Sebastian Vettel steht bei Ferrari in der Formel-1-Saison 2019 gehörig unter Druck. Youngster Charles Leclerc meldet schon in seinem zweiten F1-Jahr Ansprüche auf den WM-Titel an und sägt damit am Stuhl des etablierten Teamleaders. Ein Gefühl, mit dem Vettel in seiner Karriere bisher nur einmal Bekanntschaft machte. 2014 wurde der Heppenheimer bei Red Bull von Daniel Ricciardo in den Schatten gestellt.

Der Australier sah sich damals mit einem Vettel konfrontiert, der nach vier WM-Titeln in Serie als absoluter Klassenprimus galt. "In meinen Augen war es vor allem so, dass wenn ich nah an ihm dran sein sollte, die Leute sagen werden: "Oh, dieser Ricciardo ist ziemlich gut, er ist an einem viermaligen Weltmeister dran." Da war nicht wirklich irgendein Druck, für mich war es eher eine Chance", erinnert sich Ricciardo zurück.

Kaum jemand rechnete damit, dass der heutige Renault-Pilot nach seiner Ausbildung bei HRT und Toro Rosso eine große Gefahr für Vettel darstellen würde. Red Bulls Platzhirsch hatte in den Jahren zuvor seine Vormachtstellung im Team gegen Mark Webber knallhart und völlig kompromisslos durchgeboxt. Doch ähnlich wie Leclerc spielte Ricciardo auf Anhieb mit Vettel auf Augenhöhe.

Ricciardo huldigt Vettel: Er lebt und atmet Formel 1

"Ich wusste wie akribisch er ist und wie sehr er sich in den Sport reinhängt. Er ist ein echter - und das meine ich als Kompliment - Nerd dieses Sports. Er lebt und atmet Formel 1 und Racing, und er geht wirklich in jedes Detail", hebt Ricciardo die Qualitäten Vettels hervor. "Ich freute mich darauf, von ihm zu lernen."

Die Lernphase war für Ricciardo eine relativ kurze. Gleich bei seinem Heimspiel in Melbourne ließ er Vettel weit hinter sich. Während er sich im Qualifying als Zweiter zwischen die Silberpfeile von Lewis Hamilton und Nico Rosberg drängelte, flog Vettel im Q2 raus. Im dritten Rennen in Bahrain sprach Red Bull erstmals eine Teamorder aus. Vettel musste den schnelleren Ricciardo vorbeilassen.

"Ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran, und eigentlich war es toll", lacht Ricciardo. "Ich denke, das Team war überrascht. Natürlich hatten sie mich geholt, weil sie an mich geglaubt haben. Aber sie hatten sicherlich geglaubt, dass es für mich eine Wachstums- und Lernperiode geben würde. Ich glaube, sie waren verblüfft aber auch erfreut und dachten sich: "Ok, dann lassen wir ihn mal machen."

Ricciardo war bei Red Bull auf Anhieb schneller als Vettel, Foto: Sutton
Ricciardo war bei Red Bull auf Anhieb schneller als Vettel, Foto: Sutton

Ricciardo hielt Vettel nie für größeren Rennfahrer

Während Leclerc von Ferrari beim dritten Saisonrennen in China den Befehl bekam, Vettel vorbeizulassen, hatte Ricciardo bei Red Bull stets freie Fahrt: "Als ich begann ihn zu schlagen, waren die meisten Stallregien in meinem Sinne. Vielleicht weil ich im Aufwind war. Es war cool und ich habe es genossen."

Ricciardo fühlte sich in seiner Rolle als Chef im Ring pudelwohl: "Ich habe auf viele Weisen zu Seb aufgeschaut, denn er hat natürlich viel erreicht. Aber ich habe an keinem Punkt jemals gedacht, dass er größer ist als ich. Es war eine Frage des Selbstvertrauens. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich dorthin gehöre und ich denke, das Team hat auch dafür gesorgt, dass ich mich wohlfühlte. Sie haben mir nicht das Gefühl gegeben, dass das nicht mein Platz ist."

