Vier Doppelsiege in vier Rennen. Mercedes ist 2019 der beste Saisonstart der gesamten Formel-1-Geschichte gelungen. Auch, weil Ferrari mindestens zwei Mal bei Weitem nicht sein volles Potential ausschöpfte. Die Resultate und den WM-Stand interessiert das jedoch nicht. Auf dem Papier steht Mercedes kugelsicher da. Auch subjektiv mag der Eindruck entstehen, dass bei den Silberpfeilen einfach alles erheblich kontrollierter abläuft als bei der Konkurrenz aus Maranello.

Und doch: Zumindest eine potentielle Gefahr, ein feiner Haarriss, scheint sich spätestens seit dem Aserbaidschan GP anzudeuten: das teaminterne Duell. Durch seinen zweiten Saisonsieg eroberte Valtteri Bottas in Baku die WM-Führung von Lewis Hamilton zurück. "Der WM-Stand sieht jetzt wieder aus wie er sollte", funkte der Finne sofort nach Zieleinlauf. Damit bekräftigte der Finne den Eindruck, den er bereits seit Jahresbeginn erweckt. 2019 ist Bottas rebooted, gieriger denn je auf den Titel und will mehr sein als der Steigbügelhalter seines britischen Teamkollegen.

Lewis Hamilton: Nehm' ich nicht locker

Hamilton dagegen wirkte hinsichtlich seines auftrumpfenden Teamkollegen tiefenentspannt. Zumindest bis Baku. Doch spätestens dort hat der Weltmeister nun auch erkannt, dass er diesen 'neuen' Bottas vielleicht doch etwas ernster nehmen sollte. "Valtteri hat dieses Jahr echt den nächsten Schritt gemacht. Es wird einige wirklich großartige Leistungen von beiden von uns erfordern, um uns gegenseitig zu schlagen", sagte Hamilton.

Hamilton vs. Bottas: Sprengstoff im Titelkampf? (14:32 Min.)

"In Kurve eins war ich zu nett und habe es ihm im Grunde geschenkt. Das werde ich nicht noch einmal machen", kommentierte er seine Zurückhaltung im Rad-an-Rad-Duell. "Ich nehme das nicht locker, ich werde schon morgen alles aufarbeiten." Diese Ankündigungen, ja Warnungen an Bottas, ist es, was den Grundstein für lange vergessene Kopfschmerzen bei Mercedes legen könnte.

Hamilton & Bottas beschwören gegenseitigen Respekt

Birgt Hamilton vs. Bottas vielleicht doch Sprengstoff im Titelkampf? Droht im schlimmsten Fall eine Eskalation wie in dem schlimmsten Momenten der immer irgendwie angespannten Jahre mit Nico Rosberg und Lewis Hamilton? Das neue Bottas-Level, die bisherige Augenhöhe mit Hamilton, der Sieghunger beider und die genannten Aussagen bereiten dafür zumindest den idealen Nährboden. Und doch: Es herrscht (noch) eitel Sonnenschein.

"Wir hatten immer Respekt für einander. Wir haben das vor dem Rennen besprochen. Wir sind echte Gentlemen", schwärmt Hamilton sogar von völliger Harmonie. "Lewis ist im ersten Moment besser weggekommen, aber dann war es schön und sauber in Kurve eins, sehr fair mit gegenseitigem Respekt", sagt Bottas. "Wir haben Glück, dass sie eine sehr gute Beziehung pflegen", ergänzt Toto Wolff. Alles entspannt also. "Sie kommen gut miteinander klar. Es laufen im Hintergrund nicht jede Menge Spielchen und darüber bin ich sehr froh."

Erinnerungen an Rosberg vs. Hamilton

Genau das kennt der Mercedes-Teamchef auch ganz anders. Stichwort Rosberg vs. Hamilton. "In der Vergangenheit haben sich Fahrer nicht an die Rules of Engagement [teaminterne Verhaltensregeln] gehalten, die wir als Team haben, aber Valtteri und ich tun es", erinnert auch Hamilton. Eine recht offensichtliche Rosberg-Referenz. Doch versichern könne er natürlich nicht, dass alles so harmonisch weitergehen wird. Hamilton: "Ich weiß nicht, was im Lauf des Jahres geschehen wird. Ich kann nicht beurteilen, ob sich ein Charakter verändern wird oder nicht."

Ausgerechnet Nico Rosberg selbst ist es, der sich dessen sicherer ist. Der einzige Hamilton-Bezwinger seit 2016 glaubt: Valtteri Bottas habe erkannt, dass Harmonie genau das richtige Mittel sei, um Hamilton zu schlagen.

"Ich glaube der Valtteri hat echt den Trick raus, den ich ja dann auch herausgefunden habe in meinem letzten Jahr. Man darf den Lewis nie ärgern. Denn wenn er sauer wird, dann wird er konzentrierter. Und dann motivierter. Und dann beißt er. Wie so ein Terrier. Man muss immer schauen, dass man ihn nicht sauer macht. Das man ganz neutral, immer easy-going ist, sympathisch", schildert Rosberg auf seinem Youtube-Kanal das aus seiner Erfahrung entscheidende Rezept.

