auto entwickelt um das gesamte Paket zu optimieren."

Bei noch 16 ausstehenden Grands Prix sieht er sowohl im aktuellen Konzept als auch in möglichen Kursänderungen einen Weg. "Wir haben noch Zeit, uns zu verbessern. Das Auto und das Konzept zu verbessern dauert vielleicht eine Weile. Und ein neues Aero-Konzept dauert ohne Zweifel ein paar Wochen. Aber bis dahin müssen wir das Paket optimieren, das wir haben. Und da ist noch Luft nach oben."

Gerade die Performance in Bahrain und auch die deutlich stärkere Vorstellung in Baku machen Binotto Mut, dass die Scuderia auch ohne einen großen Durchbruch in der Weiterentwicklung noch einmal ganz vorne angreifen kann: "Wenn du auf die ersten fünf Rennen seit Saisonbeginn schaust, waren wir in einigen sehr stark. Ich denke, es wird weitere Rennen geben, in denen wir mit unserem aktuellen Paket stark sein werden. Wir kämpfen von Tag zu Tag und von Rennen zu Rennen."