Vettel überrascht Ricciardo: Keine Eiszeit wie mit Webber

Am Ende der Saison stand es nach Siegen 3:0 für Ricciardo. In der Weltmeisterschaft landete er als Dritter ganze 71 Punkte vor dem Mann, der noch im Jahr zuvor neun Siege in Serie gefeiert hatte. Vettels Reaktion auf den schnellen Stallgefährten verwunderte Ricciardo, hatte er dessen Aktionen gegen Webber doch in guter Erinnerung.

"Ich hatte erwartet, dass Seb es nicht so gut verträgt. Mit Mark hatte er natürlich eine ziemliche Rivalität und er sah nicht gerade wie der beste Verlierer aus", schmunzelt Ricciardo. "Ich meine das jetzt nicht respektlos. Ich denke, ihr wisst was ich damit sagen will."

Die befürchtete kalte Schulter des Weltmeisters blieb ihm erspart. "Manchmal dachte ich mir nach dem Rennen: "Scheiße, wird er überhaupt mit mir reden?" Aber er kam zu mir, schüttelte meine Hand und ich wusste, alles ist cool. Wir hatten eigentlich eine wirklich gute Beziehung, auch in den kommenden Jahren."

Ricciardo besser als Vettel? "Er war dabei auszuchecken"

Vettels Akzeptanz in dieser Situation sprach allerdings auch eine deutliche Sprache. Der Heppenheimer schien erfolgsmüde, klagte mehr über die 2014 eingeführten Hybrid-Motoren und den fehlenden Charakter der kreischenden V8-Aggregate, und hatte angesichts der neuen Mercedes-Dominanz auch nicht mehr das gewohnte Material zur Verfügung.

"Ich denke, er hatte für sich schon entschieden weiterzuziehen, lange bevor er seine Wahl traf [Wechsel zu Ferrari]. Ich weiß nicht, aber es war so, als ob er dabei war auszuchecken während ich gerade reinkam. Zwischen uns wurde nicht wirklich gerangelt, wenn ihr versteht", erklärt Ricciardo.

Daniel Ricciardo und Sebastian Vettel lieferten sich in der Formel 1 schon einige Duelle, Foto: Sutton
Daniel Ricciardo und Sebastian Vettel lieferten sich in der Formel 1 schon einige Duelle, Foto: Sutton

Ricciardo: Verstappen naiv, Vettel hart aber fair

Nachdem Vettel zu Ferrari abwanderte, war Ricciardo nur für kurze Zeit die Nummer eins bei Red Bull. 2016 trat Max Verstappen auf den Plan und begann, den neuen Teamleader zu verdrängen. Ähnlich wie bei Vettel pflegten beide ein ausgezeichnetes Verhältnis, doch das beschränkte sich nur auf die Zeit außerhalb des Cockpits. Auf der Rennstrecke ging es zwischen Ricciardo und Verstappen mehrmals zur Sache, was 2018 in Baku in einer Kollision gipfelte.

"Mit Max war es natürlich so, dass wir beide versuchten der Chef im Team zu sein. Aber es gab auch einen Unterschied darin, wie sie [Vettel und Verstappen] die Sache angingen. Max ist jung und auf eine Weise naiv, denn er war so jung und kam so schnell nach oben, während Seb insgesamt etwas vernünftiger war, einfach durch seine Erfahrung", zieht Ricciardo den Vergleich zwischen seinen beiden Ex-Teamkollegen und streut Vettel noch einmal Rosen.

"Wir hatten auf der Strecke ein paar Kämpfe aber ich habe immer ein gutes Level an Respekt zwischen uns gespürt, was wahrscheinlich 2014 etabliert wurde. Ich denke, er ist einer der härtesten Gegner. Es gibt kaum jemanden, der härter fährt. Aber ich mag es, gegen ihn zu racen. Er wird hart fahren, aber dabei immer den Respekt behalten."