Charles Leclerc gilt seit dem Tag seiner Vertragsunterzeichung bei Ferrari als zukünftiger Formel-1-Weltmeister. In den ersten Rennen 2019 bestätigte der Monegasse diese Vorschusslorbeeren mit beeindruckenden Leistungen. Neben seiner starken Pace sticht der 21-Jährige aber vor allem mit seiner bescheidenen Art hervor.

Selten hat sich ein F1-Pilot derart scharf selbst kritisiert. Gerade Profisportler neigen eher dazu, einen Schutzpanzer aufzufahren der sie nach schweren Fehlern oder Niederlagen mental schützt. Eigenverschulden eingestehen oder sich gar selbst zu kritisieren ist in diesem Programm eher nicht vorgesehen. Leclerc gibt sich gänzlich anders. Doch ist es auch bei ihm am Ende nur ein Schutzmechanismus nach außen, um sich vor Kritik zu schützen?

"Das stimmt nicht", sagt der Youngster im Interview mit dem Monaco Matin. Nach seinem Unfall im Q2 von Baku hatte sich Leclerc selbst als dumm und nutzlos gegeißelt. Worte, die in diesem Moment schlichtweg ein ehrlich gemeinter Ausdruck von Frustration waren. "Es war ganz spontan, eine natürliche Reaktion. Ich wollte damit keine Nachricht an irgendjemanden schicken", erklärt er.

Charles Leclerc lässt Baku-Unfall hinter sich

Während andere Piloten nach ihren Fehlern lieber alleine reflektieren und die Lehren mit sich selbst oder ihrem engsten Vertrautenkreis ausmachen, geht Leclerc einen anderen Weg:"Diese Worte kommen tatsächlich sofort aus mir heraus, denn ich bin mir gegenüber sehr fordernd - seit meinem Debüt im Formelsport, oder sogar schon damals im Kartsport. Ich will aus meinen Fehlern lernen und sie nicht wiederholen."

Der Fehler in Baku war zweifelsohne seiner geringen Erfahrung in der Königsklasse geschuldet. Dass Leclerc auf Anhieb mit dem viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel auf Augenhöhe fährt, lässt schnell vergessen, dass er gerade einmal eine volle Saison auf dem Buckel hat.

"Aserbaidschan lief nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte", sagt er. "Am Samstag habe ich im Qualifying einen Fehler gemacht, und das hat für das Rennen die Situation geändert. So etwas kann passieren, das wissen wir. Hinterher ist es immer besser, das hinter sich zu lassen und nach vorne zu schauen."

Nach Formel 1 in Baku: Wie gut ist Ferrari wirklich? (18:45 Min.)

Leclerc glaubt weiter an WM-Chance für Ferrari

In Baku war er nach Bahrain zum zweiten Mal in der Saison klar schneller als Vettel - ausgerechnet wieder an einem Wochenende, an dem Ferrari stärker als Mercedes schien. Nachdem Leclerc in der Wüste durch einen Defekt um seinen ersten Grand-Prix-Sieg gebracht wurde, ist ihm bewusst, dass er sich in Baku mit dem Unfall selbst eine große Chance nahm.

"In Baku hatten wir ein gutes Blatt, aber am Samstag fiel wegen mir alles ins Wasser", räumt Leclerc ein, der aktuell 40 Punkte hinter WM-Leader Bottas liegt. In der Weltmeisterschaft ist Mercedes mit vier Doppelsiegen in Serie bereits weit enteilt. Etwas, das nach den Wintertestfahrten in Barcelona so niemand vorhergesehen hätte. Für Ferrari zieht sich die Schlinge mit jeder Niederlage ein Stückchen weiter zu.

"Sie haben einen Durchbruch geschafft. Okay, einen großen Durchbruch. Aber es sind immer noch 17 Sätze zu spielen", versucht Leclerc es mit Tennis-Metaphern. Er beschwört in Anbetracht der noch langen Saison die eigenen Chancen: "Ich glaube, das alles möglich ist - und das Team auch, zum Glück!"

"Der erste Sieg wird die Moral steigern, das ist sicher", weiß Leclerc, wie wichtig ein Erfolgserlebnis nicht nur für ihn, sondern für alle Mitarbeiter der Scuderia ist. Was ihn angeht, macht er sich keinen Druck den in Bahrain entwischten Triumph zu erzwingen: "Ich bin nicht besessen davon und denke nicht ununterbrochen darüber nach. Mir geht es um die Performance des Autos und von mir. Wenn wir weiter gut arbeiten, wird der Erfolg bald kommen."

Leclerc bleibt vor Barcelona realistisch: Wintertests unbedeutend

Nach dem Ergebnis der Wintertestfahrten würde sich für diesen Befreiungsschlag wohl kaum eine Rennstrecke besser anbieten als der Circuit de Barcelona-Catalunya. "Ich messe den Resultaten der Wintertests nicht zu viel Bedeutung bei", wiegelt Leclerc ab. "Mercedes hat sich dort etwas kleingehalten."

Gleichzeitig glaubt er, dass das eigene Paket nach zwei starken Wochenenden in Bahrain und Baku jederzeit für den Konter gegen Mercedes in Position gebracht werden kann. "Ich denke, auf bestimmten Rennstrecken benötigt das Auto sehr präzise Anpassungen, um effektiv zu sein. Wenn du das Arbeitsfenster [der Reifen] nicht exakt triffst, verlierst du Zeit. Aber das Potential ist da", so Leclerc.