Nico Rosberg: Bottas hat den Trick gegen Hamilton raus

"Und das macht der Bottas. Der macht ja überhaupt nichts, um beim Lewis irgendwie anzuecken. Immer bester Kumpel. Ich glaube, das funktioniert", meint Rosberg. Das habe man in Baku besonders gut gesehen. "Denn jetzt Kurve eins - da hat der Lewis echt Teamplay gemacht: 'Och, der Valtteri ist da draußen, ich lass dem mal den Platz', so Rosberg.

Wäre an dieser Stelle er selbst statt Bottas gewesen, die Szene sei ganz anders abgelaufen, vermutet Rosberg: "Bei mir wäre das anders gelaufen, wenn ich da versucht hätte, bei ihm da außen so dranzubleiben. Das ist ganz klar. Da haben wir genügend Beispiele gesehen […] Bei mir hätte es wahrscheinlich entweder geknallt - oder der Lewis wäre vorbeigefahren."

Mercedes erlaubt Teamkampf: Kontrolliertes Risiko

Anders mit Bottas. "Der Start war natürlich mega cool, das war echt schön zu sehen. Ich habe den Lewis so zahm noch nie gesehen in einem Rad-an-Rad-Duell. […] Respekt Valtteri, echt stark gemacht und verdient gewonnen. Interessante Dynamik da", lobt und schwärmt Rosberg.

Doch hatte Hamilton eben bereits angekündigt, künftig auch gegen den eigenen Teamkollegen härter fahren zu wollen. Nicht, weil es jetzt doch schon in der Beziehung knirscht, sondern (erstmal) rein sportlich gesehen. Erlaubt ist das Mercedes in jedem Fall. "Ihnen war es erlaubt, frei gegeneinander zu kämpfen", versicherte Wolff noch in Baku.

Sein Finger auf dem Boxenfunk-Knopf habe andere Gründe gehabt. Wolff sprach mit der Strategieabteilung. Strikte Anweisungen an die Fahrer à la Angriffsverbot & Co. habe es nicht gegeben. Nur zu Beginn des zweiten Stints verlangte Mercedes, auf die Reifen zu achten. So wollte man absichern, über die Runden zu kommen. Als das sicher war, war Attacke mit offenem Visier erlaubt. Genau dazu kam es mit Hamiltons Schlussoffensive tatsächlich auch.

Toto Wolff: Ohne Respekt geht es nicht

Warum Mercedes dieses Risiko in Kauf nimmt? "Sie funktionieren unter Druck beide sehr gut, keiner von ihnen hat einen Fehler gemacht. Also war es ein kalkuliertes Risiko", erklärt Wolff. "Gut, sie einander sauber und respektvoll bekämpfen zu sehen", freut sich der schon häufig selbsterklärte 'Racer'. Genau dieser Respekt sei zwingend erforderlich, um nicht die Zügel anziehen zu müssen. "Wir haben ja schon gesehen, dass sich Beziehungen verschlechtert haben …", erinnert auch Wolff an Rosberg vs. Hamilton.

Rosberg vs. Hamilton kamen sich mehrfach zu nahe, Foto: Sutton
Rosberg vs. Hamilton kamen sich mehrfach zu nahe, Foto: Sutton

"Uns muss gemeinsam mit ihnen diese Situation sehr bewusst sein. Immerhin könnten Vettel und Leclerc sehr schnell zurück im Spiel sein", so Wolff. "Wir dürfen keine verrückten Risiken eingehen." Etwa mit einem Resultat wie dem teaminternen Super-Gau beim Mercedes-Startcrash in Spanien 2016.

Mercedes' Notfallplan für Eskalation

"Beide Fahrer haben die Ambition, die WM zu gewinnen. Und wir wollen auch, dass sie im Auto entschlossen sind, aber der Respekt muss bleiben. Wir würden es nicht erlauben, dass sich die Beziehung zwischen den Fahrern auf einen Punkt verschlechtert, der dann einen negativen Effekt auf das Team hat", stellt Wolff klar. Das habe man aus der Vergangenheit mit Rosberg und Hamilton gelernt. "Die Beziehung zählt auf jeden Fall, um so etwas zu vermeiden, was wir mit Nico und Lewis durchlebt haben."

Die entsprechenden Sanktionen seien bereits festgelegt. "Nach Nico und Lewis werden wir da gelbe und rote Karten verteilen", verrät Wolff. Aber eben nur für den Fall. Wolff: "Denn wir sind weit von dieser Situation entfernt." Das meint auch Hamilton. Auch wenn er eben nicht in Köpfe schauen könne, ist der Brite überzeugt: "Valtteri und ich hatten immer viel Respekt für einander und wir werden auch so weitermachen." Vorsichtig sein müsse Mercedes dennoch, mahnt Wolff: "Wir haben schon in der Vergangenheit Beziehungen zerbrechen sehen …"